An diesem Donnerstag wird der Chamisso-Preis zum letzten Mal vergeben. Mit Abbas Khider wird ein Autor geehrt, der die hässliche Seite der Welt kennt, aber seinen Humor nicht verloren hat.

Kultur: Stefan Kister (kir)

Stuttgart - Von hier oben aus zeigt die Welt ihr schönstes Gesicht. Hier residierte einst der Firmengründer Robert Bosch in einem historistischen Prachtbau, gegenüber ragt das edel moderne Haus Heidehof ins Offene, dynamisch grüßt von unten das Daimler-Museum. Selbst die aus der Nähe eher unwirtliche Gewerbe-Szenerie im Neckartal zeigt sich von dieser Stuttgarter Nobel-Warte aus von ihrer besten Seite. Unten die Wirtschaft, oben die Ideen, Basis und Überbau, so könnte man den malerischen Aufriss fassen. Ein angemessenes Ambiente also für eine Institution wie die Robert-Bosch-Stiftung, die in zündende Kulturarbeit verwandelt, was einmal mit der Erfindung der Zündkerze begann.

 

Eines der weithin sichtbaren Banner der Institution, der Chamisso-Preis, wird in diesem Jahr eingeholt. Seit 1985 hat er signalisiert, welch frischer, weltduftender Wind in der deutschen Gegenwartsliteratur weht. Die Definitionen haben sich im Einklang mit der Gesellschaft gewandelt. Gastarbeiter-, Migrantenliteratur, Kulturwechsel – mit dem Vielstimmiger-Werden unserer Lebenswelt wurde der Chamisso-Sonderfall zum Normalfall zeitgenössischen Schreibens. Woraus die Bosch-Stiftung den vielleicht etwas voreiligen Schluss gezogen hat, dass es künftig keines eigenen Preises mehr für Autorinnen und Autoren bedürfe, die inzwischen ohnehin selbstverständliche Aspiranten für jede wichtige Auszeichnung des Landes sind. Aber beweist das wirklich, dass sie mittlerweile der literaturpolitischen Baumschule der Bosch-Stiftung entwachsen sind? Oder zeigt es nicht eher, wie fruchtbar und produktiv deren Hege war?

Immer mehrere Denkebenen im Kopf

Der letzte, dem sie noch zuteil wird, blickt gerade von der Terrasse in das beschauliche Prosperitäts-Panorama. Abbas Khider ist ein schöner Mann, der gerne lacht, obgleich er auch das hässliche Gesicht der Welt kennt. 1973 wurde er in Bagdad geboren und dort mit 19 Jahren, weil er Flugblätter gegen den Diktator Saddam Hussein verteilt hatte, verhaftet und gefoltert. Nach einer zweijährigen Gefängnisstrafe floh er 1996 aus dem Irak und reiste als illegaler Flüchtling durch verschiedene arabische und europäische Länder. Mit 27 Jahren kam er nach Deutschland. „Ich musste mir die Sprache erst erobern, wie eine Kolonialmacht“, scherzt der Autor, „beim Schreiben und Reden habe ich immer mehrere Denkebenen im Kopf.“

Was er erlebt hat, speist seine Romane, die er in der neu erlernten Sprache zu schreiben beginnt. Vier sind es bis jetzt geworden. Sein Debüt „Der falsche Inder“ trug ihm 2010 den Förderpreis ein. Für sein letztes Werk „Die Ohrfeige“, das die Unzulänglichkeit beschreibt, mit bürokratischer Selbstgerechtigkeit Asylschicksale angemessen beurteilen zu können, nimmt er an diesem Donnerstag in München den letzten Chamisso-Preis entgegen.

Migrantenliteratur, das klinge für ihn wie eine ansteckende Krankheit, sagt, nein prustet Khider mit seinem ansteckenden Lachen. Ist es also eher ein medizinischer Orden, der ihm da verliehen wird? „Man kann kritisieren, dass der Preis seine Träger abstempelt, und dass man dafür kämpfen muss, als deutscher Schriftsteller anerkannt zu werden. Andererseits gibt es Autoren, die brauchen von Anfang an Unterstützung, jemand, der ihnen die Tür öffnet und sich für sie einsetzt.“

Nach der Veröffentlichung seines ersten Romans 2008 im kleinen Nautilus Verlag hatte er in jeder Hinsicht eine schwere Zeit durchzustehen, auch finanziell. Erst mit dem Förderpreis zwei Jahre später änderte sich das. „Plötzlich hatte ich ein wenig Geld, konnte in Ruhe an dem nächsten Buch arbeiten. Und auf einmal hat man sich für mich interessiert, es kamen Lesung und Anfragen.“ So begann sein Leben als Schriftsteller.

