Der Gemeinderat und die SSB haben den Bedarf für eine Verstärkerlinie durch das Märchenviertel in Stuttgart-Möhringen sicher nicht erfunden, findet unsere Autorin Alexandra Kratz in ihrem Kommentar.
Möhringen - Damit hat keiner gerechnet. Normalerweise liegt der Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs im Trend – und das nicht nur bei der Stadtverwaltung und den Politikern, sondern vor allem bei den Bürgern. Viele sind es leid, ständig im Stau zu stehen und würden gern auf Bus und Bahn umsteigen, wenn es attraktive Verbindungen geben würde. Hinzu kommt das gewachsene Umweltbewusstsein, das immer mehr Menschen freiwillig auf das Auto verzichten lässt. Und nicht zuletzt sind da die vielen Menschen, die nicht oder nicht mehr Auto fahren können. Das sind zum einen Schüler und zum anderen Ältere. Und angesichts des demografischen Wandels steigt der Anteil der Senioren.
Neun Fahrten sind keine Dauerbelastung
Da verwundert es, dass sich in der Märchensiedlung Widerstand gegen die neue Verstärkerlinie formiert. Kein Mensch würde diese Buslinie brauchen. Die Senioren in der Siedlung würden sowieso mit dem Taxi oder mit Bekannten fahren, wenn sie zum Arzt oder zum Einkaufen gehen müssen. Und die jungen Leute seien nur zu faul zum Laufen, so die zum Teil groteske und wenig nachbarschaftliche Argumentation.
Einige Anwohner wollen die Busse nicht, weil diese Lärm und Dreck machen. Das stimmt; allerdings geht es um gerade einmal neun Fahrten in drei Stunden am Tag. Das ist alles andere als eine Dauerbelastung. Dagegen stehen die Nachbarn, die den Bus gern nutzen würden. Dass niemand mit dem Bus fährt, ist unwahrscheinlich. Der Gemeinderat und die Stuttgarter Straßenbahnen AG würden wohl kaum Geld in die Hand nehmen, wenn es keinen Bedarf gibt und die Busse hinterher häufig leer ihre Runde durch das Wohngebiet drehen. Und sollte sich am Ende der zweijährigen „Testphase“ doch herausstellen, dass die Verstärkerlinie für den 72er unwirtschaftlich ist, dann werden die Verantwortlichen diese sicher sehr schnell wieder einstellen.