Der Verleger Gui Minhai verschwand eines Tages spurlos. Nun legte der Mann mit schwedischem Pass im chinesischen Fernsehen ein Geständnis ab. An dessen Echtheit zweifeln allerdings viele.

Peking - Es hat ihm wenig geholfen, dass er EU-Staatsbürger ist: Ein Verleger Peking-kritischer Bücher ist in chinesischer Gefangenschaft aufgetaucht, nachdem er im Oktober in Thailand verschwunden war. Am Sonntagabend gestand Gui Minhai im Staatsfernsehen ein tödliches Verkehrsdelikt ein und bat um eine harte Strafe. Experten halten das Geständnis für erzwungen – und sehen den 51-Jährigen als Opfer des Staatsapparats.

 

„Rechtlich gesehen ist das Video wertlos“, sagt Nicholas Bequelin, Bereichsleiter Ostasien bei Amnesty International. Gui sei weder rechtskräftig verurteilt, noch habe er Zugang zu Anwälten oder diplomatischem Beistand.

Kritiker verschwinden einfach

In China „verschwinden“ Regierungskritiker immer öfter. Die Polizei erpresst dann nicht selten Geständnisse durch Drohungen gegen die Familie oder durch Folter, wie ein Betroffener berichtet.

Zwei Eigenheiten des Falls Gui erregen besondere Sorge. Gui hat seinen Lebensmittelpunkt in Hongkong, besitzt jedoch einen schwedischen Pass – das zeigt, dass der Staat auch politisch aktive Ausländer immer härter anpackt. Außerdem war er beim Urlaub in Thailand verschwunden: Chinas Behörden schnappen sich ihre Opfer nun offenbar auch außerhalb des eigenen Staatsgebiets.

In den vergangenen Wochen sind auch vier Kollegen Guis bei dessen Kleinverlag Mighty Current unter mysteriösen Umständen abhandengekommen. Der Verlag hatte zuletzt ein Skandalbuch über Chinas Staatspräsident Xi Jinping geplant. Ein Mitbesitzer von Mighty Current, Lee Po, hat sich Ende Dezember nach seinem Verschwinden mit einem Brief gemeldet: Sein Gewissen habe ihn nach China zurückgetrieben. Am Wochenende tauchte ein weiterer mysteriöser Brief auf, in dem er seinem Geschäftspartner Gui einen verantwortungslosen Charakter unterstellte. Lee hat einen britischen Pass.

Die EU zeigt sich „extrem besorgt“

Die EU-Vertretung in Peking zeigte sich über das Verschwinden der beiden europäischen Staatsbürger „extrem besorgt“. Die Behörden sollten endlich die Umstände des Verbleibs der Mitarbeiter von Mighty Current aufklären, sagte ein Sprecher.

Guis Tochter hat sich unterdessen aus London zu Wort gemeldet: Sie sei überzeugt, dass ihr Vater entführt wurde. Die Moderatorin der Sendung „Oriental Horizon“ auf dem Kanal CCTV 13 kündigte den umstrittenen Beitrag dagegen als Aufdeckung einer Straftat an – basierend auf einem „exklusiven Interview“ mit dem Täter Gui. Er sei völlig freiwillig nach China gekommen, betont der Verleger unter Tränen vor der Kamera. „Ich bitte die schwedische Regierung, sich nicht für mich einzusetzen und sich nicht in meine Privatangelegenheiten einzumischen“, lautet sein ungewöhnlicher Appell.

Der Druck auf Kritiker verstärkt sich

Anwälte sehen in den immer dreisteren Praktiken Pekings ein Zeichen, dass sich die Einschüchterung von Kritikern verstärkt. „Früher sind die Behörden mit ausländischen Staatsbürgern nicht so umgegangen“, sagt Juraprofessor Fu Hualing von der University of Hong Kong. „Statt ein faires Verfahren zu gewährleisten, werden die Beschuldigten von der öffentlichen Meinung vorverurteilt.“

Die chinesische Regierung unter Staatspräsident Xi hat in den vergangenen zwei Jahren die Kontrolle über Presse, Wissenschaft und Internet verschärft. Zehntausende von Zensoren arbeiten daran, Kritik an der Regierung und ihrem Weltbild zu unterdrücken. In Hongkong herrschte bisher jedoch weitgehende Freiheit der Veröffentlichung. Mit dem Schlag gegen die Inhaber von Mighty Current zeigt sich nun, dass Peking dort immer stärker eingreift.