Der Deutsche Stefan Hell hat einen Weg gefunden, ein physikalisches Gesetz zu umgehen, das die Auflösung optischer Mikroskope begrenzt hatte. Dafür erhält er den Nobelpreis für Chemie – zusammen mit zwei Kollegen, die ähnliche Ideen hatten.

Stuttgart - Er muss damit gerechnet haben, dass er an einem Mittwoch im Oktober, dem traditionellen Tag des Chemie-Nobelpreises, einen Anruf aus Stockholm bekommen würde. Die Stimme Stefan Hells klang jedenfalls recht ruhig und gefasst, als Staffan Normark, der ständige Sekretär der Königlich Schwedischen Akademie der Wissenschaften, ihn aus der Pressekonferenz heraus ans Telefon holte und bat, Fragen der Journalisten zu beantworten. Warum er so entspannt klinge, lautete eine Frage. Er sei vollkommen überrascht, versicherte Stefan Hell.

 

Das Nobelkomitee hat sich in diesem Jahr für den Chemiepreis ein Feld ausgesucht, das, wie schon einen Tag vorher beim Physikpreis, von enormer praktischer Bedeutung ist – in diesem Fall für die Forschung. Wieder sind es drei Männer, die ausgezeichnet werden, dieses Mal „für die Entwicklung super aufgelöster Fluoreszenzmikroskopie“: Stefan W. Hell, geboren 1962, ist Direktor am Max-Planck-Institut für Biophysikalische Chemie in Göttingen und leitet zugleich eine Forschungsabteilung am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg. Er teilt sich den Preis mit den beiden US-Bürgern Eric Betzig, Jahrgang 1960, Gruppenleiter am Howard Hughes Medical Institute, und dem 1953 geborenen William E. Moerner, Professor an der Stanford University.

Alle drei haben, weitgehend unabhängig voneinander, Beiträge zur Lösung eines Jahrhundertproblems geleistet. Dieses Problem ist die begrenzte Auflösung von Lichtmikroskopen. Als die ersten Mikroskope aufkamen, war es ein gewaltiger Durchbruch, zum Beispiel ein Bakterium sehen zu können. Doch das Bakterium erschien nur als dunkler Fleck, und das blieb auch so. Feinere Strukturen ließen sich nicht auflösen. Warum das so ist, erklärte 1873 der Physiker und Unternehmer Ernst Abbe mit einer berühmten Formel, die im Kern sagt: Strukturen, die kleiner sind als die halbe Wellenlänge des Lichts, kann man mit Licht nicht darstellen. Sie verschmieren. Das Licht mit der kürzesten Wellenlänge ist blaues Licht von rund 400 Nanometer Wellenlänge. Also kann man das rund 200 Nanometer große Bakterium gerade noch als dunklen Fleck sehen.

Wie man ein physikalisches Gesetz umgeht

Zwar gibt es andere Verfahren der Mikroskopie, die höhere Auflösung erlauben, etwa die Elektronenmikroskopie. Doch lebende Objekte wie Zellen kann man dort nicht beobachten, da die Objekte präpariert werden müssen. Lebensvorgänge zu verfolgen, ist dann nicht mehr möglich.

Ernst Abbes Formel war fortan Gesetz. Und gegen physikalische Gesetze verstoßen zu wollen, ist Unsinn. Stefan Hell hat es erlebt. Als er in der Pressekonferenz aus Stockholm gefragt wird, wie seine Entdeckung seinerzeit aufgenommen worden sei, zögert er erst und sagt dann: „Die Wissenschaftlergemeinschaft war nicht sehr aufnahmebereit für eine Überwindung dieser Barriere.“ Das hat sich in seiner Biografie niedergeschlagen.

