Seit 20 Jahren wächst Stadtmobil Stuttgart aus eigener Kraft. Jetzt gibt es Konkurrenz: Im Herbst startet Daimler mit viel Rückenwind von Stadt und Land mit 300 Elektro-Fahrzeugen in Stuttgart.

Stuttgart - Satte 300 Leihfahrzeuge will Daimler noch in diesem Jahr in Stuttgart abstellen. Wer die örtliche Parkplatzsituation kennt, fragt sich, wo? Für den heimischen Autobauer stellt sich die Frage nicht, schließlich wird die Daimler-Carsharing-Sparte Car2go nur Elektrofahrzeuge verleihen. Und die dürfen nach einem Gemeinderatsbeschluss künftig kostenlos auf städtischen Parkplätzen abgestellt werden. 150 neue Ladestationen sollen geschaffen werden. So wird Daimler mit einem Schlag wichtiger Partner der öffentlichen Hand, die die Elektromobilität fördern möchte. 880 000 Euro lässt sich die Landeshauptstadt die Anschubfinanzierung kosten, die grün-rote Landesregierung bezuschusst Car2go sogar mit 11,5 Millionen Euro.

 

Ulrich Stähle verleiht auch Autos, jedoch hat ihm dabei noch nie jemand nennenswert geholfen, weder das Land noch die Stadt. „Wir haben bisher keinen Euro Fördergeld bekommen.“ Dabei gehört der 55-Jährige zu den Überzeugungstätern, die das Konzept der gemeinsamen Nutzung von Fahrzeugen im öffentlichen Raum salonfähig gemacht haben. Genau seit 20 Jahren gibt es Stadtmobil. Im August 1992 schlossen sich Stuttgarter Bürger zu einem Verein zusammen, um Autos gemeinsam anzuschaffen und zu nutzen. „Unser Ziel war von Anfang an, dass es in der Stadt weniger Autos gibt“, erklärt Stähle und verweist darauf, dass viele Stadtbewohner eigentlich nur in Ausnahmefällen ein Auto brauchen und die meisten Privatfahrzeuge überwiegend auf der Straße oder in der Garage stehen. „Wenn es weniger Autos gibt, gibt es mehr Platz in der Stadt, und wer kein eigenes Auto besitzt, fährt automatisch weniger, dadurch sinkt die Umweltbelastung.“

Zu Beginn besaß Stadtmobil nur zwei Autos, heute sind es 380 Fahrzeuge. Die Umweltaktivisten sind Unternehmer geworden, haben eine (nicht börsennotierte) Aktiengesellschaft gegründet und wachsen Jahr für Jahr um rund ein Viertel. Stähle fungiert inzwischen als Vorstand der Stadtmobil Carsharing AG. Er sitzt in seinem Stuttgarter Büro in der Tübinger Straße und zeigt sich gelassen ob der neuen Konkurrenz. Dass ausgerechnet ein grüner Ministerpräsident dafür sorgt, dass das einstige Bürgerschaftsprojekt aus der Umweltszene Konkurrenz vom Auto-Goliath bekommt, lässt ihn nur milde lächeln. Erst auf Nachfrage sagt er: „Ich finde es schade, dass wir etwas benachteiligt werden.“ Die entscheidende Währung im Carsharing-Geschäft seien Parkplätze, und die seien besonders in den Stuttgarter Innenstadtbezirken absolute Mangelware.

Stähle: „Wir wollen den privaten Autobesitz zu senken“

Weil ihm die öffentliche Hand nicht mehr Flächen zur Verfügung stellt, mietet Stähle mehr als 90 Prozent seiner Stellplätze bis jetzt von privaten Grundstücksbesitzern an; ein sehr mühsames Geschäft. Der Stadtmobil-Chef hat sich darüber nie beschwert, jedoch immer wieder darauf hingewiesen, dass der Mangel an Parkraum ein noch dynamischeres Wachstum bremst. 20 Jahre hat Stadtmobil gebraucht, um sich 380 Stellflächen zu erkämpfen, Car2go möchte in diesem Herbst auf einen Schlag mit 300 Fahrzeugen starten, später sollen es 500 sein – alle dürfen vorerst problemlos auf städtischen Parkflächen stehen.

