Der Crossovervirtuose Chilly Gonzales hat bei seinem Konzert im Stuttgarter Beethovensaal Jazz, Klassik und mehr verschmolzen.

Stuttgart - Wer je das zweifelhafte Vergnügen hatte, an zwei aufeinander folgenden Abenden ein Helge Schneider-Konzert zu besuchen, weiß, dass Improvisation in der Comedy ein sehr relativer Begriff sein kann. Insofern durfte man auf die Wiederbegegnung mit Chilly Gonzales und dem Kaiserquartett sehr gespannt sein, hatten die Musiker doch 2013 bei den Jazz-Open bereits ein begeisterndes Konzert geboten. Seither ist der in Köln lebende Kanadier sehr viel getourt, kassierte für seine Zusammenarbeit mit Daft Punk einen Grammy und hat im Frühjahr mit „Chambers“ ein schönes Album veröffentlicht, das diese Zusammenarbeit mit dem Streichquartett dokumentierte.

 

Nichts Neues also? Gonzales, das selbst ernannte musikalische Genie, paart bekanntlich seine Leidenschaft für klassische Musik, Electronica und Rap mit jeweils einer ordentlichen Portion Virtuosität, Humor und Größenwahn, um ein Publikum zu erreichen, das sich durch den „Mief von Seriosität der Jazz- und Klassik-Szene“ (Gonzales) abgestoßen fühlt. Die Strategie verfängt, denn der Beethovensaal war am Montagabend annähernd ausverkauft, die Stimmung von Beginn an ausgelassen.

Gonzales, das Kaiser Quartett und der Teilzeit-Schlagzeuger Joe Flory revanchierten sich mit ausgesprochener Spielfreude und arbeiteten sich durch ein buntes Programm aus alten und neuen Stücken, deren Spannbreite sich von Beethoven („LvB, Bitch!“) über seinen Lieblingsfeind Wagner bis Strawinsky, von Erik Satie über Steve Reich bis Ryuichi Sakamoto, von Giorgio Moroder bis hin zu Daft Punk erstreckte. Gonzales gab den rappenden Entertainer, den Klaviervirtuosen und meinungsfreudigen Musikvermittler, der sein Publikum auch schon mal am Beispiel von „In the Mood“ über die Bedeutung von Arpeggien aufklärt. Mit lausbubenhaften Charme und verquerem Witz mokierte sich Gonzales über die deutsche Sprache, über deutsche Sitten und Gebräuche wie das Schunkeln, bastelte leichthin mit dem Streichquartett den Rhythmus eines Minimal-Tracks, spielte eigene Hits wie „Advantage Points“ und ließ Komplexes spielerisch leicht erscheinen.

Zwischenzeitlich brillierten die Streicher mit ihrer famosen Version von „Chase“, einer Moroder-Disco-Komposition, während der Bandleader einen Zuschauer anging, der es in einem sehr leisen Moment des Konzerts nicht lassen konnte, diesen Moment für die Social-Media-Gemeinde zu dokumentieren. Das letzte Stück vor der Zugabe war dann eine meisterliche Verbeugung vor Wolfgang Dauners „Wendekreis des Steinbocks“ und – nach Standing Ovations – eine zweite Zugabe im weißen Bademantel. Bitte alle schunkeln, und sei’s für Udos seeliges Angedenken. Schließlich noch in Helge-Manier die Abbitte für den Spruch vom musikalischen Genie, der das Publikum um das Glück betrog, dies selbst zu erkennen und zu formulieren.