Am Donnerstag erhält der aus dem Irak stammende Autor Sherko Fatah in München die Auszeichnung der Robert Bosch Stiftung. Sein Werk begleitet kritisch die Turbulenzen zwischen dem Westen und dem Islam.

Stuttgart - Es ist noch nicht sehr lange her, dass der Islamische Staat die Bühne der Weltpolitik betreten hat und seither mit seinen Eroberungszügen im Norden des Iraks, mit bilderstürmerischen Aktionen und bis dato unbekannten Gräueltaten an der Zivilbevölkerung rund um den Globus Schlagzeilen macht. Ungefähr auf dem Höhepunkt der militärischen Erfolge der Angst und Schrecken verbreitenden Armee selbst ernannter Gotteskrieger, im August vergangenen Jahres, erschien der Roman „Der letzte Ort“ von Sherko Fatah, der bei aufmerksamer Lektüre in fiktiver Form so etwas wie die unmittelbare Vorgeschichte der unsäglichen Ereignisse zu enthalten schien. Ob der zeitlichen Koinzidenz wurde der deutsche Romancier mit irakischen Wurzeln von der Kritik etwas plakativ als „Prophet des Grauens“ apostrophiert. Fatahs Roman, befand Florian Kessler in der „Süddeutschen“, habe die spätere Entführung und Ermordung James Foleys ahnungsvoll vorweggenommen.

 

Nicht für seine prophetische, sondern die literarische Leistung seines Erzählwerks wird Fatah am 5. März mit dem Adelbert-von-Chamisso-Preis der Robert Bosch Stiftung ausgezeichnet. Seit 1985 wird der mit 15 000 Euro dotierte Preis jährlich an herausragende auf Deutsch schreibende Autoren verliehen, deren Werk von einem Kulturwechsel geprägt ist und die die Sprache der deutschen Literatur bereichern.

Reiselustiger Bewohner des Elfenbeinturms

Der Autor selbst erklärte sein vermeintlich hellseherisches Talent sympathisch bescheiden mit Informationskanälen, über die er qua Herkunft verfügt. „Alle paar Jahre wieder“, sagte er in einem Interview, „fand ich Geschichten, ausführlich erzählt oder auch nur beiläufig fallen gelassen von Verwandten, die in der Krisenregion Irak leben, in den brandaktuellen Meldungen zur Weltpolitik wieder.“ Als „reisefreudiger Bewohner des Elfenbeinturms“ fühle er sich nachgerade unwohl, wenn die „im Grunde literaturfremde Aktualität“ ihn sozusagen einhole. Nötigt sie ihn doch zum Verlassen seines Domizils in komfortabler Distanz zum Tagesgeschehen, zu Stellungnahmen und Erklärungen.

So ist Sherko Fatah ein Prophet wider Willen nicht zuletzt durch seine Biografie. Als Sohn eines irakischen Kurden und einer Mutter aus Masuren wurde er am 28. November 1964 in Berlin, wo er auch heute lebt, geboren – im Ostteil der Stadt, in dem sein Vater studierte. Bereits mit fünf Jahren reiste er mit dem Vater, wie später immer wieder, in den Irak, wo er sich zu wiederholten Malen längere Zeit aufhielt. 1975 siedelte die Familie nach Wien, später nach Westberlin über. Die Kontakte in den Irak haben bis heute gehalten – schon weil Fatah seinen Vater, der vor zwanzig Jahren in seine frühere Heimat zurückkehrte und heute im Nordosten des Landes lebt, häufig besucht.

Endspiel der besonderen Art

Zahlreiche Figuren von Fatahs erzählerischem Werk – bis jetzt fünf Romane sowie die in Buchform erschienene Erzählung „Donni“ – verbindet, dass sie Reisende sind: meist zwischen Ost und West wie in dem Roman „Das dunkle Schiff“, in dem Kerim auf gefahrvollen Wegen aus dem irakischen Grenzland nach Europa kommt und dort seine Vergangenheit als Gotteskrieger nicht abschütteln kann. Im Grunde vollziehen die Protagonisten seiner Bücher eine Suchbewegung kultureller Identität, wie sie seit frühester Kindheit Fatahs eigenen Lebensweg prägte. Im Unterschied zu ihm, der die Zugehörigkeit zu zwei Kulturen als Chance und Reichtum begreift, sind sie Entwurzelte.

