Wie soll die Universität Hohenheim mit einer bibeltreuen Christen-Gruppe umgehen? Kritiker rufen nach mehr Distanz, der Rektor pocht auf Toleranz: eine Hochschule müsse auch abseitigere Ansichten aushalten.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Für den „March for Science“ gibt es auch an der Universität Hohenheim einige Sympathien. Weltweit wollen Wissenschaftler am 22. April auf die Straße gehen, um für den Wert der Wissenschaft zu demonstrieren – und vor allem gegen die Relativierung wissenschaftlicher Erkenntnisse. In Zeiten, da ein US-Präsident „alternative Fakten“ propagiere und Ergebnisse der Forschung als „mögliche Meinung unter vielen“ dargestellt würden, meinen die Initiatoren, müsse man einfach Flagge zeigen. Auch in Stuttgart ist eine kleine Kundgebung geplant, eine größere in Tübingen.

 

Mit Blick auf den Termin ist in Hohenheim derweil eine zuletzt vor zwei Jahren intern geführte Diskussion neu aufgeflammt. Es geht um den Umgang mit einer Gruppe von Studenten und Mitarbeitern, die sich „Christen an der Universität Hohenheim“ nennt. Die Hochschule, finden Kritiker, räume dieser noch immer allzu viel Spielraum für ihre Selbstdarstellung ein. Ziemlich haarsträubend sei es, was auf der offiziellen Uni-Internetseite an „kreationistischer Propaganda“ verbreitet werde. Wer dort als Suchbegriffe „Entstehung der Erde“ oder „Satan“ eingebe, komme aus dem Staunen nicht mehr heraus. „Ist das unser Beitrag zum March for Science?“, wird im internen Online-Forum sarkastisch gefragt.

Ist das jüngste Gericht nicht mehr fern?

Tatsächlich geht es eher um Glauben als um Wissenschaft, wie schon die Vortragsthemen fürs Wintersemester 2016/17 zeigen. „Jesus kommt bald zurück“, heißt es da. Es sei „sehr gut möglich“, dass man seine Wiederkunft zum Jüngsten Gericht erleben werde. Schon in Kürze sei ein „äußerst seltenes Zeichen am Himmel“ zu erwarten. Dieses stehe im Zusammenhang mit der „Entrückung“ der Gläubigen, also ihrem Transfer aus der irdischen in die himmlische Sphäre. Vieles im Weltgeschehen deute darauf hin, dass diese in der Bibel vorhergesagte Phase ganz nahe sei, meint die Gruppe. In einer von ihr verbreiteten Zeitstrahlgrafik ist sie ebenso vermerkt wie die Erschaffung des Menschen vor 6000 Jahren. Binnen sechs Tagen habe Gott damals die bereits bestehende, aber im Chaos versunkene Welt neu geordnet. Erst seither gebe es Menschen mit Geist und Seele. Das stehe keineswegs im Widerspruch zu den Erkenntnissen der Wissenschaft, meint ein Sprecher der „Christen“: Vor Adam und Eva hätten sogenannte voradamitische Wesen die Erde bevölkert. Inhalte der Bibel anzunehmen und Wissenschaftler zu sein lasse sich sehr wohl vereinbaren, findet der Mathematiker.

Etliche Studenten und Mitarbeiter der Uni tun sich da schwerer. Die jetzt wieder anlaufende Diskussion wurde schon mehrfach geführt, zuletzt Ende 2014. Es seien schon seltsame „Tatsachen“, die da auf der Homepage und in Hörsälen der Uni verbreitet würden, hieß es im Online-Forum. Man wolle keine „Missionierungsversuche“ mit Flugblättern und Plakaten. Mit ihrem „massiven Auftreten“ bringe die Gruppe alle Christen in Verruf, klagte ein evangelischer Hochschulpfarrer. Dabei besteht sie aus nicht viel mehr als einem Dutzend, zudem wechselnden Mitgliedern.

„Schöpfungsmythos ohne Unisiegel“

Aber es gab auch Appelle zur Gelassenheit. Man könne derlei „Fundamentalismus“ ja abstrus finden, wurde erwidert, müsse aber nicht gleich nach Verboten rufen. Gerade einer Hochschule stünden Toleranz und Meinungsfreiheit gut an. Ähnlich äußerte sich schließlich der Rektor Stephan Dabbert. Auch er teile die „Irritationen“, sagte er im Uni-eigenen „Online-Kurier“. Doch eine Universität habe die „Pluralität von Meinungen und Weltanschauungen“ zu schützen; studentische Gruppen bereicherten zudem das Campusleben. Gleichwohl sorgte Dabbert für mehr Distanz: Das Uni-Logo ist seither für religiöse Gruppen tabu, auf deren Website erscheint nun ein Hinweis: die Inhalte spiegelten „nicht notwendigerweise die Meinung der Universität wider“. Die „Kurier“-Schlagzeile brachte es auf den Punkt: „Schöpfungsmythos ohne Uni-Siegel.“

Auf dieser Linie bleibt der Rektor auch heute. Die Inhalte der „Christen“-Seite stünden zwar „im Gegensatz zu dem, was die Universität vertritt“, ließ er auf StZ-Anfrage ausrichten. Man traue den Nutzern aber zu, „Glauben und Wissen zu unterscheiden“. Auch „abseitigere Einstellungen“ hätten ihren Platz auf dem Campus, wenn sie nicht diskriminierend seien oder freiheitlich-demokratische Grundprinzipien verletzten. Diese Grenze sehe man bei den „Christen“ nicht überschritten, teilte ein Uni-Sprecher mit. Dass es sich trotz des generalisierenden Namens „eher um eine Nebenströmung“ des christlichen Glaubens handle, sei unschwer zu erkennen. Leistungen der Hochschule wie die Präsenz auf der Homepage oder die kostenlose Nutzung von Hörsälen könnten im Übrigen alle Gruppen nutzen, die von der Studierendenvertretung anerkannt seien; dafür gebe es einen Kriterienkatalog.

Keine Meinung zum „March for Science“

Zum „March for Science“ hält sich die Uni Hohenheim übrigens bedeckt. Dieser werde „von mehreren Einzelpersonen der Universität unterstützt“, denen man ebenfalls Raum zum Ausdruck ihrer Überzeugung lasse, sagt der Sprecher Dabberts. Die Uni selbst äußere sich nicht dazu. „Mangelnde Unterstützung durch die Unis“ nennt das Orga-Team als einen Grund dafür, dass in Stuttgart am 22. April nur eine kleine Kundgebung stattfinde. Danach gehe es zum Marsch nach Tübingen.