Nicht jeder hat das Glück auf der Sonnenseite des Lebens geboren worden zu sein und manchmal kommt dann später auch noch Pech dazu. Um alle die, denen es nicht immer gut ergangen ist, kümmert sich die Caritas – in Stuttgart seit einem Jahrhundert.

Psychologie/Partnerschaft: Nina Ayerle (nay)

Stuttgart - Ihr erster, intensiver Kontakt mit dem Caritas-Vorstand Uwe Hardt fand unter ungewöhnlichen Umständen statt. Das gibt Isabel Fezer zu: „Ich war in Unterwäsche und Sie waren in Bamberg.“ Ein peinliches Geständnis sollte dies aber nicht werden – der Anlass wäre auch eher unpassend gewesen. Erzählt hat Fezer dies nämlich bei der Feier zum 100. Geburtstag des Stuttgarter Caritasverbandes. Vielmehr ging es ihr um eine eigene Beschreibung der Caritas.

 

Die „Caritas macht“ – schnell und unbürokratisch

Im September 2015 wurde die damals noch fürs Soziale zuständige Bürgermeisterin Fezer von einem Anruf der Bundespolizei quasi aus dem Bett geworfen. 129 Flüchtlinge standen am Hauptbahnhof und mussten sofort untergebracht werden. Alle möglichen Leute habe sie in kürzester Zeit „an der Strippe gehabt“. Bis klar war, im Haus Martinus an der Olgastraße 93 A können die Flüchtlingeunterkommen. „Zum Anziehen bin ich da nicht gekommen“, erzählte Fezer. Innerhalb eines Tages machte die Caritas mit Feuerwehr, Sozialamt, den Bezirksvorstehern und freiwilligen Helfern das leer stehende Altenheim halbwegs bewohnbar. Schnell und unbürokratisch. Kurz gesagt: „Die Caritas macht einfach“, so Fezer.

Nicht nur deswegen hat das Haus Martinus für die Caritas einen symbolischen Wert. Auch eine historische Bedeutung hat das Haus für den Verband. Vor 50 Jahren errichtete man dort die erste große Altenhilfeeinrichtung. Derzeit wird das Haus saniert und soll nach der Fertigstellung wieder ein Alten- und Pflegeheim werden.

Nun unterhält die Caritas längst nicht nur ein Pflegeheim in Stuttgart. Jugendhilfe, Sucht- und sozialpsychiatrische Hilfen, Migration und Integration, Arbeit, Behindertenhilfe sowie Armut und Wohnungsnot – im Prinzip kümmert sich der Verband um alle, die Hilfe brauchen. Um alle, die es im Leben nicht so gut getroffen haben. „Wir sind sehr vielfältig aufgestellt“, sagt Vorstand Uwe Hardt bei einem Gespräch in seinem Büro, am Hauptsitz des Verbandes an der Strombergstraße 11 im Stuttgarter Osten. Das betrifft laut Hardt auch die Durchmischung der Angestellten: „Wir haben im Vorstand eine Jüdin und eine Muslimin.“ Und das, obwohl man ein katholischer Verband sei.

Der Verband ist im Laufe der Jahre ein sozialpolitischer Akteuer geworden

Hardt, der sich den Vorstandsposten mit seinem Kollegen Raphael Graf von Deym teilt, ist seit zwei Jahren im Amt. Die Belegung des Haus Martinus war seine erste große Amtshandlung. Der gebürtige Bayer war davor 19 Jahre hauptamtlicher Vorstand des Caritasverband Kempten-Oberallgäu und Geschäftsführer der Sozialstation der Caritas und Diakonie Oberallgäu. In Stuttgart kann er schon einiges loben, wie zum Beispiel den Ausbau der Schulen zu Ganztagsschulen und die Arbeit in der Familien- und Kinderhilfe. „Hier ist man schon sehr weit.“

Aber: „Ich finde, man sollte die Ganztagsschulen ganz durchziehen.“ Das habe er Bürgermeisterin Fezer auch längst gesagt. Kritisch äußert sich Hardt dagegen über die Wohnungspolitik der Landeshauptstadt. „Da geht mir wirklich die Hutschnur hoch.“ Längst seien es nicht mehr die Klienten der Caritas, die auf dem Wohnungsmarkt erfolglos seien, sondern auch Mittelverdiener.

Und damit ist er dort, was den Caritasverband heute zusätzlich ausmacht: „Wir sind auch ein sozialpolitischer Akteur.“ Die Aufgabe des Verbandes sieht er längst nicht mehr nur in „betreuen, begleiten, versorgen“. „Wir verlangen unserer Gesellschaft Solidarität ab.“ Das bedeutet für Hardt eben „nicht nur Sozialpädagoge sein, sondern die Stimme zu erheben, überall mitzureden“.

Zu den Anfangszeiten war die Caritas für direkte, mildtätige Hilfsleistungen zuständig. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts, mit dem Voranschreiten der Industrialisierung, ging es vielen Menschen sozial immer schlechter. In der katholischen Kirche habe man sich deshalb entschieden, in die soziale Arbeit einzusteigen, weiß Hardt. Bereits damals gründeten sich deutschlandweit lose Hilfsvereine und karitative Einrichtungen.

Die Caritas existiert in Stuttgart seit 100 Jahren – der Verband gründete sich vor 50

Bei der ersten Caritaskonferenz im Jahr 1871 in Schwäbisch Gmünd schlug wohl Lorenz Werthmann, damals Hofkaplan des Erzbischofs Roos in Freiburg, den Wunsch nach einer Dachorganisation vor, wie die 100-Jahr-Schrift der Caritas schreibt. Bereits auf dem zweiten Caritastag, 1897 in Köln, hat sich dann der „Deutsche Caritasverband für das katholische Deutschland gegründet“ – mit Sitz in Freiburg.

In der Landeshauptstadt ging es später los. Am 5. Juni 1917 legte Bischof Paul Wilhelm von Keppler den Grundstein für den Stuttgarter Caritasverband. Die Gründung des eigenständigen Vereins Caritasverband für Stuttgart erfolgte im Jahr 1957.

Inzwischen ist die Caritas in jedem sozialen Feld eine Institution in der Stadt – ob mit dem Johannes-Straubinger-Haus in der Obdachlosenhilfe, der Frauenpension in Bad Cannstatt oder einem Stadtteilzentrum wie dem Haus 49 am Nordbahnhof. „Wir waren und sind nah an den Menschen dran, kriegen mit, um was es ihnen geht. Oft sogar früher als die Politik“, fasst Hardt die Leistung der Caritas zusammen.