Mit dem Schuljahr 2012/13 ist die Notenhürde bei den Werkrealschulen gefallen. Jetzt können auch die Neuntklässler, deren Notendurchschnitt in den Hauptfächern schlechter als „befriedigend“ ist, in die zehnte Klasse wechseln.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Thea Bracht (tab)

Stuttgart - Mehr Schüler sollen die mittlere Reife oder einen noch höheren Abschluss erreichen, so lautet das Ziel der grün-roten Landesregierung. Deshalb hat es mit dem Schuljahr 2012/13 einige Änderungen bei den Werkrealschulen gegeben. Eine wichtige: die Notenhürde ist gefallen. Jetzt können auch die Neuntklässler, deren Notendurchschnitt in den Hauptfächern schlechter als „befriedigend“ ist, in die zehnte Klasse wechseln. Insgesamt haben sie drei Möglichkeiten: Sie können den Werkrealabschluss am Ende der zehnten Klasse oder den Hauptschulabschluss anstreben – und zwar wahlweise nach Klasse neun oder zehn.

 

Die Statistiken zeigen, dass nach dem Wegfall der Notenhürde deutlich mehr Schüler in die zehnte Klasse wechseln als früher. In Stuttgart haben sich im vergangenen Jahr von gut 1000 Neuntklässlern rund 700 für ein weiteres Schuljahr entschieden, 80 davon wollen sich ein Jahr mehr Zeit nehmen, um vielleicht einen besseren Hauptschulabschluss zu erlangen, wie Manfred Rittershofer vom Staatlichen Schulamt berichtet. Eine reine Hauptschulabgängerklasse, auch „Dehnungsklasse“ genannt, gibt es nur an der Wilhelmsschule in Wangen. „Der Hauptschulabschluss nach Klasse 10 wird noch nicht so gut angenommen“, bestätigt Miriam Brune, die Leiterin der Herbert-Hoover-Schule in Mühlhausen. Dabei könnten gerade schwächere Schüler davon profitieren, ein weiteres Jahr zur Schule zu gehen.

In Klasse 10 sitzen nun also Schüler, die den Hauptschulabschluss erlangen möchten, neben anderen, die sich auf den Werkrealschulabschluss vorbereiten. Wie aber funktioniert dieses Nebeneinander? In gemischten Klassen haben die Schüler, die den Werkrealschulabschluss erwerben wollen, jeweils sechs Stunden Deutsch, Mathe und Englisch und fünf Stunden Materie-Natur-Technik, während die anderen in diesen Hauptfächern weniger Unterricht haben und stattdessen ein Praktikum absolvieren. Dadurch sollen sich ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt verbessern.

Die zehnte Klasse ist nicht für jeden der richtige Weg

Die Industrie- und Handelskammer (IHK) Stuttgart rät Neuntklässlern ohnehin, sich für einen Hauptschulabschluss nach der neunten Klasse zu entscheiden. „Der Trend zu höheren Abschlüssen ist nicht zielführend, wenn man das damit abgleicht, was die Wirtschaft braucht“, sagt Stefanie Thimm von der IHK Stuttgart. Statt ein zehntes Schuljahr anzuhängen, sei es sinnvoller, direkt eine duale Ausbildung zu absolvieren und sich später eventuell zum Fachwirt oder zum Meister fortzubilden. Laut Stefanie Thimm bleiben derzeit viele Ausbildungsplätze unbesetzt. „Das Hotel- und Gaststättengewerbe sucht zum Beispiel nach wie vor“, sagt sie. Das betreffe auch den Gesundheits- und Pflegebereich.

Markus Dölker, Werkrealschulleiter an der Jörg-Ratgeb-Schule in Neugereut, bestätigt, dass die zehnte Klasse nicht für jeden der richtige Weg sei: „Wir haben einige Schüler ermutigt, bereits nach der neunten Klasse abzuschließen.“ Manche Jugendlichen profitierten davon, wenn sie in der Lehre ihre praktischen Fähigkeiten unter Beweis stellen könnten. Das stärke das Selbstbewusstsein. Danach könnten sie immer noch draufsatteln. „Der Bierbrauer zum Beispiel ist ein Nischenberuf mit vielen Möglichkeiten, sich zum Fachmann weiterzuentwickeln“, sagt Dölker.

Wer Bürokauffrau/-mann werden oder einen anderen gefragten Beruf erlernen möchte, hat hingegen mit einem mittleren Abschluss und guten Noten die besseren Voraussetzungen. Hauptschulabsolventen können auch über die zweijährige Berufsfachschule zur mittleren Reife gelangen. Je nach Neigung können sie sich zum Beispiel für die wirtschaftliche, gewerblich-technische oder sozialwissenschaftliche Ausrichtung entscheiden und neben ihrem Allgemeinwissen die berufliche Bildung vertiefen. Nach dem Abschluss ist der Übergang aufs berufliche Gymnasium möglich. Für Hauptschulabsolventen, die keinen Ausbildungsplatz gefunden haben und noch schulpflichtig sind, ist das Berufseinstiegsjahr eine Alternative. „Das kann nützlich für jemanden sein, der ganz unsicher ist, welchen Weg er genau einschlagen möchte“, sagt Dölker. Er macht den Jugendlichen Mut: „Hauptschülern stehen ganz viele Wege offen, sie müssen sich nur Ziele setzen und brauchen Durchhaltewillen.“