Schon zum dritten Mal in Folge ist die Datenwolke das zentrale Thema der Cebit in Hannover. Auf der Messe werden ab Dienstag wieder die digitalen Trends diskutiert.

Stuttgart - Larry Ellison war seiner Zeit einfach zu weit voraus. „Das Netz ist der Computer“ – mit dieser einfachen Losung brachte sein Unternehmen Oracle in Zusammenarbeit mit anderen Größen wie Sun und IBM eine neue Computergeneration heraus: Network Computer, kurz NC. Das waren billige Rechner mit eingebautem Modem, auf dem außer dem Browser Netscape Navigator – an den sich heute nur noch Internetveteranen erinnern – so gut wie keine Software war. Alles andere sollte der Besitzer im Internet finden.

 

Das klingt nach den heute populären kleinen Netbooks, und in gewisser Weise ist Ellisons Idee tatsächlich ein Vorläufer von solchen mobilen Geräten. Sie kam nur viel zu früh und wurde viel zu hastig und schlecht umgesetzt: 1996, kurz nach dem Erscheinen des gefeierten Microsoft-Betriebssystems Windows 95, brachte Oracle den NC heraus. Drei Jahre und fast 175 Millionen Dollar (damals etwa so viel auch in Euro) Verlust später zog das Unternehmen den Stecker. Bill Gates, damals Ellisons ewiger Rivale und Chef von Microsoft, schien recht zu behalten: er hatte den NC und die Idee, mit schmalbrüstigen Rechnerchen die weite Welt des Internet als Speicher- und Verarbeitungsort zu nutzen, als „Fantasie“ abgetan. Tatsächlich war der NC damals Fantasie – vor allem die Datenleitungen waren Ende der neunziger Jahre noch viel zu schwach dafür, und weder die Programme noch die Geräte selbst waren auch nur ansatzweise ausgereift.

Heute ist Ellisons Idee wieder da und gilt als der IT-Trend des Jahrzehnts. Auch in diesem Jahr wird er wieder die am kommenden Dienstag beginnende Computermesse Cebit prägen – und das bereits zum dritten Mal in Folge. Die Rede ist vom Cloud Computing. Cloud ist das englische Wort für Wolke und Metapher dafür, dass sich Daten und Anwendungen nicht mehr zu Hause oder in einem Unternehmen befinden, sondern auf einem oder gar mehreren Großrechner(n) liegen, die irgendwo auf der Welt stehen können.

Cloud Computing verändert die digitale Welt grundlegend

Privatanwendern ist die Wolke spätestens ein Begriff, seit Apple seine iCloud im vergangenen Jahr lancierte, und es auch über Google hartnäckig entsprechende Gerüchte gibt. Doch diese Clouds zeigen auch, wie wolkig der Begriff Cloud gleichzeitig ist – denn jeder definiert das Trendwort ein klein wenig anders, und auf alle Fälle meint Cloud Computing in der Regel deutlich mehr als die simpelste Variante, Daten fremdzuspeichern. Und dazu sind Apples und Amazons Clouds da: zur zentralen Lagerung von Daten wie Musik oder Dokumenten, um auf sie von verschiedenen Endgeräten wie iPhone und iPad aus zugreifen zu können. Cloud Computing meint vielmehr, dass vor allem auch Anwendungen und ihr Betrieb ausgelagert werden. Der Nutzer selbst hat nur noch ein Ausgabegerät.

Ein Unternehmen, das solche Dienste schon seit Jahren anbietet, ist die Nürnberger Datev: Die Genossenschaft wurde vor vier Jahrzehnten gegründet, um Rechenleistung für Steuerberater zentral zu bündeln. Mittlerweile zählen auch viele Unternehmen zu den Kunden, die häufig ihre gesamten Geschäftsprozesse von der Angebots- bis zur Rechnungserstellung auf den Servern der Datev laufen lassen und deren Steuerberater ihrerseits bei der Datev beispielsweise auf das digitale Belegarchiv zugreifen, um die Buchhaltung für ihre Mandanten abzuwickeln.

