Schon mit „Männern mit Erfahrung“ hat Castle Freeman einen Klasseroman abgeliefert. In „Auf die sanfte Tour“ setzt der Meister des lakonischen Witzes noch eins drauf.

Lokales: Hans Jörg Wangner (hwe)

Stuttgart - Schon allein diese Passage, in der Sheriff Wing berichtet, wie er Betrunkene zur Räson bringt, macht Castle Freemans „Auf die sanfte Tour“ zu einer kleinen Kostbarkeit. Kaum einer beherrscht derzeit den lakonischen Witz so souverän wie der gebürtige Texaner. Das war in „Männer mit Erfahrung“ so und ist in diesem Sheriff-Wing-Abenteuer sogar noch ausgeprägter.

 

Von wegen „Scheißitaker“

Noch nicht einmal 200 Seiten braucht Freeman, um die Geschichte des Gesetzeshüters zu erzählen, der einen schweren Spagat hinlegen muss zwischen dem Treiben eines heimischen Tunichtguts und der Gefahr, die von der Russenmafia ausgeht. Denn der notorisch delinquente Sean ist offensichtlich in ein Haus, ach was, in ein Anwesen eingebrochen, das den Herren aus dem ehemaligen Reich des Bösen gehört. Er hat einen Tresor mit brisanten Papieren gestohlen, den ersten seiner Verfolger (einen „Scheißitaker“, wie er in Unkenntnis der landsmannschaftlichen Zugehörigkeit meint) nackt an einen Baum gefesselt und ihm Waffe nebst Brieftasche abgenommen. „Ha“, schreibt Sean an den Sheriff, „schicken Sie keine Scheißitaker mehr.“

Doch Wing hat gar niemanden geschickt. Wie er eigentlich überhaupt gar nichts macht. Außer ein bisschen zu reden. Mit diesem. Mit jenem. Und am Ende so zu seinem Ziel kommt.

Das Ganze spielt in der Gegend von Brattleboro, einem beschaulichen 12 000-Einwohner-Städtchen im US-Bundesstaat Vermont, das, am Rande bemerkt, schon mal Schauplatz bester Krimiware war: der Joe-Gunther-Romane von Archer Mayor, die in Deutschland ja leider Gottes längst vergriffen sind. Aber vielleicht erbarmt sich ja ein Verlag . . .?

Der Griff an die Nase

Jedenfalls – es soll nicht verschwiegen werden, wie Sheriff Wing Betrunkene in den Griff bekommt: „Bei der Küstenstreife habe ich bemerkt, dass ich ein Talent dafür habe, mit Leuten zu sprechen, die sehr, sehr betrunken sind. Und dass man, sollte das alles nichts nützen, mit einem Betrunkenen fast alles machen kann, wenn man ihn fest am der Nase packt und sie dreht. Das richtet keinen bleibenden Schaden an, macht aber gefügig, und außerdem fließt eine Menge Blut, und das verändert nicht nur die innere Haltung des Betroffenen und macht ihn nachdenklich, sondern beeindruckt auch seine Freunde, die sonst vielleicht Lust hätten, sich an einer kleinen Balgerei zu beteiligen.“

Wer das nicht komisch findet (und auch nicht den feinen Ton, den der Übersetzer Dirk von Gunsteren anschlägt), der soll halt in Gottes Namen was anderes lesen. Selber schuld.

Castle Freeman: „Auf die sanfte Tour“. Übersetzt von Dirk van Gunsteren. Verlag Nagel & Kimche. 192 Seiten, 19 Euro. Auch als E-Boook.