Obwohl die Führung auf Bundesebene die Stuttgarter Niederlage kleinredet, bleibt die bittere Erkenntnis: Die Konservativen finden keinen Zugang zu den Wählern in den Großstädten. Und die nächste Niederlage ist schon in Sichtweite.

Berlin/Stuttgart - CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe wollte bei der Pressekonferenz nach der Sitzung des Parteipräsidiums zunächst gar nicht über Stuttgart reden. Er zog es vor, die Leistung der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel beim EU-Gipfel in Brüssel zu würdigen. Die historische Niederlage der Partei bei der Oberbürgermeisterwahl soll klein erscheinen angesichts der Größe der Herausforderung, der sich die Kanzlerin bei der Rettung Europas zu stellen hat.

 

So ist das oft bei Merkel. Dinge, die schlecht laufen, schiebt sie weg, auf dass sie gar nicht erst mit ihrer Person in Verbindung gebracht werden. Es sei vor Ort „eine spezifische Situation durchaus festzustellen“, sagte Gröhe auf Nachfrage lustlos und etwas umständlich. Immerhin ließ er sich entlocken, dass es „eine bleibende Herausforderung“ sei, „die großstädtischen Milieus noch stärker anzusprechen“. Aber klar sei eben auch, dass jeder Oberbürgermeisterwahlkampf eben so seine Eigenheiten mit sich bringe. Kein Grund zur Panik also.

Die Wähler trauen dem modernen Image der CDU nicht

Ganz so einfach ist das nicht. In Zeiten, in denen die Union eine Großstadt nach der anderen verliert ist diese Schlappe besonders bitter. Mit Fritz Kuhn steigt ein Grüner im Rathaus auf. Und mit Winfried Kretschmann schwingt ein Grüner in der Staatskanzlei das Zepter. Die CDU kann es sich nicht mehr erlauben, im Ländle von einer vorübergehenden Laune der Wähler zu sprechen. Sie erreicht die städtischen Milieus nicht mehr. Eine Lösung ist nicht in Sicht. Die Wähler scheinen gerade in großstädtischen Regionen der CDU nicht zu trauen, egal welches Label sie sich in Wahlkämpfen aufklebt. Es mag ja sein, dass sich Merkel etwa für Ganztagsschulen und den Ausbau von Kitas einsetzt. Aber wie steht es mit dem Rückhalt in ihrer Partei?

Die Union hat in den vergangenen Jahren ihre wenigen erfolgreichen Großstadtpolitiker meist so behandelt, als würden sie gar nicht recht dazu gehören. Den ehemaligen Hamburger Oberbürgermeister Ole von Beust, der mit den Grünen koalierte, hielt die Partei bundespolitisch regelrecht in Quarantäne. Er durfte für die CDU Wahlen gewinnen, aber ansonsten war er dem Parteienestablishment fremd. Ein Aushängeschild für ein aufgeklärtes konservatives Weltbild bastelte die Partei aus dem homosexuellen Grünenfreund jedenfalls nicht. Auch die ehemalige Frankfurter Oberbürgermeisterin Petra Roth, weltoffen und liberal, sollte zwar im Auftrag der CDU Frankfurt halten, aber ansonsten nach Möglichkeit nicht als Folie herhalten für eine großstädtische Anmutung der Partei. Auch Merkel selbst wird ja von ihrer eigenen Partei vorgehalten, in der Familien- und Gesellschaftspolitik abseits konservativer Gewissheiten ihr Unwesen zu treiben. Einzig Erfolg und konkurrenzlose Beliebtheitswerte machen sie unangreifbar.

Nur in Mittelstädten können die Konservativen noch punkten

Am Tag der Niederlage fanden die Christdemokraten Trost in Donaueschingen, Biberach und Konstanz. Dort habe die CDU in den vergangenen Monaten gezeigt, dass sie auch noch gewinnen könne, verkündete der Landesvorsitzende Thomas Strobl. An der Donauquelle behauptete sich ein CDU-Mann, in Oberschwaben wurde das Rathaus von einem Genossen, am Bodensee von einem Grünen zurückerobert. Es handelt sich indes um Mittelstädte, die man zumindest teilweise noch zum ländlichen Raum zählen kann – der Domäne der CDU in Baden-Württemberg. An der Analyse, dass man sich in Großstädten generell schwertue, ändern die Erfolge nichts.

An dem Problem grübelt die Südwest-CDU freilich schon länger herum. Mit Turner wagte sie nun ein Angebot an die sonst so schwer erreichbaren Städter. Ob der Versuch grundsätzlich misslungen ist oder ob es an der Person lag, darüber gehen die Analysen in der Landespartei auseinander. Große Begeisterung für Turner ließ sich die Parteispitze jedenfalls nicht anmerken. In Strobls kurzer Erklärung fand sich kein Wort des Lobes für den Kandidaten, den Kanzlerin Angela Merkel den Stuttgartern noch persönlich zur Wahl empfohlen hatte. Merkels Vertraute Annette Schavan soll übrigens maßgeblich an der Idee beteiligt gewesen sein, die Bastion Stuttgart mit Turner zu verteidigen.

„Wir sind eine Landeier-Partei“, analysierte noch am Wahlabend ein CDU-Landtagsabgeordneter. Den Christdemokraten gelinge es einfach nicht, das Lebensgefühl der modernen Städter zu treffen. Sie wirkten genauso spießig wie das Lokal, in dem ihre Siegesfeier stattfinden sollte, meinte ein Spötter – der bieder-gemütliche Stuttgarter Ratskeller. In den nächsten Monaten werden sich Parteistrategen nun wieder einmal die Köpfe zerbrechen, wie man die rätselhaften Stadtbewohner besser erreichen könnte. Geht es um die Themen, um die Sprache, um die Köpfe? An Meinungen herrscht kein Mangel.

Auch Karlsruhe droht verloren zu gehen

Schon in wenigen Wochen droht der CDU in Karlsruhe indes das nächste Debakel, wenn der Nachfolger von Heinz Fenrich (CDU) zu küren ist. Dort werden dem von den Grünen unterstützten SPD-Kandidaten Frank Mentrup gute Chancen gegen den CDU-Bewerber Ingo Wellenreuther eingeräumt. Nach der Landeshauptstadt auch noch die badische Residenz zu verlieren – das würde die Serie von CDU-Niederlagen komplett machen.

Selbst auf die CDU-Honoratioren ist in Karlsruhe kein Verlass mehr. In Stuttgart ließ sich Alt-Oberbürgermeister Manfred Rommel noch für Turner einspannen. In Karlsruhe aber machen CDU-Granden wie der frühere Staatsrat und EnBW-Chef Gerhard Goll keinen Hehl daraus, wie wenig sie von ihrem Parteifreund Wellenreuther halten – und wie viel mehr von dem SPD-Mann Mentrup.