Nur wenige Monate stand Claus Jessen an der Sitze des Automatisierungsspezialisten Festo aus Esslingen. Auch weil er an den Gehältern der Mitarbeiter sparen wollte, erntete Jessen Kritik.

Wirtschaft: Ulrich Schreyer (ey)

Stuttgart - Beim Esslinger Automatisierungsspezialisten Festo tritt der Vorstandsvorsitzende Claus Jessen überraschend zurück. Jessen habe sein Amt wegen unterschiedlicher Auffassungen über die künftige strategische Ausrichtung des Unternehmens zwischen ihm und dem Aufsichtsrat niedergelegt, sagte eine Sprecherin des Unternehmens. Bis zu seinem Ausscheiden aus dem Unternehmen zum Ende des Jahres bleibe der bisherige Vorstandsvorsitzende weiter beratend für Festo tätig. Jessen hatte den Vorstandsvorsitz erst Anfang des Jahres nach längerer Krankheit wegen eines Unfalls übernommen. Bei Festo war er allerdings schon seit 2003 tätig gewesen, so etwa als Leiter des Werkes im saarländischen Rohrbach. Vorstandsmitglied wurde er 2010, zuständig war er für Portfoliomanagement, Entwicklung, Einkauf, Produktion und Logistik. Jessen war Nachfolger von Eberhard Veit, der das Unternehmen 15 Jahre lang geführt hatte. Veit hatte sich Ende des vergangenen Jahres von Festo verabschiedet und sich selbstständig gemacht. Unter anderem berät er jetzt die Bundesregierung zum Thema Industrie 4.0.

 

Sparmaßnahmen

Der Betriebsratsvorsitzende von Festo, Hans-Jürgen Drung, sagte, in jüngerer Zeit habe es Kritik an verschiedenen Plänen des Vorstands gegeben. So habe es auch Versuche gegeben, bei den Löhnen und Gehältern der Mitarbeiter zu sparen. Dies habe die Arbeitnehmervertretung teilweise verhindern können. Bei verschiedenen Mitarbeitern sei allerdings die Wochenarbeitszeit von 40 Stunden auf die im Tarifvertrag geregelte Arbeitszeit von 35 Stunden reduziert worden. Für diese Mitarbeiter sei eine Wochenarbeitszeit von 40 Stunden bei einer entsprechend höhere Bezahlung vereinbart gewesen, die nun gestrichen werde. Die Sprecherin des Unternehmens bestätigte, verschiedene Einsparungsabsichten, meinte aber, die Entscheidung des Aufsichtsrat, sich von Jessen zu trennen, habe damit direkt nichts zu tun.

Der Betriebsratsvorsitzende deutete an, Jessen habe möglicherweise dem Aufsichtsrat zu schöne Pläne für die Weiterentwicklung des Unternehmens vorgelegt. „Manches Mal ist die Planung anders als die Wirklichkeit“, sagte Drung. Da Festo als auch finanziell ordentlich dastehendes Unternehmen gelte, seien die Einsparungen bei den Beschäftigten auch für den Betriebsrat um so überraschender gewesen. Eine mögliche Streichung von Arbeitsplätzen sei aber „kein Thema, das sehen wir auch als Betriebsrat nicht“, meinte der Vorsitzende der Arbeitnehmervertretung. Nach Informationen dieses Blattes hatte Drung bei einer hitzigen und überfüllten Betriebsversammlung in der Ostfeldhalle im Esslinger Stadtteil Berkheim auch einen Rücktritt von Jessen gefordert. Dabei soll er gesagt haben, wenn dieser so weitermache, werde er wohl nicht lange am Ruder bleiben. Da wegen der Überfüllung viele Mitarbeiter nicht an der Betriebsversammlung teilnehmen konnten, wurde kurze Zeit später eine weiter Versammlung einberufen.

Esslingen erlässt Festo Kosten

Darauf, dass bei Festo offenbar der Rotstift regiert, deutet auch hin, dass sich das Unternehmen im April von einem mit der Stadt Esslingen ausgehandelten Vertrag distanzierte und deutlich weniger Kosten für den Ausbau einer Kreuzung übernehmen wollte, als ursprünglich zugesagt. Letzten Ende musste sich das Unternehmen mit 317 000 Euro weniger als ausgehandelt an den Kosten für den Bau eines Verkehrsknotens beteiligen. Der Esslinger Oberbürgermeister Jürgen Zieger hatte die Reduzierung des Anteils von Festo im Stadtrat gegen kritische Stimmen als eine Maßnahme im Rahmen der Wirtschaftsförderung verteidigt. Eine Maßnahme, mit der offenbar auch gespart werden sollte, ist inzwischen wieder aufgehoben worden: Der Stoll-Brunnen auf dem Firmengelände,benannt nach den Eigentümern des Familienunternehmens, war vorübergehend abgeschaltet. Jetzt erklärte die Sprecherin des Unternehmens, „der Brunnen läuft wieder“.

Festo, das sich als ein Vorreiter bei Industrie 4.0 sieht, hatte erst vor einem Jahr in Scharnhausen eine neue Fabrik eröffnet, in der auch Schritte hin zu Industrie 4.0 erprobt werden sollen. Insgesamt wurden 70 Millionen Euro in den Standort investiert, an dem 1200 Mitarbeiter tätig sind. Dies war die größte einzelne Investition in der Geschichte des Unternehmens gewesen. Das Unternehmen mit weltweit 17 800 Beschäftigten steigerte seinen Umsatz im vergangenen Jahr um acht Prozent auf 2,45 Milliarden Euro.