John Albano bringt 1973 im Auftrag der Mafia Raubkopien des Pornofilms „Deep Throat“ von einem Schmuddelkino New Yorks zum anderen. Dass er auch die Einnahmen kassiert, weckt die Gier von Ganoven, korrupten Polizisten und seiner Exfrau. Charlie Stella nimmt den Leser mit auf eine drastische Rundfahrt durch die Welt der Ostküsten-Mafia.

Manteldesk: Thomas Schwarz (hsw)

Stuttgart - Das Jahr 1973 – wir Babyboomer waren grade mal zehn, elf Jahre alt. Die Sechziger wandelten sich zu den Siebzigern, mit Schlaghosen, langen Koteletten, Schnurrbärten und anderen modischen Entgleisungen. Im Kino liefen „Der Exorzist“, „James Bond – Leben und Sterben lassen“, „Der Schakal“ und Richard Lesters grandiose Version der „Drei Musketiere“. Und in Amerika erschien „Deep Throat“, der wohl bekannteste Pornofilm aller Zeiten.

 

In jenem Jahr war er eine Lizenz zum Gelddrucken, denn Video oder gar das Internet, wohin die Pornobranche später ihr Geschäft verlegte, lagen noch in ferner Zukunft. Bahnhofskinos und andere schummerige Schuppen waren die einzigen Orte, wo man Sensationen wie diese zu sehen bekam. Die Mafia hatte den Film für wenig Geld produziert und wollte nun richtig Kasse machen. Das Geld floss reichlich, aber der Rummel um den Film hatte für seine Macher auch Schattenseiten.

Der Filmrollentransporteur lebt gefährlich

Da die Regierung Nixon Stimmung gegen den Film im Speziellen und die Pornobranche im Allgemeinen machte, musste Deep Throat heimlich in allerlei Hinterzimmern oder umfunktionierten Versammlungshallen gezeigt werden. Wie gesagt: Video gab es noch nicht, also mussten komplette Filmrollen transportiert werden. Kuriere fuhren die Raubkopien von Vorführung zu Vorführung, nahmen die Einnahmen mit und zählten die Zuschauer, die pro Kopf einen Fünfdollarschein berappen mussten. Das hatte seinen Grund: Die Cosa Nostra mag es nicht, wenn man sie beklaut. Die Zahl der Zuschauer musste immer der Anzahl der Fünfdollarscheine entsprechen.

Hier kommt nun Johnny Porno ins Spiel. Der heißt eigentlich John Albano, weil er aber einer der Filmrollentransporteure in New York und New Jersey ist, bekommt er vom Cosa-Nostra-Personal und dem Publikum jenen Spitznamen zugeteilt. Besser gesagt, er wird ihm vererbt, denn sein Vorgänger Tommy Porno ist verschwunden. Angeblich hat er versucht, einen Teil der Einnahmen in die eigene Tasche zu stecken. Wochen später wird seine übel zugerichtete Leiche gefunden. Eine Warnung an alle, es sich nicht mit den ehrenwerten Herren zu verscherzen. Die Polizei ermittelt zwar, die meisten allerdings mit wenig Elan. Lieber halten sie die Hand auf und lassen sich von der Mafia schmieren. Und mittlerweile hat sich auch herumgesprochen, dass Johnny Porno am Ende seiner Runden eine ziemliche Ladung Fünfdollarscheine in seinem alten Auto herumfährt. Auch das weckt Begehrlichkeiten, unter anderem die seiner Ex-Frau, die weiß, wo er wann unterwegs ist. Für Johnny Porno, der zwar pleite ist, aber auch ziemlich aufbrausend sein kann, wird es zunehmend gefährlicher.

Frank Serpico hat einen Auftritt am Rande

Charlie Stella hat einen Mafia-Roman geschrieben, der in der unteren Hierarchieebenen der Cosa Nostra spielt. Dabei lässt er den Beginn der 70er-Jahre auf unwiderstehliche Weise vor dem Auge des Lesers auferstehen. Jüngeren Lesern wird er fast wie ein historischer Roman erscheinen. 1973 war schließlich das Jahr, in dem die Band AC/DC gegründet wurde, Queen das erste Album veröffentlichte und Led Zeppelin „Houses of the Holy“. Und in dem am 5. Dezember Sidney Lumets Film „Serpico“ Premiere hatte, die wahre Geschichte des New Yorker Polizisten Frank Serpico, der einen der größten Korruptionsskandale im Polizeiapparat der Stadt aufdeckte und dafür zur Persona non grata innerhalb der Behörde wurde.

Serpicos Fall wird en passant in einem der wunderbaren Dialoge des Buches eingeführt. Diese – darunter auch irrwitzige Abhörprotokolle - und der schnörkellose Erzählstil Charlie Stellas machen den Roman zu einem echten Vergnügen. Wem Mario Puzos Roman „Der Pate“ gefällt, der findet hier weiteres Lokalkolorit der Ostküsten-Gangsterszene der 70er. „New Yorker Street Life 1973. Sehr komisch, gemein und knallhart“, bewirbt Suhrkamp die deutsche Erstausgabe (sehr gelungene Übersetzung aus dem Amerikanischen von Andrea Stumpf), die diesen Juli erschienen ist. Dem ist nichts hinzuzufügen. Oder doch: unbedingt lesenswert.

Charlie Stella: Johnny Porno, aus dem Amerikanischen von Andrea Stumpf, Suhrkamp Taschenbuch 4686,

Broschur, 496 Seiten, 9,99 Euro, Auch als Ebook erhältlich