Hell stammt aus der Kreisstadt Arad in Rumänien. Als er 15 war, siedelte er nach Deutschland über. Schon in seiner Doktorarbeit – er promovierte 1990 an der Universität Heidelberg – befasste er sich mit dem Vermessen feinster Strukturen. Ein paar Monate schlug er sich als Erfinder durch. Damals fand er erstmals eine Verbesserung der Lichtmikroskopie, die 4Pi-konfokale Mikroskopie. Damals sei er überzeugt gewesen: „Da geht noch viel mehr“, sagte er dem Magazin „Bild der Wissenschaft“ (BdW) vor einigen Jahren, als er einen seiner vielen Preise erhielt, den Deutschen Zukunftspreis des Bundespräsidenten.

Mit seiner Suche nach dem „Viel mehr“ stieß er aber nicht auf viel Unterstützung. Nach zwei Jahren am Europäischen Molekularbiologischen Laboratorium (EMBL) in Heidelberg nahm er daher das Angebot eines Stipendiums an der finnischen Universität Turku an. Hier kamen ihm die entscheidenden Ideen zu dem, was heute STED-Mikroskopie heißt, für stimulated emission depletion (deutsch etwa: Auslöschung durch angeregte Emission). Er konnte sein Patent auf die 4Pi-Mikroskopie an Leica Mikrosystems verkaufen. „Ohne die Finanzspritze hätte ich 1995 aufgeben müssen“, sagte er BdW. Doch dann kam die Rettung: Das Göttinger Max-Planck-Institut erkannte das Potenzial in STED und rief ihn als Leiter einer eigenen Arbeitsgruppe nach Deutschland zurück.

Die beiden Amerikaner sind andere Wege gegangen

Seit Anfang der 2000er-Jahre kann man STED-Mikroskope kaufen, und sie werden in vielen Bereichen der Biologie eingesetzt. Sie setzen Abbes Gesetz nicht außer Kraft, sie umgehen es. Lichtwellen, die auf kleine Objekte fallen, werden gebeugt, wie eine Wasserwelle, die auf einem ruhigen See hinter einem Pfahl in Halbkreisen weiterläuft. Hell machte sich zu Nutze, dass Biologen in untersuchte Moleküle wie etwa Proteine oft einen fluoreszierenden Stoff einbauen. Unter einem Laser leuchtet der auf. Stimulierte Emission nennt man das. Hell kam nun auf die Idee, um den stimulierenden Laserstrahl herum kreisförmig einen zweiten Strahl zu legen, der das stimulierte Fluoreszenzlicht an den Rändern auslöscht. Es bleibt in der Mitte ein Punkt des Fluoreszenzlichtes zurück, der feiner ist, als Abbe erlaubt. Diesen Punkt kann man nun über die Probe bewegen und sie damit Punkt für Punkt abrastern. So lassen sich Strukturen darstellen, deren Größe nicht bei 200 Nanometern endet, sondern heute bereits bei zweistelligen Nanometergrößen. Eine prinzipielle Grenze nach unten gibt es nicht mehr – außer, dass die fluoreszierenden Moleküle selbst aus einigen Dutzend Atomen bestehen.

Hells Mitpreisträger Betzig und Moerner sind andere Wege gegangen, haben das Ziel einer Auflösung jenseits der Abbe-Grenze aber nicht weniger entschieden und hartnäckig verfolgt. Unabhängig voneinander haben sie Beiträge zu einer Mikroskopie mit Einzelmolekülen geleistet. Ein langer Weg führte sie zu Molekülen, die sich zum Fluoreszenzleuchten anregen lassen – und deren Licht auch wieder ausgeht. Es gelang ihnen, für eine Serie von Aufnahmen immer nur einen Teil dieser Marker in einer Probe zum Leuchten anzuregen und die Einzel-Aufnahmen dann zu einem sehr hoch auflösenden Bild zusammenzufügen. Es ist, als blicke man aus dem All bei Nacht auf die Erde, und von den vielen Lichtern würden nacheinander immer nur einige eingeschaltet. Die Überlagerung der Fotos ergäbe ein wesentlich detaillierteres Bild von Städten, als wenn dort alle Lichter gleichzeitig an sind.