1459 Menschen sind beim Bombenangriff in der Nacht des 12. September 1944 ums Leben gekommen. Auf dem Hauptfriedhof in Steinhaldenfeld haben sie und weitere Opfer Frieden gefunden. Dem einstigen Leiter des Garten-, Friedhofs- und Forstamtes, Werner Koch, gefällt die Schlichtheit des Opferfeldes.

Bad Cannstatt - Jede und jeder Einzelne von ihnen hat sie gespürt: Die Druckwellen der Sprengbomben, die die Dächer ihrer Häuser aufgerissen haben, die Hitze der Thermitstäbe, die in die offenen Dachstühle der Häuser flogen und innerhalb kürzester Zeit einen Vollbrand auslösten. Jede und jeder Einzelne fühlte die Todesangst im Feuersturm der Nacht des 12. September 1944. Die „No. 5 Bomber Group“ unter Luftmarschall Arthur Harris vom „Bomber Command“ der Royal Air Force hatte einen eindeutigen Auftrag erhalten: das systematische Abbrennen ziviler Flächenziele, das „Moral bombing“ im Stuttgarter Talkessel. Zwischen 22.59 und 23.30 Uhr warf die britische Bombergruppe 4300 Sprengbomben zielgenau ab. Es entwickelte sich ein Großfeuer, bei dem 1459 Menschen starben und noch einmal so viele verwundet wurden.

 

Manchmal liegt ein Blumenstrauß auf einer der Steinplatten

Jetzt haben die Toten Frieden. „Und einen würdigen Platz der Erinnerung, der ihnen auf dem im Jahr 1956 von der Stuttgarter Landschaftsarchitektin Käthe Haag entworfenen und von Oberbürgermeister Arnulf Klett (1905-1974) 1958 eingeweihten Gräberfeld gegeben wurde“, sagt der ehemalige Leiter des Garten-, Friedhofs- und Forstamtes Stuttgart, Werner Koch. Ein mächtiger Ahornbaum bestimmt die Szene und Linden fassen das Fliegeropferfeld ein, das in seiner Schlichtheit berührt. Kreisrunde Steinplatten liegen nebeneinander in Reih’ und Glied, der Name des Verstorbenen ist in den Stein eingemeißelt und die Lebensdaten. Manchmal liegt ein Blumenstrauß darauf. Und unzählige Male ist eben jener 12. September 1944 zu lesen. Diese Steine strahlen Würde und Frieden aus, jenen Frieden, den sich die Menschen in dieser unsäglichen Zeit des Krieges so sehr gewünscht hatten.

„Dieses Fliegeropferfeld ist all jenen gewidmet, die in dieser Nacht und bei weiteren Luftangriffen auf Stuttgart ihr Leben verloren.“ Für ihn sei es nach wie vor sehr wichtig, die Erinnerung an Krieg und Gewaltherrschaft aufrechtzuerhalten, sagt Koch. „Und das ist hier auf dem Hauptfriedhof in aller Ruhe möglich.“

4562 Stuttgarter ließen ihr Leben

4562 Stuttgarter kamen bei den insgesamt 53 Luftangriffen auf die Stadt während des Zweiten Weltkrieges ums Leben und fast 40 000 Gebäude wurden zerstört. Deshalb mutet die Ruhe und die Einbettung des Hauptfriedhofs in die Natur wie ein letztes Geschenk an die Fliegeropfer an.

Der Friedhof selbst, der von den Einheimischen auch Steinhaldenfriedhof genannt wird, ist mit einer Fläche von knapp 30 Hektar der größte unter allen Stuttgarter Friedhöfen. Weite Brachflächen lassen den Friedhof wie einen Park wirken. „Man hat sich bewusst entschieden, dass man auf großzügigen Wegen und Flächen zu den Gräbern gelangt“, erklärt Koch. Schließlich befinden sich hier neben dem eindrücklichen Fliegeropferfeld noch viele weitere Gräberfelder, die ihren Platz und ihre Abgeschiedenheit wegen der Tragik des Todes brauchen. So wurde 1962 eine Bestattungsanlage für 271 Euthanasie-Opfer des Zweiten Weltkriegs (1939-1945) eingeweiht und ein Gräberfeld für verstorbene russische Zwangsarbeiter angelegt, die ebenfalls auf tragische Weise bei einem Bombenangriff der Royal Air Force ums Leben gekommen sind. Das Drama spielte sich in der Nacht vom 14. auf den 15. April 1943 ab. Eine Luftmine traf die von Russen bewohnte Baracke, andere Baracken brannten schon. Fast 400 Menschen erstickten qualvoll. Seit 1966 erinnern 25 Gedenksteine an die verstorbenen Zwangsarbeiter Stuttgarts.

Hier ruhen sie in Frieden. Und selten zuvor hat dieser Satz so sehr gepasst wie in der Weite dieser Anlage.

Buch-Informationen

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