Der arme Agrarstaat Burkina Faso in Westafrika ist nicht mehr Inbegriff der Stabilität: Eine starke Zivilgesellschaft wehrt sich gegen die Diktatur.

Stuttgart - Vor der Radiostation von Quagadougou in Burkina Faso ist am Sonntag ein Mann durch einen Schuss gestorben – angeblich ein Querschläger, wie das Militär behauptet. Am Montag war der Tag der versöhnlichen Gespräche des neuen Machthabers im Land, Oberst Isaac Zida, mit Oppositionsführern. Sie tauschten sich darüber aus, wie ein „Übergangsgremium“ das Land nach der Verjagung von Ex-Präsident Blaise Compaoré in die Zukunft führen könne. Burkina Faso – übersetzt „das Land der ehrenwerten Menschen“ – gehörte für Afrikareisende zu den angenehmen Zielen: wegen seiner Stabilität, wegen des berühmten Afrikanischen Filmfestivals, das alle zwei Jahre in Ouagadougou stattfindet – und wegen der Menschen. „Die Leute dort haben einen besonnenen Charakter“, sagt Alexander Stroh vom Giga-Institut für Afrika-Studien in Hamburg, der das Land seit zehn Jahren beobachtet: „Sie sind im Vergleich zu afrikanischen Küstenstaaten nicht so rasch aufgewühlt.“

 

Von der Goldförderung hat das Volk wenig

Das Binnenland ist bitterarm. Auch die französischen Kolonialherren ließen das frühere Obervolta, das 1960 unabhängig wurde, eher links liegen. In der trockenen Landschaft sind Baumwolle und Viehproduktion der größte Geldgeber, das Pro-Kopf-Einkommen liegt bei 460 Euro im Jahr. Zum Vergleich: beim südlichen Anrainer Ghana – ein am Küstenhandel orientierter Gold- und Kakaoproduzent – ist es fast dreimal so hoch, die Lebenserwartung liegt dort zehn Jahre höher. Auch in Burkina Faso wird seit vier Jahren Gold gefördert. „Aber noch sind nicht die Mechanismen gefunden, die Gewinne auch an die Bevölkerung zu verteilen“, sagt Alexander Stroh.

Auch wenn das Land mit über 70 Prozent eine der höchsten Analphabetenquoten Afrikas hat, wäre es falsch, vom naiven Bauernstaat zu sprechen. Es gebe in Burkina Faso eine starke Zivilgesellschaft, gespeist aus Gewerkschaften und Oppositionsparteien, die sich vehement für Menschenrechte einsetze, sagt Burkina-Experte Stroh. Seiner Ansicht nach gehört der aus dem Amt gejagte Compaoré „nicht zu den schlimmsten Kleptokraten“ Afrikas. Der 27 Jahre lang regierende Präsident habe eine relativ freie Presse geduldet. Laut Stroh führten zwei Punkte zu seinem Fall: Erstens der Vorwurf, er sei für den Tod des linksgerichteten Militärherrschers Thomas Sankara 1987 verantwortlich, zweitens das seit 2005 wachsende Unbehagen darüber, dass Compaoré mit Verfassungsänderungen seine Amtszeit verlängern wollte.

Compaoré hat den geordneten Rückzug verpasst

Andere Beobachter sehen zwei wichtige Ereignisse im Abstiegskampf von Compaoré, die seine Popularität bei den 17 Millionen Burkinern erschütterten: 1998 war der Journalist Norbert Zongo ermordet worden, nachdem er die Todesumstände des Chauffeurs von Compaorés jüngerem Bruder recherchiert hatte. Zongo hatte seine Leser zuvor informiert, dass er mit dem Tode bedroht werde. Die Bluttat löste regierungsfeindliche Proteste aus. Eine andere Warnung für Compaoré hätten die Unruhen 2011 sein müssen, als nach dem Tod eines Studenten in Polizeigewahrsam die Bevölkerung auf die Straße ging und ihrem Frust über hohe Lebensmittelpreise Luft machte. Der Unmut ergriff Teile des Militärs.

Als Anfang vergangener Woche Hunderte von Frauen in Ouagadougou mit dem Slogan „Wir wollen keine Machthaber auf Lebenszeit“ gegen eine weitere Verfassungsänderung auf die Straße gingen, war es für einen geordneten Rückzug längst zu spät. „Es scheint, als ob Compaoré von der Wirklichkeit abgeschnitten war und gar nicht realisiert hat, was vor sich geht“, sagt Rinaldo Depagne, Westafrikaexperte der Denkfabrik International Crisis Group.