Die Landes-CDU beschließt am Wochenende in Rust ihr Wahlprogramm. Die Blicke richten sich aber vor allem auf Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, der dem Unbehagen über die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin zuletzt seine Stimme gegeben hat.

Stuttgart - Ist es ein Fernduell oder eine klug orchestrierte Parallelaktion? Angela Merkel in München und Wolfgang Schäuble im badischen Rust: die Kanzlerin und ihr mächtigster Antagonist treten am Freitag an getrennten Stätten vor das Publikum der Unionsparteien. Merkel fällt dabei zweifellos die schwierigere Aufgabe zu: Sie muss auf dem CSU-Landesparteitag die Herren Seehofer, Horst, und Söder, Markus, sowie deren christsoziales Gefolge von der Sinnhaftigkeit ihrer Flüchtlingspolitik überzeugen. Für die Kanzlerin ein Auswärtsspiel, ganz klar. Zumal die Sache dadurch nicht einfacher wird, dass die Flüchtlingskrise in der CSU als Folie für innerparteiliche Machtkämpfe herhalten muss. Schäuble hingegen bestreitet im Europa-Park ein Heimspiel, bei dem zu beobachten sein wird, ob es der Parteitagsregie um den CDU-Landeschef Thomas Strobl gelingt, die Beifallswogen der Delegierten so einzuhegen, dass der Jubel für den Parteipräzeptor Schäuble nicht als Misstrauensbekundung für die Kanzlerin Merkel zu deuten sein wird.

 

Die Flüchtlingskrise spaltet die Union, und sie reißt auch die CDU in Baden-Württemberg schier auseinander. Zwar regt sich im Landesvorstand keine oder nur wenig Kritik am Kurs der Kanzlerin – die Wortführer einer Abschottungspolitik wie die Bezirksvorsitzenden Thomas Bareiß (Südwürttemberg-Hohenzollern) und Steffen Bilger (Nordwürttemberg) halten sich zurück. Doch an der Basis ist die Stimmung explosiv. Landesparteichef Thomas Strobl berichtet von stundenlangen Debatten in überfüllten Versammlungen. „Unsere Gesellschaft ist in dieser Frage hin- und hergerissen, und das spiegelt sich in der Volkspartei CDU wider“, räumt Strobl unumwunden ein. Er spricht von „heftigen Diskussionen“ in der Landespartei. „Es gibt eine ganz große Hilfsbereitschaft, aber auch eine gewisse Verunsicherung angesichts der Menge der Menschen, die da kommen.“ Für Strobl steht deshalb auch fest: „Wir müssen erreichen, dass die Zahl der Flüchtlinge signifikant zurückgeht.“ Dies müsse sehr rasch geschehen.

„Wir stehen voll und ganz hinter der Kanzlerin“

Da fügt es sich, dass mit Schäuble jener CDU-Minister im Europa-Park als Starredner auftritt, der zuletzt am deutlichsten gegen die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin Front gemacht hat. Damit freilich habe die Einladung nichts zu tun, will CDU-Landeschef Strobl glauben machen. Schäuble stamme eben aus der Region und springe im Übrigen für Bundesinnenminister Thomas de Maizière ein, der zu einem dem Pariser Terroranschlag geschuldeten Ministertreffen nach Brüssel enteilen müsse. Zwar führt Thomas de Maizière zusammen mit Schäuble innerhalb der CDU die Fronde gegen die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin an, aber auch das, so heißt es in der Landes-CDU, habe für die ursprüngliche Einladung keine Rolle gespielt. Diese sei erfolgt, als man de Maizière noch loyal an der Seite Merkels wähnte. CDU-Landeschef Strobl versichert: „Wir hatten de Maizière schon lange unter Vertrag.“ Merkel werde zum nächsten Parteitag vor der Landtagswahl im März erscheinen. „Wir stehen voll und ganz hinter der Kanzlerin“, beteuert Strobl.

So reist also Schäuble zum Parteitag an, und wieder wird jeder seiner Sätze, jedes seiner Worte einer sorgfältigen Exegese und jedes Zucken seiner Augenbrauen einer detaillierten Interpretation unterzogen werden. Inzwischen hat sich eine neue hermeneutische Fachrichtung entwickelt: die des Schäuble-Verstehens. In deren Mittelpunkt steht die Frage: Was will Schäuble? Was drückt ihn, was brütet er aus, was plant er? Merkel stürzen und Kanzler werden? „Ja“, antwortet lakonisch ein CDU-Vorstandsmitglied. Tatsächlich? Derlei Spekulationen mögen Schäubles Ego schmeicheln, die Probleme werden so aber nicht gelöst. Zumal niemand weiß, was Schäuble mit den Flüchtlingen täte, wenn er denn Kanzler wäre. Die Grenzen schließen und damit den Balkan ins Chaos führen?

„Merkel hätte Schäuble entlassen müssen.“

Nicht alle in der Landes-CDU halten Schäubles Verhalten für akzeptabel. „Schäuble spielt mit uns“, sagt ein wichtiger CDU-Funktionär aus dem Land. „Er weiß , dass alle bangen, was er sagt.“ Die Gleichsetzung der Flüchtlinge mit einer Lawine samt Verballhornung der Kanzlerin als „unvorsichtige Skifahrerin“ nennt der Parteimann unmöglich. „Merkel hätte Schäuble entlassen müssen.“ Die Mehrheit in der Landes-CDU sieht das wohl anders – und findet, jemand müsse der Kanzlerin ins Lenkrad greifen. CDU-Spitzenkandidat Guido Wolf vermeidet jedes Bekenntnis zur Politik des „freundlichen Gesichts“. Er schiebt die Kanzlerin auf das Parkett der internationalen Politik. Ihre Rolle erkennt er in der Sicherung der EU-Außengrenze oder im bis jetzt eher erfolglosen Bemühen um einen nennenswerten Beitrag weiterer EU-Staaten zur Flüchtlingsaufnahme. Er lobt sie als „Fels in der Brandung“. Spätestens an der deutschen Grenze hört der Spaß aber auf. Im inneren Umgang mit den Flüchtlingen erwähnt er Merkel ungern. Vielmehr warnt er davor, Land und Leute zu überfordern.

Immerhin kann die Landes-CDU darauf hoffen, bald wieder den Ministerpräsidenten zu stellen. Das Kalkül: die Flüchtlingskrise werde die AfD mit womöglich zweistelligem Ergebnis ins Landesparlament spülen – und damit eine grün-rote Mehrheit verhindern, weshalb der Auftrag zur Regierungsbildung automatisch an die CDU falle. Nachdenkliche Christdemokraten warnen: „Bei der Wahl können Veränderungen auftreten, das glaubt man gar nicht.“ 1992, nach einem bitteren Asylwahlkampf, waren nicht nur die rechtsradikalen Republikaner in den Landtag eingezogen, die CDU sackte um fast zehn Prozentpunkte auf damals 39,6 Prozent ab. Welche Schlüsse die Partei im aktuellen Streit über die Flüchtlingspolitik zieht, ist offen. Womöglich bewegt sich die Kanzlerin in München – wie schon zuletzt – auf ihre Kritiker zu. Und womöglich lobt Schäuble in Rust die Kanzlerin. Das kann er nämlich auch, obwohl er im Schimpfen und Ätzen besser ist.