Wer in Deutschland mit kleinsten Rückständen von Cannabis im Blut Auto fährt, dem drohen harte Strafen. Die Wohlfahrtsverbände sehen darin eine unzulässige Kriminalisierung – und fordern eine Gesetzesnovelle von der Landesregierung.

Stuttgart - Die Liga der freien Wohlfahrtsverbände in Baden-Württemberg fordert die grün-rote Landesregierung auf, sich über eine Bundesratsinitiative für ein novelliertes Führerscheingesetz in Deutschland einzusetzen. Künftig solle nicht mehr der bloße Nachweis von kleinsten Mengen des Drogenwirkstoff THC zum Entzug des Führerscheins ausreichen, sagte Hans-Joachim Abstein, Vorsitzender der Landesstelle für Suchtfragen am Rande einer Fachtagung der elf in der Liga zusammengefassten Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege in Stuttgart.

 

Statt über Verkehrskontrollen Drogenkonsumenten ausfindig zu machen und auf diese Weise nüchterne Fahrer zu belangen, solle sich die Polizei mehr auf die Aufrechterhaltung der Verkehrssicherheit konzentrieren. „Das ist viel sinnvoller als die Jagd auf Kiffer“, sagte Oliver Kaiser, der stellvertretende Vorsitzende der Landesstelle für Suchtfragen.

Wer in Deutschland bekifft Auto fährt, begeht eine Ordnungswidrigkeit, die in der Regel mit einem Fahrverbot von ein bis drei Monaten und einer Geldbuße von bis zu 1500 Euro bestraft wird. Für den Nachweis einer Drogenfahrt reicht der Nachweis von 1,0 Nanogramm des Wirkstoff THC (Tetrahydrocannabinol) aus. THC bleibt bis zu zwölf Stunden im Blut, in Ausnahmefällen sogar noch länger. Werden neben THC noch Alkohol oder andere Substanzen festgestellt oder Fahrfehler dokumentiert, droht der Führerscheinentzug plus Sperre von einem Jahr oder mehr.

Bundesweit rund 100 000 Verfahren

Oft erhalten die Betroffenen ihre Fahrerlaubnis nur unter Schwierigkeiten wieder zurück. Statistiken zufolge gibt es bundesweit rund 100 000 solcher Verfahren. Nicht wenige der Beschuldigten verlieren ihren Arbeitsplatz, wenn sie nicht mobil sind oder ein Strafverfahren gegen sie eröffnet wurde. Manche wandern im Extremfall auch ins Gefängnis.

Die Wohlfahrtsverbände sehen darin eine unzulässige Kriminalisierung. Darunter seien viele Menschen, die nur gelegentlich Cannabis konsumierten. Der unregelmäßige Genuss der Hanfpflanze sei jedoch, anders als der tägliche Missbrauch, ungefährlich und führe auch nicht zur Drogensucht, betonte der Leiter der Drogenrehaklinik Freiolsheim, Wolfgang Indlekofer.

Fast 15 Millionen Europäer im Alter zwischen 15 und 34 Jahren kiffen mindestens einmal im Jahr. In Baden-Württemberg nehmen nach Erhebungen des Statistischen Landesamtes von 2013 zwei Prozent aller Jugendlichen im Alter von 14 bis 17 Jahren regelmäßig Cannabis zu sich. Das sind 9000 bis 10 000 Konsumenten. Bei den jungen Erwachsenen von 18 bis 25 Jahren sind es etwa vier Prozent oder rund 36 000 Konsumenten. 28 500 Menschen oder 0,5 Prozent aller erwachsenen Baden-Württemberger zwischen 18 und 64 Jahren gelten als abhängig.

Begrenzter Konsum in Cannabis Social Clubs

Die Sozialverbände fordern die Landesregierung auf, neben einer Novelle des Führerscheingesetzes auch im Südwesten so genannte Cannabis Social Clubs (CSC) zuzulassen, wie sie jüngst in Stuttgart und Heidelberg gegründet wurden. Diese Vereine dürfen für ihre volljährigen Mitglieder eine bestimmte Menge an Cannabis herstellen, aber nicht verkaufen.

Einer vollständigen Legalisierung der Droge wollen die Sozialverbände keinesfalls das Wort reden. Das größte Problem sei nach wie vor der frühe Beginn des Konsums im Alter von zwölf bis 16 Jahren, sagt Indlekofer. Da sei die Gefahr der Abhängigkeit und der Schädigung gewaltig und gehe einher mit gravierenden psychischen und psychosozialen Folgen wie Antriebsarmut, Lern-, Konzentrations und Merkfähigkeitsstörungen.

Die Wohlfahrtsverbände im Land nehmen jedes Jahr in ihren 95 Beratungsstellen rund 50 000 Hilfesucheden auf. Sie betreiben 34 Fachkliniken zu Drogenkrankheiten mit insgesamt 1179 Plätzen und betreuen mehr als 1000 Selbsthilfegruppen.