Endlich wieder eine Abstimmung! Dass dann nicht zwingend die musikalisch Besten gewinnen, muss man laut StZ-Redakteur Jan Ulrich Welke billigend in Kauf nehmen. Nach Malmö fährt die Sängerin Cascada mit ihrer Disco-Pop-Nummer „Glorious“.

Kultur: Jan Ulrich Welke (juw)

Hannover - Malmö scheint eine recht begehrenswerte Stadt zu sein. Die Öresund-Brücke, die Dänemark und Schweden verbindet, gilt als die größte Sehenswürdigkeit der drittgrößten Stadt Schwedens, ließ sich am Donnerstagabend von der zwischen despektierlich und nassforsch changierenden Moderatorin Anke Engelke lernen. Sie hatte das Vergnügen, in Hannover den deutschen Vorentscheid zu jener Frage auszurichten, wer Deutschland bei der diesjährigen Auflage des Eurovision Song Contests repräsentieren darf.

 

Anke Engelke beantwortet zunächst alle Fragen rund um den Vorentscheid. Fast jedenfalls. Die wichtigste, wer für die Vorauswahl der Aspirantentitel verantwortlich zeichnete, blieb erwartungsgemäß unbeantwortet. Was schade war, denn gerne hätte man dazu etwas gehört. Wer zum Beispiel den allzu braven Finn Martin vorgeschlagen hat – wegen seiner musikalischen Qualität kann er wohl kaum ausgewählt worden sein.

Die alle schonmal nicht

Die Band Mobilé dürfte allenfalls wegen der hübschen Bassbalaleika und dem Banjo dabei gewesen sein, gewiss nicht wegen ihres extrem unspektakulären Songs. Und die Revivalpopper Blitzkids mit ihrer dünn gesungenen Nummer? Gewiss auch nicht, sie waren ebenso enttäuschend wie die infantile Betty Dittrich mit ihrem auf den fantastischen Titel hörenden Song „Lalala“. Und Ben Ivory mit seiner unentschiedenen Indie-Nummer? Oder die Sängerin Saint Lu, die wie die neue Aretha Franklin angepriesen wurde? Oder die unglaublich mittelmäßig singende Mia Dikow? Echte Priester (!) womöglich, die mit der Sopranistin Mojca Erdmann den international ansprechenden Titel „Meerstern, sei gegrüßt“ intonierten?

Sie alle auch nicht. Oder aber schließlich die auch optisch mit ihrem gästehandtuchbreiten Minirock ein Kontrastprogramm zu den Geistlichen bietende Cascada, die vor dem Schmettern ihrer unspektakulären Disconummer treudeutsch versicherte, wie sehr sie doch dieses schöne unsrige Land liebe. Ja doch, genau sie!

Es gäbe hierzulande ja bessere Musik ...

Und weil nun ausgerechnet diese Dame gewonnen hat, muss man sich auch gar nicht das Hirn zermartern, warum deutsche Qualitätsmusik, repräsentiert etwa durch Kraftwerk, die Einstürzenden Neubauten, Tocotronic oder Get Well Soon, in solchen Wettbewerben ganz offenkundig so ganz und gar nichts verloren hat. Und die zwei einzigen renommierten deutschen Vertreter, die Söhne Mannheims und die Blasmusiker von La Brass Banda aus Bayern sich zwar ordentlich platzieren konnten, aber dann doch nur zuschauen werden.

Aber so kann’s gehen bei Volksabstimmungen. Und immerhin: Genau so wollen wir das doch auch haben. Nach nunmehr sechs Jahren der auferlegten Teilnehmer – zuletzt im vergangenen Jahr Roman Lob, zuvor zwei Mal in Folge Lena sowie dem 2009 so klandestin wie willkürlich bestimmten Duo Alex swings, Oscar sings – durften diesmal wieder die Zuschauer und Radiohörer mitmachen. Aus jeweils einem Drittel von den „verrückten jungen Popwellen“ (so Engelke über Radiosender wie SWR 3), einem Drittel der Stimmen durch eine profunde Jury rund um die Popularmusikexpertin Mary Roos und einem Drittel aus beigesteuerten Telefonanrufen setzte sich das Votum in der Sendung zusammen. Kein Stefan Raab war mehr im Boot. Gut und schön so.

Es kann nur aufwärts gehen

Nach der Bekanntgabe der Endziffern für die jeweiligen Titel („ist doch tittileicht“, so Engelke) und dem guten alten Schnelldurchlauf, folgte somit die dann allerdings doch ganz lässig vollzogene Siegerehrung. Unisono sahen die Radiohörer zwar die Bayern von La Brass Banda vorne, das half aber nichts, denn am Ende triumphierte die Sängerin Cascada, die ihr Glück zunächst offenbar selbst nicht fassen konnte, was wiederum dem unbeleckten Musikfreund nachvollziehbar erscheint. Aber vielleicht wird die gebürtige Britin Natalie Horler, von deren Songs bislang nur eingefleischte Dancebeatfreunde Notiz genommen haben, im Mai in Malmö die Kohlen aus dem Feuer reißen.

Denn „ein Drittel der letzten drei Wettbewerbe haben wir gewonnen“, scherzte Engelke zwar gestern. Andererseits kann es nur besser werden. Vom kleinen „Ausrutscher“ abgesehen, dem Sieg Lenas 2010 in Oslo, landeten die deutschen Beiträge in den vergangenen Jahren beim Song Contest auf Platz 20 („Miss Kiss Kiss Bang“ von Alex Swings Oscar sings im Jahr 2009), Platz 23 (die No Angels mit „Disappear“ 2008), Platz 19 („Frauen regier‘n die Welt“ von Roger Cicero 2007), Platz 15 (Texas Lightning, „No no ever“ 2006) und dem tatsächlich letzten Platz 2005 in Kiew, den die Sängerin Gracia mit „Run and hide“ errang. Von Lena also abgesehen kann es nur aufwärts gehen. Ob das jedoch ausgerechnet Natalie Horler alias Cascada gelingen wird?