Carlos Santana hat am legendären Woodstock-Festival nicht nur teil­genommen, sondern von dort auch etwas mitgenommen: „Music and peace“ lautet seine Botschaft bis heute.

Stuttgart - Es gibt nur eine Handvoll E-Gitarristen, deren Spiel die Hörer schon nach wenigen Tönen erkennen: Jimi Hendrix natürlich, Mark Knopfler auch – und Carlos Santana, den Erfinder des Latin-Rock. Er beherrscht es wie kein zweiter, aus jedem Song ein Gitarrensolo zu machen. Wie ein fiebriger Forscher lässt er kleine Klangwolken erblühen, er umgarnt Gesangspassagen mit eruptiven Unterstreichungen, er untermalt schwelgerisch mit singenden Tönen, und er kann förmlich explodieren, wenn dann sein eigentliches Solo kommt. Dabei sind es vor allem die Synkopen und die rhythmischen Auslassungen, die sein Spiel kennzeichnen.

 

In Stuttgart hat er das zuletzt 2016 gezeigt, beim Festival Jazz Open flutete er den Schlossplatz mit unbändiger Klang-Energie. Er spielte „Soul Sacrifice“, „Evil Ways“ (beide 1969) und „Toussaint l’Ouverture“ (1971) aus seiner Frühphase, „Maria Maria“ und „Smooth“ vom Comeback-Album „Supernatural“ (1999) sowie die wunderbare Gitarrenerzählung „Europa“, die im Lichte des Brexits eine neue Qualität bekam in Sachen Wehmut.

Carlos Santana aber verlässt sich nicht allein auf die Wirkung der Musik als Vehikel. Der einstige Woodstock-Teilnehmer verbreitet immer auch eine sanfte, aber mächtige Botschaft. An dieser hat sich nichts geändert, seitdem er mit seinem Kollegen John McLaughlin auf einen indischen Erleuchtungstrip ging und das Album „Love Devotion Surrender“ (1972) veröffentlichte: Man müsse „Angst, Brutalität, Gewalt“ etwas entgegensetzen, erklärte er auf dem Stuttgarter Schlossplatz wie ein beschwörender Prediger, nämlich „Liebe, Freundlichkeit, Mitgefühl“. Wie ein Botschafter aus einer anderen, längst vergangenen Welt wirkt Carlos Santana vor den Kulissen der neoliberalen Gegenwart.

Dem Latin-Erbe treu geblieben

Die Legende besagt, dass der gebürtige Mexikaner Santana seine Gitarren-Karriere als Kind in den Stripclubs der Grenzstadt Tijuana begonnen habe, ehe seine Familie 1960 übersiedelte und sich in San Francisco niederließ. 1965 erlangte Carlos Santana die US-Staatsbürgerschaft, in seiner Musik aber blieb sein lateinamerikanisches Erbe bestimmend, das in den hypnotischen Polyrhythmen von Stücken wie „Oye Como Va“ oder „Jingo“ besonders deutlich zutage tritt.

Als Rockstar jedenfalls fühlte Santana sich missverstanden. Nachdem er für sein drittes Album („III“, 1971) den späteren Journey-Gitarristen Neil Schon in seine Woodstock-Band geholt und wahre Rock-Gitarren-Feuerwerke abgebrannt hatte, schwenkte er auf „Caravanserai“ (1972) um in Richtung Jazz – und stieß damit viele seiner Fans vor den Kopf. Seitdem ist Carlos Santana ein Wanderer zwischen den Welten, der mit „Supernatural“ bewiesen hat, dass er sein überbordendes Gitarrenspiel problemlos auch in radiotaugliche Pophits integrieren kann.

Lustvoll hat Santana 2016 auf dem Schlossplatz das lodernde musikalische Feuer geschürt und sein Instrument aufbegehren lassen. Ganz intuitiv schienen die Noten zu ihm zu kommen. „Viele Menschen haben die Verbindung zu ihrem inneren Leuchten verloren“, sagte er damals. „Aber ihr und ich, heute Abend – erinnert euch an John Lennon, an ,Imagine‘: Liebe ist stärker als die CIA, das FBI, das Pentagon, Hollywood!“ So kann nur einer reden, der die Flower-Power ehrlich im Herzen trägt. An diesem Donnerstag wird Carlos Santana siebzig Jahre alt. Möge die Macht weiterhin mit ihm sein.