Das Beispiel Datev zeigt, was sich in den letzten Jahren verändert hat und warum Cloud Computing zu einem Trend geworden ist, der die digitale Welt grundlegend verändert: Denn früher gaben die Steuerberater ihre Daten auf Lochkarten nach Nürnberg – heute jagen sie sie natürlich durch leistungsstarke Datenleitungen. In der Folge gibt es mittlerweile ein breites Angebot an Cloud-Computing-Dienstleistungen für jeglichen Zweck von großen Konzernen wie IBM, Google, Microsoft, Oracle, HP oder T-Systems und zahllosen mittleren und kleineren Anbietern.

Für Unternehmen tun sich ganz neue Perspektiven auf

Und auch für Privatanwender kommen ganz neue Cloud-Dienstleistungen auf den Markt: So bieten seit Kurzem die ersten Hersteller sogenanntes Cloud Gaming an, bei dem die Spiele nicht mehr auf heimischen Rechnern oder Spielkonsolen laufen, sondern in Rechenzentren. Was beim Spieler zu Hause ankommt, ist entsprechend eine Art Videobild, das er beeinflussen kann. Hochleistungsrechner mit teuren und schnell überholten Hochleistungsgrafikkarten sind dafür nicht mehr nötig – Cloud Gaming ist sogar auf einem entsprechend ausgerüsteten Fernseher möglich.

Die Vorteile für den Anwender vor allem im Geschäftsbereich liegen auf der Hand: Investitionen in teure eigene Rechner oder Netzwerke fallen weg. Stattdessen mieten Unternehmen virtuelle Rechner in Großrechenzentren, die weltweit wie Pilze aus dem Boden schießen. Gleichzeitig wächst die Flexibilität: Wird eine Weile kaum Rechenleistung benötigt, fallen kaum Kosten an, ist plötzlich sehr viel erforderlich, lässt sich schnell Kapazität hinzumieten.

Zudem muss ein Unternehmen, das Cloud Computing umfassend nutzt, keine große eigene IT-Abteilung mehr vorhalten, die das eigene Netzwerk am Laufen hält. Die kleinen, standardisierten Endgeräte brauchen nicht viel Wartung. Und gerade für kleine und mittlere Unternehmen tun sich ganz neue Perspektiven auf, wie Mathias Weber, Bereichsleiter IT Services beim Branchenverband Bitkom, unterstreicht: „Sie können neueste Technologien nutzen, die vor Kurzem nur den Großen zugänglich waren.“ Der Verband schätzt das Umsatzpotenzial mit Cloud-Computing-Dienstleistungen alleine in Deutschland auf 5,3 Milliarden Euro. Bis 2015 soll es sich auf 13 Milliarden Euro mehr als verdoppeln.

Grundlegende Veränderungen im Hintergrund

Doch wo so viel Licht ist, lauert natürlich auch Schatten. So fiel ausgerechnet am 21. April 2011 ein Amazon-Rechenzentrum nahe Washington aus – neben seinem Handel mit fast allem, was nicht niet- und nagelfest ist, ist der US-Konzern auch einer der größten Anbieter von Rechenleistung in der Cloud. Abgesehen davon, dass solch ein Ausfall natürlich fatal ist, löste das Datum des Absturzes auch Aufruhr in der Gerüchteküche aus – markiert der 21. April doch für Science-Fiction-Fans ein Datum, an dem Maschinen die Macht übernehmen. Ein perfektes Anschlagsdatum also, wie viele Forennutzer in der Folge meinten.

Das zeigt, dass die Herausgabe von Daten über möglicherweise unsichere Leitungen ein diffiziles Thema ist. Hinzu kommen rechtliche Fragen, die beispielsweise aus Datenschutzgesetzen oder aus Verpflichtungen gegenüber Kunden und deren heimischen Gesetzgebungen resultieren. Doch auch daran arbeitet die IT-Branche und bietet beispielsweise garantiert deutsche Clouds an, die sich dem Zugriff allzu neugieriger US-Behörden entziehen. Hinzu kommt die Forschung an Verschlüsselungstechniken oder Zugangsbarrieren. Bitkom-Fachmann Weber glaubt, dass befriedigende Lösungen selbst für den Hochsicherheitsbereich nicht mehr lange auf sich warten lassen. „Wir werden in den nächsten Jahren eine deutliche Ausweitung der Einsatzgebiete von Cloud Computing in Wirtschaft und Verwaltung sehen. Da bin ich sicher.“ Und das wird die IT grundlegend verändern – im Hintergrund.