Die Abschussanlagen der syrischen Armee sind leicht zu zerstören, aber Giftgas wie Sarin muss mit Vorsicht behandelt werden. Um es unschädlich zu machen, wird es verbrannt und der Rauch anschließend gefiltert. Ein Böblinger Experte erklärt, wie das funktioniert.

Stuttgart - Wenn nach internationaler Übereinkunft derzeit in Syrien die Chemiewaffenbestände vernichtet werden und syrische Militärs deshalb unter Beobachtung mit Schneidbrenner oder Winkelschleifer ihr kriegerisches Gerät traktieren, so ist das nur die halbe Miete: Die Aktion stellt sicher, dass keine neuen Chemiewaffen produziert werden und die Verwendung bestehender Waffen unterbunden wird. Doch was passiert mit den auf 1000 Tonnen geschätzten chemischen Substanzen, die einsatzbereit in Granaten oder noch unabgefüllt in Fässern lagern? Die Entsorgung hochtoxischer chemischer Substanzen verlangt spezielle Techniken und Anlagen mit zusätzlichen Sicherheitsauflagen, um nicht zuletzt auch das Bedienpersonal zu schützen.

 

Chemische Kampfstoffe wie das in Syrien vermutete Sarin, aber auch Senfgas, VX, Tabun und viele andere, sind meist organische Substanzen, die die Haut verätzen, das Lungengewebe zerstören oder die Kommunikation zwischen Nervenzellen unterbinden. Bei Sarin erlahmt die Atmung, die Menschen ersticken. Kleinste Mengen, die bei der Kampfstoffbeseitigung frei werden, können auch die Arbeiter verletzen.

Kersten Christoph Link kennt die Gefahren. Der Chemieingenieur ist Technikvorstand des Böblinger Anlagenbauers Eisenmann und gut vertraut mit der Entsorgung von Chemiewaffen. Sein Unternehmen hat in den vergangenen Jahren etliche Anlagen beispielsweise in die Länder der ehemaligen Sowjetunion geliefert, wo gemäß internationaler Vereinbarungen sämtliche Bestände vernichtet und entsorgt werden sollen. „Der Kreis der Unternehmen, die das können, ist überschaubar“, sagt Link. Die Expertise des Böblinger Unternehmens ist inzwischen soweit gediehen, schlüsselfertige Anlagen zu liefern, wie es in einer Unternehmensbroschüre heißt: vom Bau des Gebäudes über die Entsorgungsanlage selbst bis zur Schulung des Personals.

Im Verbrennungsofen geht es turbulent zu

Da chemische Kampfstoffe überwiegend Substanzen sind, die viele Kohlenstoff- und Wasserstoffatome enthalten, sind sie brennbar. Das machen sich die Techniker zu nutze. „Am Anfang steht immer ein Verbrennungsprozess“, erklärt Link. Die entstehenden Rauchgase und Abwässer sind weniger giftig und wandern dann durch weitere Reinigungs- und Entsorgungsstufen (siehe Grafik).

Dieses Know-how hat sich Eisenmann in seinem Kerngeschäft, dem Anlagenbau, erarbeitet. Da jede Industrieanlage die Umwelt belastet, etwa durch Abgase und Abwasser, nimmt der Geschäftsbereich Umwelttechnik die Aspekte Verbrennung, Entsorgung und Recycling in den Fokus. Mit 50 Jahren Erfahrung in der Umwelttechnik war es laut Link es ein logischer Schritt, sich an internationalen Ausschreibungen für Entsorgungsanlagen für Chemiewaffen zu beteiligen.

Um eine Chemikalie wie Sarin in einer automatisierten Anlage zu entsorgen, werden beispielsweise die Granaten angebohrt, um den Kampfstoff zu entnehmen. Dann muss das Sarin kontinuierlich durch die Anlage geleitet werden. Es beginnt in einem Verbrennungsofen, der mit Erdgas betrieben wird und eine Temperatur von 1200 Grad erreicht. Der Kampfstoff wird mit möglichst viel Turbulenz in den Brennreaktor gesprüht, daher auch der Name „Turaktor“ dieser Eisenmann-Anlage. Die turbulente Strömung sorgt dafür, dass sich die Chemikalie möglichst fein im Ofen verteilt und vollständig verbrennt. Übrig bleiben eine ungefährliche Schlacke, die am Reaktorboden entnommen und deponiert wird, sowie giftige Rauchgase, die anschließend gereinigt werden müssen.

Die Ingenieure können den Anlagentyp und -betrieb ziemlich gut auf die zu entsorgenden Kampfstoffe zuschneiden. „Wir betrachten dazu die Stoffströme und Energiebilanzen“, erklärt Link. Zu den Stellschrauben gehören zum Beispiel die Temperaturen und die Menge des eingespritzten Kampfstoffs. Außerdem müssen das Material, mit dem der Verbrennungsofen innen ausgekleidet wird, und alle anderen Bauteile, die mit dem giftigen Gas in Kontakt kommen, genau ausgewählt sein. Die Details zur Materialauswahl behält Link für sich.

Es dauert ein Jahr, bis eine Entsorgungsanlage läuft

„Alles muss ganz, ganz dicht sein“, betont Link. Ansonsten handele es sich aber um bekannte Technik, mit der sonst zum Beispiel Reststoffe der chemischen Industrie entsorgt werden. Die Ingenieure bauen die gesamte Anlage zunächst in einer Montagehalle in Holzgerlingen auf. Sie röntgen die Bauteile, um Risse aufzuspüren. Sie pumpen die Luft heraus, um Lecks zu finden. Auch das Betriebsgebäude am Entsorgungsstandort wird komplett abgedichtet und im Unterdruck betrieben, damit die Luft im Notfall nicht nach außen, sondern nach innen strömt. Die ganze Luft wird durch Aktivkohlefilter geleitet.

Aktivkohlefilter, Schutzanzüge, Holzpaletten und anderes potenziell verunreinigtes Material verbrennen die Betreiber am Ende in einem speziellen Kammerofen. Der ist so eingestellt, dass feste und massive Brennstoffe, die nicht zerstäubt werden können, möglichst gut ausglühen.

Ein geordneter Entsorgungsbetrieb wird im Bürgerkrieg von Syrien kaum möglich sein. Flexible und mobile Lösungen sind gefordert. Um die Kampfgase Lewisit und Senfgas aus Weltkriegsbeständen in Albanien zu entsorgen, hat Eisenmann eine modulare Anlage in Seecontainern vormontiert und später in einem industrietauglichen Zelt betrieben. Die Kampfstoffe schwappten in Fässern und wurden mitsamt ihren Behältnissen verbrannt.

Über Kontakte nach Syrien, etwa vermittelt durch das Auswärtige Amt, möchte Link noch nicht reden. Er sagt nur: „Wir sind bereit.“ Aus seiner Erfahrung weiß der Verfahrensingenieur, dass der eng gesteckte Zeitplan der Vereinten Nationen für die Chemiewaffenvernichtung in Syrien kaum einzuhalten sein wird. Allein Bau, Lieferung und Inbetriebnahme einer Anlage vor Ort könnte ein Jahr dauern.