Guido Wolf hat als Jurist und Landrat Karriere gemacht. Nun will er Ministerpräsident werden. Als erstes muss er den Mitgliederentscheid in seiner eigenen Partei, der CDU, für sich entscheiden. Im Dezember steht das Ergebnis fest.

Heggelbach/Stuttgart - Die Blasmusik Heggelbach hat bereits ihr drittes Stück absolviert, als Guido Wolf aus der Nacht ins Licht tritt – euphorisch begrüßt vom örtlichen Landtagsabgeordneten: „Der große Hoffnungsträger der Landes-CDU ist bei uns“, schmettert Paul Locherer in den Saal, in dem sich eine stattliche Hundertschaft meist älterer Herren eingefunden hat. „Viele Frauen sind ja nicht da“, konstatiert einer von ihnen nach einem forschenden Blick ins Auditorium. Aber dafür jetzt Guido Wolf (53), der Landtagspräsident und Bewerber für die Spitzenkandidatur der CDU bei der Landtagswahl im Frühjahr 2016. Das akademische Viertelstündchen Verspätung erscheint hinnehmbar. Wolfs Konkurrent Thomas Strobl, so wird nebenbei bedeutet, habe neulich deutlich länger auf sich warten lassen, und nicht halb so viele Leute seien gekommen.

 

Strobl ist ja auch Heilbronner, zwar Landesvorsitzender, aber eben kein Allgäuer. Wolf hingegen stammt aus Weingarten, er bezeichnet sich liebevoll als „Weingärtler“, jedenfalls geht er ohne Weiteres als Oberschwabe durch. Und müssen die Allgäuer und die Oberschwaben nicht zusammenhalten? „Wir wollen an einem Strang ziehen“, umgarnt Wolf seine Zuhörer im Dorfgemeinschaftshaus von Tautenhofen, einem zur alten Reichsstadt Leutkirch gehörenden Flecken an der A 96 zwischen Memmingen und Bodensee. Aus der Ferne grüßen, wenn sich der Vollmond nicht gerade hinter dicken Wolken verbirgt, die Allgäuer Berge, der Hochgrat und das Rind-alphorn. In den Ställen stehen die Allgäuer Milchkühe, deren Duft die Luft angenehm würzt. Wolf beteuert, den ganzen Tag habe er sich schon darauf gefreut: in Stuttgart aufwachen, am Abend im Allgäu ankommen – das Beste zum Schluss, so müsse es sein. „Die CDU hat ein Herz für Oberschwaben und das Allgäu“, versichert er. Anders als die Regierung in Stuttgart, die im Schwarzwald das eine oder andere Tal zuwachsen lassen wolle. Auch im Allgäu?

Wolf spielt die Heimatkarte

Das Dorfgemeinschaftshaus in Tautenhofen mutet an wie ein Stück Wirklichkeit gewordene CDU-Programmatik – Kapitel Eigenverantwortung. Zehntausend Arbeitsstunden haben die Dorfbewohner in den Bau gesteckt und überdies einen – so der Leutkircher OB Hans-Jörg Henle – mittleren sechsstelligen Betrag erwirtschaftet, ergänzt durch EU-Zuschüsse. Den Unterhalt bringt ein Trägerverein auf, für die Bewirtung sorgen die Landfrauen. Auch in Sachen Ökologie zeigt man sich auf der Höhe der Zeit, wie eine Erdsonde im Boden und die Solarzellen auf dem Dach beweisen. Gelebte Subsidiarität: anpacken, was man selbst erledigen kann.

Schön hier. Und doch ist Guido Wolf im Grunde nur gekommen, um zu sagen, dass es ihn zurück nach Stuttgart treibt. Aus dem Licht zurück ins Dunkel. Mit aller Kraft und aller Macht. Ministerpräsident werden, das ist sein Ziel. Er wolle „in dieser schwierigen Situation, in der sich die CDU befindet“, einen Neubeginn verkörpern. So sieht das Wolf, dieser kleine, gedrungene, so gar nicht imposante, aber knitze Mann, dessen Augen in guten Momenten Neugier und Aufgeschlossenheit verraten.

Rückblende. Anfang Juli sitzt der Landtagspräsident in seinem Stuttgarter Büro und skizziert seinen Plan. Wie will er es schaffen, Winfried Kretschmann 2016 zu schlagen? Jenen Mann, den nach CDU-Lesart nur eine Ansammlung unglücklicher Umstände – Fukushima, Stuttgart 21, Stefan Mappus – ins Amt verholfen hat. Der dort aber zum Leidwesen der Christdemokraten eine durchaus glückliche Figur macht. Wolfs Analyse: Die Menschen verlangten einen anderen Politikstil als ihn die CDU zuletzt unter dem Regierungschef Mappus gezeigt habe. „Die Leute wollen nicht den Haudrauf, nicht den Politiker, der im ersten Aufschlag schon das Patentrezept für fertige Lösungen liefert. Sie wollen den Politiker, der Gesprächsbereitschaft und Offenheit mitbringt.“ Diese Eigenschaft besitze er, das verbinde ihn mit Kretschmann. „Ich bin kein Bullterrier.“ Wenn er etwas könne, sagt Wolf, dann Nähe zu den Menschen herstellen. Der Unterschied zu Kretschmann: „Ich bin ein in der Sache sehr durchsetzungsstarker Mensch.“ Kretschmann hingegen gefalle sich „in der Rolle der Auslage im Schaufenster seiner Partei“. Er sei „der Blickfang“, doch „die eigentlichen Inhalte befinden sich oft nicht im Schaufenster, sondern im Lager“.

