Sami Khedira ist im Mittelfeld die wichtigste Figur bei Juventus Turin. Auf ihn kommt es nun auch gegen den FC Barcelona an.

Turin - Sami Khedira hat nicht die Tricks drauf wie Paulo Dybala. Er hat nicht den Torriecher eines Gonzalo Higuain, er besitzt auch nicht die Dynamik von Juan Cuadrado, und nicht einmal die Gladiatorenphysis eines Mario Mandzukic.

 

Sami Khedira, 30, hat all das nicht. Welche Bedeutung also sollte er für einen großen Club wie Juventus Turin haben, der sich nach dem furiosen 3:0 im Hinspiel an diesem Mittwochabend (20.45 Uhr/beim FC Barcelona anschickt, das Halbfinale der Champions League zu erreichen?

Die Antwort ist einfach: Für Juventus Turin ist der Weltmeister aus Stuttgart ein unverzichtbarer Bestandteil des Erfolgs. Oft merkt man erst, wie wichtig ein Spieler vom Typ eines Sami Khedira für die Statik einer Mannschaft ist, wenn er fehlt.

Sami Khedira ist im nominell ausgedünnten Zweiermittelfeld das Scharnier zwischen der Vier-Mann-Offensive um Dybala und Higuain und dem Abwehrverbund. Aufgrund seines taktischen Geschicks und seiner Prämisse, möglichst oft den einfachen Ball zu spielen, ist er der Stabilisator des italienischen Rekordmeisters.

Die Situation nach der Pleite gegen Florenz im Winter

Bisher ist noch nicht überliefert, was Khedira in jenem Moment sagte, als Juve-Trainer Massimiliano Allegri nach der bitteren 1:2-Schlappe gegen den AC Florenz im Winter in die Kabine kam und der Überlieferung nach ankündigte: „Mir reicht’s. Ab jetzt spielen wir mit vier Spitzen und haben immer die Besten zusammen auf dem Platz. Ihr werdet sehen, das wird uns auch für Europa helfen.“

Was Allegri da vorschlug, und was rückblickend als die Geburtsstunde des spielenden und nicht mehr nur zockenden FC Juventus gelten darf, löste bei manchen Traditionalisten zunächst Stirnrunzeln aus. Klaffen da Angriff und Abwehr nicht zu weit auseinander? Gibt man das Mittelfeld automatisch an den Gegner preis?

Was auch immer Khedira dachte, klar wird ihm sofort der Mehraufwand auf seiner Position geworden sein. Es bedeutete, schon auf dem Weg sein zu müssen, um Löcher zu schließen, noch bevor sie sich für die anderen aufgetan haben. Es bedeutete auch noch bessere Beherrschung des Raums. Und es erhöhte die Nervenbelastung. Denn jeder verlorene Ball im Mittelfeld eröffnet dem Gegner die Chance auf Konter. Ein Job, wie gemacht für ihn. Eine „Offenbarung“ nannte ihn Juves Torwartlegende Gianluigi Buffon im „Kicker“.

Khedira erfüllt die Doppelaufgabe aus Abschirmung und Spielmitgestaltung exzellent. Das hat ihm zu neuer Wertschätzung verholfen. Als „professore“ galt er Mitspielern und Tifosi wegen seines Stellungsspiels und seines Gespürs für Tempo und Pass schon zuvor. Er war aber mehr der Verwalter, der Ordner, der nur gelegentlich in die Spitze ging und bei dessen Verletzungsanfälligkeit man nie wissen konnte, wieviel Stabilität er dem Team auf Dauer verleihen konnte. Geachtet war er wegen seiner Meriten, des WM-Titels und des Champions League-Triumphs mit Real. Khedira habe das „Sieger-Gen“, sagte man in Italien, und hoffte, von diesem „Gen“ auch zu profitieren.

Die Leistung wird respektiert

Inzwischen jedoch wird er nicht mehr nur wegen der Erfolge der Vergangenheit respektiert, sondern wegen seiner Leistungen im Hier und Heute. Da hat er selbst neue Qualitäten erworben. Bei dem weitgehend positionsfreien Spiel des Quartetts vor ihm ist von dem früher oft lethargisch wirkenden Spieler selbst mehr Dynamik gefragt. Er muss schnell dort hin, wo der Gegenstoß der Rivalen am wahrscheinlichsten seinen Ausgangspunkt haben wird. Und er muss sich entscheiden, ob er statt auf die Absicherung zu setzen nicht lieber doch in den freien Raum vor ihm gehen soll.

Da taucht er dann plötzlich neben Higuain auf und löst Alarmstimmung in gegnerischen Abwehrreihen aus. Fünf Tore hat Khedira in dieser Saison schon erzielt, und ist auf bestem Wege, seinen persönlichen Rekord aus Stuttgarter Zeiten (7) zu übertreffen. Auch seine Bestmarke an Ligaspielen pro Saison (28 bei Real, 27 beim VfB) dürfte er ausbauen. 27 Mal stand er bei Juve in der Serie A auf dem Platz – gleichauf mit Goalie Buffon, nur Higuain und Mandzukic waren häufiger aufgeboten.

Das belegt die Wertschätzung, die Khedira durch Trainer Allegri erfährt. Es zeigt aber auch, dass der mittlerweile 30-Jährige seinen Körper besser beherrscht. „Ich hatte viele kleine und eine große Verletzung, als ich bei Real war. Ich hatte auch mentale Probleme. Aber ich habe mich davon befreit, indem ich mich an Experten gewandt habe, auch an die Alternativmedizin und an Methoden des Wahrnehmungstrainings“, sagte er erstaunlich offen der römischen Tageszeitung „Repubblica“.

Khedira gewinnt an Reife. Sein schon in jungen Jahren großes Selbstbewusstsein ist nun durch Erfahrung gesättigt. Buffon sagt: „Als man damals unter Kumpels kickte und vor dem Beginn die Wahl gewann, hätte ich Sami immer als ersten Spieler für mein Team gewählt.“