Ein Reisender, Suchender und Entwurzelter ist auch Albert, der fragwürdige Held des Romans „Der letzte Ort“. Seinem sehr oberflächlichen Selbstverständnis nach ist Albert als Helfer im Kampf gegen die kulturelle Ausplünderung des Landes in den Irak gekommen. Mit Osama, seinem Dolmetscher, ist er in die Fänge einer schiitischen Terrormiliz geraten. In der nervenaufreibenden Gefangenschaft mit mehreren Ortswechseln, mit Flucht und Wiederergreifung gehen sie aus den Händen ihrer schiitischen Entführer schließlich ins Gewahrsam eines sinistren sunnitischen Emirs über. Ob Geld mit ihnen erpresst werden soll, ob sie eine Art politisches Faustpfand darstellen oder am Ende getötet werden und also am „letzten Ort“ ihrer Lebensreise angelangt sind, bleibt ihnen selbst wie dem Leser bis zuletzt verborgen. So ist der Roman ein Endspiel der besonderen Art: „Ich werde in einem Stall verrecken inmitten von Bauern und Kameltreibern, umschwirrt von Fliegen und mit dieser herrschsüchtigen Sonne über mir“, befürchtet Albert gleich zu Beginn.

Als Jugendlicher im „Penthouse“ geblättert

Fatah erzählt das Romangeschehen so spannend wie eine Abenteuergeschichte – über die der Roman doch dadurch weit hinausreicht, dass er Albert und Osama in ihrer existenziell bedrohlichen Situation neben seelischen und körperlichen Prüfungen in eine innere Konfrontation mit sich selbst führt: ihrem zweifelhaften Selbstbild sowohl wie ihrer windigen Stellung im politischen Macht- und Ränkespiel der Zeit. Wie ein „Museumswärter“ schreitet Albert die „Räume seiner Erinnerung“ ab, die ihm letztlich nichts Neues eröffnen, sondern bloß „trostlos Vertrautes“. Sein Erinnern ist nichts als die niederschmetternde Rekapitulation seines „unerfüllten bisherigen Lebens“.

Osama, der aus einem liberalen irakischen Elternhaus stammt und sich „weltbürgerlicher als andere“ fühlte, weil er schon als Jugendlicher im „Penthouse“ blätterte, erkennt in Albert je länger je mehr einen „traurigen Abenteurer“. Im Laufe der Gefangenschaft wird er, der als verwestlichter Araber den Hass der Entführer verschärft zu spüren bekommt, sich seiner eigenen Entwurzelung und Orientierungslosigkeit bewusst. Und so wie Albert von seinen Entführern als westlicher Agent und Osama als sein Handlanger verdächtigt werden, beäugen sich die beiden Gefangenen selbst misstrauisch bald gegenseitig. Eine Lösung der inneren und äußeren Konflikte bietet der Roman nicht. Aber ganz am Ende des Buchs, am schiitischen Tag des „Festes des Bluts“ kommt es zu mehreren gewaltigen Detonationen . . .

Ob er sich im Prozess nahöstlich-westlicher Konflikte als Mittler sehe oder selbst auch als Suchenden, wurde Fatah einmal gefragt. Als beides, gab er zur Antwort. Und machte deutlich, dass er hie wie da, im Westen wie im Osten „Veränderungsprozesse“ wahrnehme. Vielleicht sollte man sein Erzählen also weniger als pessimistisches Protokoll unlösbarer Konflikte lesen denn als Hoffnung auf den guten Ausgang eines im Moment noch unabsehbaren Prozesses.