An diesem Freitag wird Katarzyna Kozielskas Choreografie „Neurons“ im Stuttgarter Schauspielhaus uraufgeführt. Es geht um Nervenzellen und Delta-Wellen.

Kultur: Ulla Hanselmann (uh)
Stuttgart - - Sie gilt als Reid Andersons Neuentdeckung: Mit „Neurons“ legt Katarzyna Kozielska ihre 16. choreografische Arbeit vor und firmiert beim Ballettabend „Kammerballette“ neben so großen Namen wie Hans van Manen und Glen Tetley.
Frau Kozielska, vor zwei Jahren hatte Ihr letztes Stück für das Stuttgarter Ballett, „A. Memory“, Premiere. Was ist seitdem passiert?
Ich hatte kurz vor der Premiere von „A. Memory“ noch eine Uraufführung in Augsburg mit „Palpitation“, ansonsten habe ich in der Zwischenzeit etliche kleinere Sachen kreiert. Für Elisa Badenes etwa, die in Essen den Deutschen Tanzpreis bekommen hat, das Solo „Limelight“, und für meinen Kollegen Daniel Camargo das Solo „Firebreather“, das er bei einer Gala von Filip Barankiewicz gezeigt hat . . .
Filip Barankiewicz war früher Erster Solist in Stuttgart und wird Ballettdirektor des Tschechischen Nationalballetts in Prag . . .
. . . „Firebreather“ bezeichnet einen Menschen, der Kraft ohne Ende hat – genau das ist Daniel Camargo für mich. Außerdem noch ein Pas de deux für Myriam Simon und Alexander Jones, ein Solo für Anna Odadcenko…
Das ist eine ganze Menge. Wie schaffen Sie es, die choreografische Arbeit in Ihren Alltag als Tänzerin einzubauen?
Es macht mir sehr viel Freude zu choreografieren, und wenn die Tänzer von sich aus zu mir kommen und sagen: „Ich habe eine Gala, hast du nicht Zeit, mit mir etwas zu machen?“, dann habe ich immer Lust und wir finden irgendwo Zeit dafür.
Sie choreografieren jetzt seit sechs Jahren. In der Ankündigung des Ballettabends, in dem Ihre neue Choreografie „Neurons“ zu sehen sein wird, werden Sie als „Reid Andersons choreografische Neuentdeckung“ angekündigt.
Dass mir Reid Anderson immer wieder neue Aufträge gibt und mir damit zeigt, dass ihm gefällt, was ich mache, freut mich sehr. Das kommt dann noch hinzu zu der Freude an der Musik, am choreografischen Prozess, an der Arbeit mit den Tänzern und macht die Sache erst rund.
Ihr Stück ist eine von drei Choreografien: Auf dem Programm stehen außerdem Hans van Manens „Kammerballett“ sowie Glen Tetleys „Arena.“ Das sind große Namen – wie fühlen Sie sich dabei?
Als ich das das erste Mal hörte, dachte ich: Wow! Aber ich denke, ich brauche vor den großen Namen keine Angst zu haben. Ich mache mein eigenes Ding.
Ihr neues Stück heißt „Neurons“. Erklären Sie uns, um was es geht?
Stuttgart ist manchmal grau in grau, und plötzlich kommt die Sonne raus! Ich habe mich gefragt: Was passiert in so einem Moment in meinem Gehirn? Wie sehen überhaupt meine Gehirnströme aus? Also habe ich beim Neurologen ein EEG anfertigen lassen. Man unterscheidet ja unterschiedliche Frequenzbereiche der Gehirnsignale. Mein Stück fängt bei den sogenannten Delta-Wellen an, geht über zum Theta, dann zum Alpha, Beta und Gamma und dann nochmal zurück zu den Theta-Wellen.
Was geschieht in den einzelnen Phasen?
Delta-Wellen sind typisch für die traumlose Tiefschlafphase. Theta-Wellen treten beim leichten Schlaf auf, wenn man träumt, und Alpha-Wellen sind charakteristisch für den Zustand zwischen Schlafen und Wachsein und umgekehrt, eine Phase, in der man höchst kreativ ist. Ich versuche oft, mich bewusst in diesen Zustand zu bringen. Und Beta, das ist das Aufwachen, die erste Tasse Kaffee, der Tag fängt an. Die Gamma-Wellen gehören zum Multitasking, wenn man alles gleichzeitig macht, telefonieren, das Kind trösten, putzen. Ich versuche, all diese verschiedenen Zustände in meinem Stück zu zeigen, zusammen mit der Optik der EEG-Wellen und den Gefühlen, die die Musik von John Adams und Max Richter in mir auslöst. Die Tänzer sind dabei die Neuronen, sie senden und empfangen Informationen, haben aber selbst keine Gefühle, keine Erinnerung.
Sie arbeiten mit zehn Tänzern, darunter sind nicht nur Erste Solisten und Solisten, sondern auch sehr junge Kollegen aus dem Corps de Ballet.
Ja, es ist mir wichtig, dass auch der Nachwuchs zum Zug kommt, auch wenn ich da natürlich mehr erklären muss. Gleichzeitig sind unter den sechs Tänzerinnen und vier Tänzern in „Neurons“ auch einige, die schon oft mit mir gearbeitet haben und die sehr genau wissen, wie ich den Körper bewegen will.