Während 200 000 Besucher bei tropischen Temperaturen den CSD feiern, gibt es Streit um die Regenbogenfahne auf dem Neuen Schloss. Die CDU nennt die Beflaggung „unwürdig und dumm“.

Freizeit & Unterhaltung : Ingmar Volkmann (ivo)

Stuttgart - Bei über 30 Grad im Schatten und einem hübschen Sahara-Windchen, das sich einem ungefragt an den Hals wirft, sollte man sich im Bereich Textilien auf das Wesentliche konzentrieren. Man kann es aber auch wie eine Dragqueen halten und die Hitze mittels Kostüm einfach ignorieren. So geschehen bei der Parade zum Christopher Street Day (CSD) am Samstag, bei der ein bezaubernder Transvestit die Kehrwoche lebt und rund 25-Staubwedelartige Gebilde in Regenbogenfarben am barocken Kostüm befestigt hat.

 

Über 200 000 Besucher feiern laut Polizeiangaben am Samstagnachmittag ein farbenfrohes Fest für Toleranz in Stuttgart. Die Politparade stellt traditionell den Höhepunkt der schwullesbischen Veranstaltung dar. „Alles was ist, ist vernünftig“, grüßt der Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel von der Fassade des Hegel-Hauses in der Kurve der Eberhardstraße. CSD-Feinschmecker sehen diesen Streckenabschnitt als Höhepunkt der Parade an. Vom Stuttgarter Süden kommend erobert die Politparade an dieser Stelle hupend, pfeifend, johlend die Innenstadt.

Auch das Autohaus Putzlacher wirbt für Toleranz

Vorab eine Gruppierung Motorradfahrer mit blau-weißen Ballons an den Hinterteilen der Maschinen. Es folgen Dragqueens auf High Heels, mindestens so hoch wie der Tagblattturm. Auch das Autohaus Putzlacher aus Magstadt wirbt für Toleranz mittels lauter Dancehall-Musik.

„Male, female, fuck you“ grüßt der Verein TransMann freundlich, ehe der erste CSD-Truck mit ordentlich Bass um die Ecke fährt. „Let me love“, tönt es aus den Boxen: Jubel auf dem Wagen, Jubel am Straßenrand. Der folgende www.un-verschaemt.de-Partywagen wird freundlich unterstützt vom SM-Studio Arachne.

Politik nutzt CSD zur Bühne im Bundestagswahlkampf

Auch die Politik nutzt die CSD-Bühne so kurz vor der Bundestagswahl: „Piraten denken queer“, behauptet die Netzpartei von sich. Wie gewohnt brutal liberal: die FDP. Hoch auf dem gelben Wagen werden Kondome ans Volk verteilt. Die Veranstaltung selbst ist sogar noch liberaler als die FDP: Es dürfen zwei Vertreter des CSD Karlsruhe mitlaufen. Das ist tatsächlich tolerant. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Stefan Kaufmann lässt derweil durch Sängerin Cher aus der Konserve auf seinem Truck ausrichten, dass er „Strong enough!“ sei. Ob sich die Ansage auf das Duell mit Cem Özdemir im Wahlkreis Stuttgart I bezieht, ist nicht bekannt. Der grüne Truck folgt mit einer ekstatisch tanzenden Brigitte Lösch, Vizepräsidentin im Landtag von Baden-Württemberg. „100 Prozent Gleichstellung nur mit uns“, findet die SPD. „Freiheit ist immer die Freiheit der Andersliebenden“, grüßt die Linke von ihrem Wagen.

Dass die Parade aber nicht nur eine Bühne für Politiker oder gar ein besserer Faschingsumzug ist, zeigt sich spätestens bei der Abschlusskundgebung auf dem Schlossplatz. Als Florin Buhuceanu, der Organisator der Gay Pride in Bukarest, von seinen Erfahrungen erzählt, tritt der grelle CSD-Aspekt für einen Moment in den Hintergrund. Buhuceanu gilt als einer der wichtigsten Aktivisten für die Rechte von Schwulen und Lesben in Osteuropa. Derzeit arbeitet er an einer Petition gegen ein Gesetz in Moldawien, das Homosexuellen das Zurschaustellen schwullesbischer Symbole in der Öffentlichkeit verbietet.

Regenbogenfahne auf dem Neuen Schloss sorgt für Streit

Man muss aber gar nicht bis Moldawien gehen. Auch in Stuttgart gibt es 2013 tatsächlich noch Streit um eine Regenbogenfahne. Als Christoph Michl vom Veranstalterteam auf die Flagge hinweist, die erstmals über dem Neuen Schloss weht, brandet bei den Zuschauern großer Jubel auf. „Das ist ein weithin sichtbares Zeichen der Toleranz“, freut sich Michl. Andere sehen die Regenbogen-Fahne weniger positiv: CDU-Landesvize Winfried Mack bezeichnete die Beflaggung als „unwürdig und dumm“: „Auf das Neue Schloss gehört nur die Fahne von Baden-Württemberg“, sagt er. „Wer diesen Ort heute einer Interessengruppe überlässt, kann ihn morgen auch einer Firma überlassen.“

Beim Veranstalter kommt diese Aussage naturgemäß weniger gut an: „Das zeigt eben, wie schwer sich die CDU nach Jahrzehnten der Ignoranz immer noch mit uns tut“, so Christoph Michl. Aber auch unter Rot-Grün sei noch nicht alles rosarot: „Die Landesregierung erstellt zwar derzeit ihre begrüßenswerten Bildungspläne zum Thema Toleranz, subsumiert schwullesbische Themen aber bisher unter dem Begriff Prävention. Als gelte es, eine Prävention vor Homosexualität zu formulieren“, so Michl. Stattdessen fordert das Vorstandsmitglied des Vereins IG CSD Stuttgart, schwullesbische Inhalte auch explizit so zu nennen und in den Lehrplan mitaufzunehmen. Christoph Michl: „Sonst sind die Bildungspläne schon jetzt gescheitert.“