Die Robert Bosch Stiftung beendet ein erfolgreiches Projekt: 2017 wird der Chamisso-Preis zum letzten Mal vergeben. Ehemalige Preisträger protestieren dagegen.

Kultur: Stefan Kister (kir)

Stuttgart - Was für ein merkwürdiges Zusammentreffen. Am selben Tag, an dem der Deutsche Buchpreis mit der Bekanntgabe der Shortlist das Interesse der literarischen Öffentlichkeit auf sich zieht (siehe nächste Seite), macht die Nachricht die Runde, dass ein anderer erfolgreicher Preis, dessen Gewinner in den letzten Jahren immer häufiger auch auf den Auswahllisten der großen Auszeichnungen zu finden waren, im nächsten Jahr eingestellt werden soll. Die Rede ist von dem seit 1985 von der Stuttgarter Robert Bosch Stiftung ausgelobten Chamisso-Preis.

 

Mit ihm werden auf Deutsch schreibende Autoren ausgezeichnet, deren Werk, wie es in den Statuten heißt, von einem Kulturwechsel geprägt ist. Ursprünglich war die von dem Romanisten Harald Weinrich initiierte Auszeichnung auf die Förderung eines literarischen Randgruppenphänomens ausgerichtet, die sogenannte „Gastarbeiterliteratur“. Nach der Wende in Osteuropa erweiterte sich der Fokus auf die „Migrationsliteratur“. Längst ist das Fremdsprechen ein zentraler Lebensnerv der deutschen Literatur geworden. Deshalb werden seit 2012 eben nicht mehr nur Autoren prämiert, deren biografischer Hintergrund sie dafür prädestiniert, sondern auch solche, die vom Deutschen aus die Vielstimmigkeit der Welt erkunden. In diesem Jahr waren dies die in Deutschland geborenen Autorinnen Uljana Wolf und Esther Kinsky, deren nomadisierende sprachliche Neugier für die Vergabe entscheidender war als ein wie auch immer verschwimmender Migrationshintergrund.

Ungünstiger Zeitpunkt

Viele einstige Chamisso-Preisträger zählen mittlerweile zu den arrivierten und reich prämierten Autoren der Gegenwart, Feridun Zaimoglu etwa oder Terezia Mora, die 2013 den Deutschen Buchpreis gewann. Damit sieht die Bosch Stiftung nach 32 Jahren ihr Ziel erreicht. „Der Chamisso-Preis ist eine große Erfolgsgeschichte, die wir jetzt guten Gewissens abschließen können“, begründet die Geschäftsführerin der Stiftung, Uta-Micaela Dürig, die Entscheidung, die Auszeichnung 2017 zum letzten Mal zu vergeben. Die Literaturförderung solle künftig auf neue gesellschaftliche Ziele ausgerichtet werden.

Unter den 72 Preisträgern, in Teilen tatsächlich ein Who is Who der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur, sind auch die Autoren Ilija Trojanow und José F. A.  Oliver. In einem geharnischten Gastbeitrag für die FAZ äußern sie sich empört zu der geplanten Einstellung. Insbesondere kritisieren sie den gewählten Zeitpunkt. „Die mehr als eine Million Geflüchteten, die nach Deutschland eingewandert sind, werden eine eigene Literatur erzeugen“, geben sie zu bedenken. Damit kämen bisher ungehörte Geschichten und Erfahrungen, Schreibformen ins Land. „Diese Entwicklung mit Hilfe des Chamisso-Preises zu begleiten, hätte der Bosch-Stiftung sehr gut angestanden.“

Neue Projekte für die Schule

Die Diskussion um den Preis ist keine ganz neue. Immer wieder wurde auch von Autorenseite der Vorwurf erhoben, der Preis stigmatisiere seine Träger, ordne sie in Schubladen des Sprachwechsels und des Nicht-Dazugehörens. Auch in der Bosch-Stiftung diskutiert man seit vielen Jahren das Chamisso-Profil. Die Vorwürfe sind Frank Albers, der seit 2002 das Programm leitet, wohl bekannt. Durch Modifikationen wie die erwähnte Satzungsänderung, die den Akzent von der Abstammung auf die Gestaltung legte, trug man ihnen immer wieder Rechnung. Mittlerweile aber sei ein Punkt erreicht, an dem sich nicht mehr klar sagen lasse, worin der Preis sich eigentlich noch von anderen unterscheide. „Deshalb haben wir uns entschlossen“, so Albers, den zweiten Bestandteil des Preises, die Literaturvermittlung, stärker zu fördern. Wir sind nicht primär eine Literaturstiftung, sondern wollen gesellschaftlich wirken, und auch die erreichen, die normalerweise kein Buch in die Hand nehmen.“

Dass gerade in einer Zeit, in der immer mehr Menschen aus anderen Ländern nach Deutschland kommen, dem Preis neue Aufgaben zuwachsen könnten, sieht Albers nicht: „Diese Literatur gibt es noch nicht, es wird noch lange dauern, bis sie entsteht. Dann wird man neue Instrumente finden müssen, sie zu fördern.“ Inzwischen investiere man lieber in Projekte auch an Schulen, um neue Zugangswege zu finden. Pikanterweise ist einer seit vielen Jahren daran maßgeblich beteiligt: José F. A.  Oliver.