Caitlin Doughty hat einen Bestseller über ihre Arbeit in einem Krematorium geschrieben. In Berlin hat sich StZ-Autorin Antje Hildebrandt mit der unorthodoxen Bestattungsunternehmerin aus Los Angeles getroffen.

Berlin - Die kenne ich doch, denkt man, wenn man Caitlin Doughty das erste Mal sieht. Schwarze Helmfrisur, weißes Gesicht, dunkel geschminkte Augen. Als stünde Anjelica Huston vor einem, auf wundersame Weise verjüngt. In ihrer schrägsten Rolle als Morticia Addams, der Chefin der Addams-Family. Das ist dieser morbide Clan aus der Kinokomödie von Barry Sonnenfeld, schräge Gestalten, die am liebsten auf dem Friedhof chillen und erst dann richtig glücklich sind, wenn das Unglück über sie hereinbricht.

 

Der Anatomie-Hörsaal der Charité in Berlin. Caitlin Doughty (31), Bestsellerautorin, trägt ein schwarzes Kleid mit bunten Blumen und einen Ausdruck im Gesicht, wie man ihn von Kindern kennt, die der Bescherung am Heiligabend entgegenfiebern. Tatsächlich ist es für sie auch ein feierlicher Moment. Die Autorin ist sie extra aus Los Angeles eingeflogen, um zu erleben, wie die Schauspielerin Anna Thalbach aus ihrem Buch vorliest.

Das Buch heißt „Fragen Sie Ihren Bestatter“, und es öffnet die Tür zu einer Welt, von der viele gar nicht so gerne wissen wollen, wie es dahinter aussieht. Caitlin Doughty hat jahrelang als Aushilfe in einem Krematorium in San Francisco gearbeitet. Es ist ein harter Job, körperlich und psychisch. Verstorbene mit dem Transporter abholen, aus Krankenhäusern, Hospizen oder der Gerichtsmedizin. Sie noch einmal für eine letzte Begegnung mit den Angehörigen schön machen. Die Körper dann in einen Ofen wuchten, wo sie bei 800 Grad Celsius verbrennen. Vor der Scheibe stehen und abwarten, bis nur noch die Knochen übrig sind und diese dann mit einer Mühle zu feinem Staub zermahlen.

Doughty geht es nicht um Schockeffekte

Caitlin Doughty erspart ihren Lesern keine Details. Man erfährt zum Beispiel, dass dicke Körper morgens immer als Erste verbrannt werden, weil der Ofen im Laufe des Tages immer heißer wird und man vermeiden möchte, dass es eine Fettexplosion gibt. Das klingt reißerisch, doch Doughty geht es nicht um Schockeffekte. Das wird an diesem Abend in der Charité deutlich. Zwischen ausgewählten Passagen aus ihrem Bestseller erfährt man auch einiges Persönliche über sie. Sie war acht, als sie Zeuge wurde, wie ein Mädchen in einem Einkaufscenter aus zehn Meter Höhe stürzte und mit dem Gesicht auf den Boden knallte. Das Geräusch verfolgte sie noch jahrelang. Als Teenager suchte sie Halt in der Gothic-Szene, als Studentin der mittelalterlichen Geschichte beschäftigte sie sich mit Hexenprozessen und Themen, die um den Tod kreisten. 2006 fing sie in einem Krematorium an, um ihr Trauma zu verarbeiten.

„Undertaking L.A.“ heißt ihr Bestattungsinstitut

Inzwischen hat sie sich zur Bestatterin ausbilden lassen. „Undertaking L.A.“ heißt ihr alternatives Bestattungsinstitut. Sie sagt, Särge und Blumengestecke gäbe es dort nicht. Die Angehörigen sollen selber entscheiden, wie sie sich von dem Verstorbenen verabschieden wollen. Wie wichtig es ist, den Tod nicht wegzusperren, das hat sie ja als Kind erfahren. Als Unternehmerin hilft sie jetzt anderen bei der Trauer. „Es ist eine Form der Therapie“, räumt sie ein. Aber es ist mehr als das. Caitlin Doughty hat eine Mission. Sie sagt, Leichen dürfen nicht einfach entsorgt werden. Heute online eine Verbrennung buchen, zwei Wochen später kommt die Urne mit UPS. „Klopf, klopf, klopf. Hier ist deine Mama.“ Sie will, dass das auch der Rest der Branche erkennt.

Ihre Lesereisen sind eine willkommene Gelegenheit, um diese Botschaft zu verbreiten. Ihr Buch, das ist auch eine Kulturgeschichte des Sterbens. Sie hat es in einem Ton geschrieben, wie man ihn von amerikanischen Cartoons und Filmen wie der „Addams Family“ oder „South Park“ kennt. Leicht und lakonisch. Die Bosse von Paramount hat dieser Ton beeindruckt. Die Filmfirma hat die Rechte an ihrem Buch gekauft. Es gibt Pläne für eine eigene TV-Serie nach dem Vorbild der Bestatter-Soap „Six Feet Under“.

Das Sprechen über den Tod kann befreiend wirken

Auch in Berlin kommt dieser Ton gut an. Im Publikum sitzen überwiegend Mediziner und Bestatter, die meisten nicht viel älter als sie. Es wird viel gelacht, und man merkt: Das Sprechen über den Tod kann ungemein befreiend wirken. Vorausgesetzt, man tritt den richtigen Ton. Den kennen ihre Fans schon aus ihren selbst gedrehten Videos, die sie seit 2011 regelmäßig auf ihrem eigenen Youtube-Kanal veröffentlicht. Der heißt wie ihr Buch: „Ask a Mortician.“ Und sie kommentiert dort ebenso klug wie kenntnisreich neue Nachrichten aus ihrer Branche – immer mit einem Augenzwinkern, das ist ihr Markenzeichen.

Fünf Millionen Mal wurden ihre Videos schon geklickt. Sie öffneten die Tür zu einer Branche, die sich sonst nicht gerne in die Karten schauen lässt – angeblich aus Gründen der Pietät. Caitlin Doughty fällt noch ein anderer Grund für diese Zurückhaltung ein.

Sie selber will später mal in einem Wald beerdigt werden

Sie wird das am Tag nach der Lesung sagen, bei einem Spaziergang über den Friedhof in Friedenau, auf der Suche nach dem Grab der von ihr verehrten Marlene Dietrich. Sie redet dann von Kollegen, die sich wie Halbgötter gebärdeten, damit Angehörige gar nicht erst fragten, warum eine Bestattung so teuer sei. Auf dem Weg über den Friedhof lernt man eine Caitlin Doughty kennen, der man es anmerkt, wie sehr sie es genießt, vom PR-Rummel um ihre Person abzuschalten. „Tote wollen nichts von dir. Das ist das Tolle an Friedhöfen“, sagt sie, während sie das Grab der Dietrich fotografiert. Man hätte es beinahe übersehen. Es ist ein schwarzer Marmorstein. Darauf steht nur ihr Vorname, Marlene, 1901– 1992. „Toll“, sagt Caitlin Doughty. Sie selber will später mal in einem Wald beerdigt werden, ohne Sarg und ohne Grabstein. „Ich gehe einfach so, wie ich gekommen bin.“