Dass diese Entwicklung durchaus eine Schlagseite aufweist, hat nun auch die Stadt erkannt. So bekommt Stähle plötzlich neun weitere städtische Parkflächen, so dass wenigstens genau zehn Prozent seiner Fahrzeuge auf städtischem Grund stehen. Auch das Land Baden-Württemberg unterhält viele Amtsgebäude in Stuttgart. Stadtmobil hat von den Landesbehörden nach eigener Aussage bisher aber nur zwei Parkplätze anmieten dürfen. Im kommenden Monat gibt’s einen einzigen mehr. „In der Stellplatzfrage muss es Gerechtigkeit geben“, fordert Stähle. Für alle Parkplätze, ob öffentlich oder privat, muss Stadtmobil übrigens Miete bezahlen. 130 000 Euro überweist Stähle jährlich dafür. Daimlers Elektroprojekt wird diese Kosten nicht haben.

Warum aber nutzt Stähle für seine Flotte nicht auch die Fördervorteile, die es für Elektrowagen gibt? Der Stadtmobil-Chef stellt eine Gegenfrage: „Warum soll ich meine Kunden zu Testfahrern machen?“ Elektroautos seien keineswegs ausgereift. „Unser Ziel ist auch nicht, Elektro- oder andere Antriebsarten einzuführen, sondern den privaten Autobesitz zu senken.“ Ein Carsharing-Anbieter müsse die Wagentypen bereithalten, die auch sonst nachgefragt seien. „Unser Hauptkonkurrent ist doch der klassische private Autobesitz.“

Stadtmobil und Daimler werden keine Freunde mehr

Stähle ist sich sicher, dass Elektroautos für das Carsharing nicht geeignet sind. „In unserem Geschäft ist das Gleichgewicht von Verfügbarkeit und Auslastung sehr wichtig.“ Autos, die lange an der Steckdose hängen müssen, seien schlecht zu disponieren. Dass für den Versuch ausgerechnet Smart-Fahrzeuge ausgewählt worden sind, wundert Stähle auch. Denn Stadtmobil hat die etwas anderen Zweisitzer früher angeboten, damit aber keine guten Erfahrungen gemacht. „Carsharing-Kunden wollen, dass das Auto selbsterklärend funktioniert, sie wollen sich wegen wenigen Kilometern nicht extra einlesen müssen.“

Stadtmobil und der große heimische Autobauer scheinen keine Freunde mehr zu werden. Was entgegnet Stähle aber den vielen Menschen, die sagen, dass der Erfolg des Carsharings letztlich Arbeitsplätze im Land gefährde, weil auf diese Weise weniger Autos verkauft würden? „Dann gibt es halt woanders Arbeitsplätze.“

Stähle glaubt an den Wandel, aber vorerst bleibt der Stadtmobil-Chef für Autohersteller ein wichtiger Kunde, kauft er inzwischen doch jährlich 120 Neufahrzeuge. Bis jetzt kommt meist Opel zum Zug, „weil die Marke von Beginn an die besten Nachlässe gegeben hat.“ Andere Hersteller melden sich oft bei ihm, um Angebote zu unterbreiten, es sind aber immer Ferngespräche. „Von Mercedes hat noch nie jemand angerufen.“ So wird’s wohl auch bleiben, schließlich kann Stähle sein Misstrauen gegenüber dem Daimler-Konzern und dessen Carsharing-Projekt nicht verbergen: „Für die ist das Ganze doch bloß Werbung.“ Die Daimler-Lobbyisten seien es, vermutet Stähle, die verhindern, dass Abgasnormen gesenkt werden. „Das aber wäre viel wichtiger als ein paar Elektroautos.“

73.000 Fahrten im Jahr

Stadtmobil Wer Stadtmobil-Fahrzeuge nutzen will, muss dort zuvor Mitglied werden und monatlich und jährlich je nach Tarif rund 100 Euro Grundbeitrag bezahlen. Die Fahrzeuge können dann rund um die Uhr im Internet oder telefonisch gebucht werden. Geöffnet werden die Autos mit einer Kundenkarte. Abgerechnet wird nach Streckenlänge und Nutzungsdauer.

Entwicklung Die Stadtmobil Stuttgart AG weist 2011 ein Umsatzwachstum von 24 Prozent auf 2,8 Millionen Euro aus. Die knapp 7000 Mitglieder in der Region Stuttgart
haben mehr als 73 000 Fahrten mit den roten Fahrzeugen unternommen. Im Schnitt wurden pro Fahrt 94 Kilometer zurückgelegt. 60 Prozent der Fahrten sind jedoch kürzer als 50 Kilometer.

Car2go In Ulm und auch in vielen anderen Städten hat der Daimler-Konzern schon Carsharing-Fahrzeuge im Einsatz. Neu in Stuttgart ist, dass Daimler ausschließlich Elektrofahrzeuge einsetzen wird. Diese müssen – im Gegensatz zu Stadtmobil – am Ende der Mietzeit nicht wieder auf den Ausgangsort zurück, sondern können auch anderswo in der Stadt abgestellt werden.