Der Wahlforscher Matthias Jung wundert sich, dass die Wahlniederlage der CDU „in weiten Teilen“ der Partei noch nicht richtig erfasst worden sei.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Die Klarstellung schien Peter Hauk geboten. „Wir wollen nicht mit den Grünen fusionieren“, beteuerte der nordbadische CDU-Bezirkschef bei der Wahlanalyse seines Verbandes in Mannheim. Bei den Koalitionsverhandlungen gehe es um ein „Arbeitsprogramm für fünf Jahre“, aber nach dessen Abarbeitung sei Schluss mit Konsens, „dann trennen sich die Wege wieder“. Grüne und CDU blieben zwei unterschiedliche Parteien, die freilich „um die gleichen Menschen buhlen“.

 

Es gebe „ein paar Gemeinsamkeiten“, berichtete Hauk aus den Gesprächen: Klimaschutz, Bewahrung der Schöpfung, Freiheit des Menschen – da sei man sich einig. Dissens bestehe teils über die richtigen Wege zum Ziel, teils über die Ziele selbst. Beim Klimaschutz etwa setzten die Grünen auf „mehr Windräder“, die Christdemokraten dagegen auf mehr Technik. Größer seien die Gegensätze in der Schulpolitik: die CDU wolle ein „differenziertes Schulsystem“, die Ökopartei „eine Schule für alle“. Man wolle „keinen Schulfrieden“, dem die eigenen Positionen dauerhaft geopfert würden, konstatierte der Bezirkschef.

Die Wiederwahl erschlichen

Wer die CDU-Politik in einem Bündnis mit den Grünen vertrete, sei noch offen. Von dem Abend nehme er aber mit, „dass es einer nicht machen kann“. Wer so „singulär schlechte Werte“ erzielt habe, komme nicht in Frage; vorsorglich drohten manche Ortsverbände „schon mit Aufstand“. Den Namen Guido Wolf erwähnte Hauk nicht, doch den versammelten Funktions- und Mandatsträgern war klar, dass er gemeint war. Schon zuvor hatte der frühere Fraktionschef gerügt, wie sich sein Nachfolger zwei Tage nach dem Wahldebakel die Wiederwahl gleichsam erschlichen habe: Von den Abgeordneten sei er nur deshalb mit 80 Prozent bestätigt worden, weil diese sich noch der von ihm genährten Illusion hingegeben hätten, die CDU könne in einer Koalition mit SPD und FDP doch noch den Ministerpräsidenten stellen.

Kein gutes Haar hatte auch der Leiter der Forschungsgruppe Wahlen, Matthias Jung, an Wolf gelassen. In seiner Analyse, die er am Freitagabend auch vor den Gremien der Landespartei darlegen sollte, gab er dem Spitzenkandidaten einen erheblichen Anteil an dem Debakel. Dessen Tragweite sei in „weiten Teilen der CDU“ noch gar nicht richtig erfasst worden. Ein Absturz um zwölf Prozentpunkte – da erwarte man „normalerweise Konsequenzen“, sagte Jung unter dem Beifall der Zuhörer. Doch er habe fast den Eindruck, die Partei sei „froh, die Fünf-Prozent-Grenze geschafft zu haben“.

Gerade bei den als unwichtig empfundenen Landtagswahlen zähle das Ansehen des Spitzenkandidaten. Die Kluft zwischen Wolf und dem Grünen-Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann sei da selten groß gewesen; mit einer Beliebtheit um den Nullpunkt habe sich Wolf in der „gleichen Liga“ wie der Kurzzeit-Premier Stefan Mappus befunden. Vergleichbares habe es eigentlich nur bei der Bürgerschaftswahl 2011 in Hamburg gegeben, berichtete der Wahlforscher: Dort war die CDU mit dem aus Heidelberg stammenden Spitzenkandidaten Christoph Ahlhaus um gut zwanzig Prozentpunkte abgestürzt. Der Vormann sei danach „spurlos verschwunden“. Das klang wie eine Aufforderung an Wolf, es ihm nachzutun.

Ein fassungsloser Wahlforscher

Als „dramatische strategischen Fehler“ des Spitzenkandidaten wertete es Jung, dass er sich in der Flüchtlingspolitik vom Kurs der Kanzlerin abzusetzen versuchte. „Verheerend“ sei das gemeinsame Positionspapier mit seiner Mainzer Kollegin Julia Klöckner gewesen: „Das ist als Hosenscheißer-Strategie wahrgenommen worden.“ Wer Führung beanspruche, dürfe nicht derart zögern und zaudern. Fast fassungslos zeigte sich der Wahlforscher, wie man auf die Idee kommen konnte, im Wahlkampf auf Distanz zu Angela Merkel zu gehen: Deren Ansehen sei trotz der Kritik an ihrer Flüchtlingspolitik relativ stabil gewesen, das Schielen nach rechts habe sich nicht ausgezahlt.

Die Bundes-CDU werde überhaupt als moderner als die Landespartei wahrgenommen, berichtete Jung. Es sei ein Irrglauben ihrer Funktionäre, an den Stammtischen könnten sie „die Volksmeinung messen“; bei allen Parteien seien die Wähler „moderner, als die Kader glauben“. Wenn selbst „den Alten der Kragen platzt“, sei das ein Alarmzeichen, sagte der Forscher mit Blick auf die Wanderung der mehr als 60-Jährigen zu den Grünen. Die Südwest-CDU müsse sich also gewaltig anstrengen, um mit dem gesellschaftlichen Wandel Schritt zu halten. Das werde freilich nicht leicht mit einer Landtagsfraktion, in der die großen Städte nicht mehr repräsentiert seien.

„Sehr ernüchternd“ sei diese Analyse, bilanzierte Peter Hauk. Noch drastischer formulierte es ein Mannheimer Parteifreund: Es sei ein „unglaublich schwerer Abend“ mit „vielen unangenehmen Wahrheiten“ gewesen. Nun müsse die CDU wirklich Ernst machen mit der Modernisierung, mahnte er: „Sonst sehe ich für dieses Land grün.“