Von Hass-Mails überschüttet

Große Probleme bereitet ihm die Begründung der Bosch-Stiftung, man habe nun sein Ziel erreicht, die Autoren im literarischen Leben der Gesellschaft etabliert. „Wenn ich sehe, was wir gerade in Deutschland erleben, wieviel Hass und Feindseligkeit – das spricht eine andere Sprache.“ Im letzten Jahr ist er hier nicht heimischer geworden, auch wenn er seit zehn Jahren die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt. Als er „Die Ohrfeige“ geschrieben hat, gab es noch keinen verstärkten Flüchtlingszustrom, keine Kölner Silvesternacht, keine aufgewiegelte Öffentlichkeit. Auf die mutige Provokation seines Buches, den Überlebenskampf abschiebungsbedrohter Asylanten gegen die rigiden Bestimmungen der Behörden in all seinen Facetten sichtbar zu machen, wirkten diese Ereignisse jedoch wie ein Brandverstärker.

„Plötzlich habe ich sehr harte Reaktionen bekommen, ich wurde bedroht, auf Lesungen beschimpft, mit Hass-Mails überschüttet: ,Verpiss dich aus Deutschland‘, ,Asylratte‘, ,Abbas Arschgeige‘.“ In harmloseren Beiträgen hieß es, er dürfe nicht kritisieren, sondern müsse dankbar sein, hier leben zu dürfen. „So kam das Wort ,Dankbarkeit’ in mein Leben.“

Khider schreibt über Menschen am Rand. Die frommen Überzeugungen, die die Gesellschaft von sich hat, stellen sie auf den Kopf. Was bedeutet es für den Einzelnen, wenn ein Politiker sagt, dieser oder jener müsse abgeschoben werden? „Mich als Schriftsteller interessiert nicht, was der Politiker, oder was das Gesetz sagt, sondern wie diese Menschen leben, was mit ihnen passiert, ihre Gefühle, ihre Träume, ihr Alltag – das kann nur Literatur und Kunst.“

Ohne Angst Spazierengehen

Es sind die Themen, die den Autor wählen, nicht umgekehrt. Khider hat viele Diktaturen erlebt, Kriege, die Doppelmoral des Westens, der auf der einen Seite das Fähnchen der Menschenrechte schwenkt, auf der anderen Seite Diktaturen unterstützt und mit Waffen handelt. „Das ist meine Welt, das sind meine Themen, sie gehören zur Welt. Ich bin gezwungen, darüber zu schreiben“. Aber der Lärm der Aktualität ist auch eine Gefahr für die Literatur. Jahrelang hat er gewartet, über Gefängnisse zu schreiben, bis die Distanz zu den schmerzhaften eigenen Erlebnissen groß genug war. „Für manche Stoffe braucht man Zeit.“

Irgendwann wird er auch einmal ein Werk über den Arabischen Frühling schreiben, vielleicht als Mainzer Stadtschreiber, eine weitere Ehrung, die ihm dieser Tage zuteil wurde. „So viele Revolutionen sind gescheitert, endlich schien es möglich, dass eine Revolution auch einmal gelingt.“ Das zu erleben in der arabischen Welt, ohne dass die Amerikaner oder die Islamisten dahinterstecken, sondern die einfachen Menschen auf der Straße, hat ihn mit ungeheurer Euphorie erfüllt. Auch wenn dieser Aufbruch in vielen Ländern gestoppt und in sein Gegenteil verkehrt wurde, leben dort seitdem viele junge Menschen mit dem Gefühl, etwas ändern zu können.

Für Deutschland wünscht sich Khider zweierlei: lachend eine Obergrenze – und zwar für bayerische Politiker; ernster dann, dass man als Schwarzhaariger auf der Straße in Ruhe spazieren gehen kann, einfach so, ohne Angst.