Zweifel an seiner Kompetenz nagen an der Partei

Es gibt Christdemokraten, die Wolfs Strategie für verfehlt halten. „Wer Kretschmann haben will, wählt Kretschmann“, sagt ein Mitglied des Parteivorstands. „Nicht Kretschmann light.“ Auch Thomas Strobl habe seine Defizite, doch der Landeschef sei politischer, verfüge über mehr Erfahrung und zeige, wenn es darauf ankomme, auch den klareren inhaltlichen Duktus. Andere sagen, Wolf sei dank seiner geschmeidigen, mitunter auch mit allerlei Girlanden behangenen Rhetorik der bessere Spitzenkandidat, Strobl im Zweifel der fähigere Ministerpräsident. Dann gibt es noch die Vertreter des Neutralisierungstheorems: Wolf ermögliche es CDU-Wählern, die den schneidigen Ton satt hätten, der Partei treu zu bleiben – trotz Kretschmann. „Wir brauchen jemand, der Kretschmann neutralisiert, so gut es eben geht“, sagt ein führendes Parteimitlied. Jedoch erhebt sich auch dagegen Widerspruch: Strobl verfüge über das bessere Gespür. Als „Allerweltspartei“ hätte er – anders als Wolf – die CDU jedenfalls nicht hingestellt.

Tatsächlich hat Wolf als Politiker bisher kaum Spuren hinterlassen. Wie auch. Zwar kommt er aus einer politischen Familie: sein Großvater Franz Weiß war nach dem Krieg Landwirtschaftsminister in Württemberg-Hohenzollern gewesen, doch der Lebensweg des Enkels führte ins politiknahe Beamtentum. Der verheiratete Jurist Wolf war persönlicher Referent des Verkehrsministers Thomas Schäuble, avancierte zum Verwaltungsrichter, der viel mit Asylsachen zu tun hatte (zuständig für Afghanistan, Nepal und Restjugoslawien inklusive Kosovo), er schaffte es bald darauf ins Staatsministerium als Referatsleiter unter Erwin Teufel. „Dort habe ich Blut geleckt, was die Politik angeht“, sagt er. Schließlich wurde er zum Ersten Bürgermeister in Nürtingen und dann zum Landrat in Tuttlingen gewählt. In jungen Jahren verlor er die OB-Wahl in seiner Heimatstadt Weingarten. 2006 zog Wolf in den Landtag ein und wurde 2011 zum Landtagspräsidenten gewählt. Ein Amt, das zu parteipolitischer Zurückhaltung verpflichtet.

Wolf versucht aus der Not eine Tugend zu machen, indem er sich als „geerdet“ bezeichnet und auf die kommunalen Wurzeln Erwin Teufels verweist. Dessen Regierungszeit habe „nicht die schlechtesten Jahre Baden-Württembergs“ umspannt. Doch als Wolf als Landtagspräsident ein Mal wirklich gefordert war, ging es schief: Justizminister Rainer Stickelberger (SPD) hatte ihn per Brief („Vertraulich/Persönlich“) darauf aufmerksam gemacht, dass es im Untersuchungsausschuss zur EnBW-Affäre ein Leck gebe. Statt der Sache nachzugehen, verräumte Wolf das Schreiben im Aktenschrank. Später kam heraus, dass der Ausschussvorsitzende Ulrich Müller (CDU) den früheren Regierungschef Stefan Mappus mit vertraulichen Akten gefüttert hatte. Müller trat zurück.

Das zweite Fragezeichen, dem sich Wolf stellen muss, zielt auf den Kern seiner Kampagne: auf das Bild des „Integrators“. Wolf sei nicht der, der er vorgibt zu sein. Wegbegleiter berichten, er reagiere patzig auf Widerworte, vertrage keine Kritik und verliere in Stresssituationen schnell die Souveränität. Das Interesse an den Menschen sei nicht echt. Dem halten Wohlmeinende entgegen, der Mann sei Landrat gewesen. „Ein Landrat ist Gott, der ist Widerspruch einfach nicht gewohnt, schon gar nicht ein Landrat in Tuttlingen.“

Im Dorfgemeinschaftshaus Tautenhofen präsentiert sich Wolf von seiner Schokoladenseite. Er setzt seinen Plan vom Sommer um. Zwar kritisiert er Grün-Rot in vielerlei Hinsicht: in der Schulpolitik („gleichmacherisch“), in der Finanzpolitik („zu wenig ambitioniert“), in der Verkehrspolitik („Ich sage jetzt nur: Winfried Hermann“). Doch rät er, „als CDU-Politiker nicht zu behaupten, alles sei falsch gemacht worden von der Landesregierung“. Wer Parteipolitik nur um des Streites willen betreibe, habe in den Augen der Menschen ausgedient. Die Wahl 2011 habe man unter anderem deshalb versemmelt, weil die CDU nach 58 Regierungsjahren vom Virus der Überheblichkeit befallen gewesen sei.

Solche Selbstkritik wird selbst im Allgäu nicht mehr als Schwächezeichen gedeutet. „Man muss auch die anderen gelten lassen“, sagt einer der älteren Herren, seit 30 Jahren in der CDU, die Hände von der Arbeit gezeichnet. Dieser Guido Wolf gefällt ihm. Wolf, die Lichtgestalt der CDU, grüßt ein letztes Mal, dann verschluckt ihn die Nacht. Drinnen ist der Satz zu hören, der in der CDU immer noch das stärkste Argument für einen Kandidaten liefert: „Mit Wolf können wir gewinnen.“