Exklusiv Ob EnBW-Deal oder Verkehrsvertrag: zweimal musste der Rechnungshof bei schwarz-gelben Milliardenprojekten zum Jagen getragen werden. Doch unter Grün-Rot wird die Riege der Chefprüfer konservativer denn je.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Winfried Kretschmann eierte ziemlich herum. Wie groß sein Vertrauen in den Landesrechnungshof eigentlich noch sei, nachdem dieser schon beim zweiten zweifelhaften Milliardenprojekt aus CDU-Regierungszeiten zum Jagen getragen werden musste? „Die Landesregierung hat selbstverständlich Vertrauen in den Rechnungshof“, antwortete der Ministerpräsident bei seiner wöchentlichen Pressekonferenz.

 

Erst auf die Nachfrage, ob ihn die Beißhemmung der Prüfer nicht nachdenklich stimme, ließ Kretschmann leise Zweifel erkennen: „Mich kann vieles nachdenklich stimmen, aber ich kann mich nicht äußern.“ Schließlich genieße die Karlsruher Kontrollbehörde richterliche Unabhängigkeit; es stehe ihm nicht zu, sie zu kritisieren oder gar Einfluss zu nehmen. „Daran werde ich mich ganz strikt halten.“

Kopfschütteln hinter den Kulissen

Hinter den Kulissen der grün-roten Koalition herrscht dagegen wieder einmal Kopfschütteln über die Sparkommissare, die sich an vielen Kleinigkeiten abarbeiteten, aber um die großen Brocken einen Bogen machten – offenkundig aus Rücksicht auf die früheren Regierungsparteien CDU und FDP. Das war 2011 so, als sie den EnBW-Deal von Ex-Ministerpräsident Stefan Mappus mit fadenscheinigen Ausreden lange nicht prüfen wollten; erst ein drohender Auftrag des Landtags ließ sie dann doch aktiv werden. Und das war jetzt wieder so, als durch Berichte von StZ und SWR publik wurde, dass der von Mappus mit ausgehandelte Große Verkehrsvertrag mit der Deutschen Bahn das Land mehr als hundert, womöglich gar Hunderte von Millionen Euro zu viel kosten soll. Erst angesichts des Medienwirbels nahmen sich die Prüfer, die bis dahin nur einen Randaspekt untersucht hatten, den bereits 2003 geschlossenen und damals schon heftig kritisierten Vertrag genauer vor.

Unabhängig und überparteilich – das soll der Rechnungshof in der Theorie sein. In der Praxis sorgte die Politik über die Personalauswahl freilich gerne dafür, dass die Kontrolleure kalkulierbar blieben. Bei der Besetzung der Spitzenposten haben schließlich der Ministerpräsident und das Kabinett, im Fall des Präsidenten auch der Landtag mitzureden. Zu CDU-Regierungszeiten wurde die Führungsriege – Präsident, Vize und fünf Direktoren – denn auch ganz überwiegend mit Konservativen besetzt. Fast alle Chefprüfer waren CDU- oder FDP-nah oder hatten sogar ein Parteibuch in der Tasche. Nur für einen Posten durfte traditionell die SPD jemanden vorschlagen – zuletzt den später parteilosen Martin Willke. Wie wichtig eine gewisse Pluralität im Senat der Prüfbehörde ist, zeigte sich beim EnBW-Deal. Da war Willke der Einzige, der früh und eindringlich eine Untersuchung des Milliardengeschäfts forderte – zunächst indes vergeblich. Der Präsident Max Munding (CDU), geprägt von Jahrzehnten als Regierungsbeamter, ließ den Vorstoß ins Leere laufen. Erst als er unter Druck umschwenkte, konnte sich die zuständige Direktorin Hilaria Dette an die Arbeit machen und den ramponierten Ruf des Rechnungshofs wieder herstellen. In der CDU gewann die einstige Referatsleiterin im CDU-geführten Staatsministerium damit keine Freunde: Dette wolle sich mit der Kritik am EnBW-Deal wohl bei Grün-Rot für den Präsidentenposten empfehlen, streuten enttäuschte Unionsstrategen.

Noch ein CDU-naher Beamter als Chefprüfer

Ausgerechnet unter Grünen und Roten soll die Riege der Chefprüfer nun schwärzer denn je werden. Den Plan des Präsidenten, seine Amtszeit über den 65. Geburtstag hinaus zu verlängern, hat das Staatsministerium bereits durchgewunken. Wegen der richterlichen Unabhängigkeit, hieß es, habe man keine andere Möglichkeit – dabei gab es auch andere Rechtsauffassungen. Allenthalben wird vermutet, dass Munding den Chefposten bis in die nächste Legislaturperiode besetzt halten will, damit dann wieder die CDU den Zugriff darauf habe.

Nun wird auch der Posten des einstigen SPD-Manns Willke mit einem CDU-nahen Beamten besetzt. Als Direktor folgt ihm zum 1. August der Vizeabteilungschef Georg Walch aus dem Staatsministerium, früher Parlamentarischer Berater der Landtags-CDU. Schon Ende April hat das Kabinett den Vorschlag des Rechnungshofs abgesegnet, Anfang Juli wurde Walch von Kretschmann ernannt. Einziges Kriterium, so ein Regierungssprecher, seien die Befähigung und die gesetzlichen Anforderungen. An Walchs fachlicher Qualifikation besteht in der Tat kein Zweifel; im Staatsministerium leitete er das wichtige Haushaltsreferat, zuständig auch für Steuerpolitik und Beteiligungen. Doch selbst im Rechnungshof und im Regierungsapparat wird mit Verwunderung registriert, dass just grün-rot das bewährte Korrektiv in der Prüferriege preisgibt. An geeigneten „andersfarbenen“ Kandidaten könne es eigentlich nicht gemangelt haben – womöglich aber am Bewusstsein für die Bedeutung der Personalie. Wenn die CDU nach der nächsten Landtagswahl wieder regieren sollte, heißt es gallig, könne sie sich dank Kretschmann & Co ganz auf den Rechnungshof verlassen.