Nichts für Zartbesaitete: Das Stuttgarter Schauspiel bringt im Nord „Clockwork Orange“ nach Anthony Burgess’ Roman heraus. Sowohl der Roman als auch die Verfilmung von Stanley Kubrick wurden höchst kontrovers diskutiert – dem Stück dürfte es ähnlich gehen.

Kultur: Adrienne Braun (adr)

Stuttgart - Sie klingeln, bitten höflich um Hilfe. Ob sie wohl das Telefon benutzen, ein Glas Wasser für den kranken Freund bekommen könnten? Aber kaum stehen Alex und seine Gang im Haus des Schriftstellers, legen sie das Mobiliar auseinander, vergewaltigen den Mann, vernichten seine Manuskripte – und löschen gleich noch die Sicherheitskopien auf dem Rechner. Einfach so, aus Lust und Laune. Denn rohe, nackte Gewalt ist das Hobby von Alex. Und falls ihm kleine Mädchen unterkommen, vergewaltigt er sie. „Vergewohltätigen“ nennt er das.

 

„Clockwork Orange“ ist nichts für Zartbesaitete. Der Roman von Anthony Burgess als auch die legendäre Verfilmung von Stanley Kubrick wurden höchst kontrovers diskutiert. Gewalt werde ästhetisiert und um ihrer selbst eingesetzt, meinten Kritiker, denn selbst wenn die Brutalität verfremdet sein mag, wird sie exzessiv zur Schau gestellt.

Das Schauspiel Stuttgart hat sich den Stoff nun vorgenommen und mit jungen Akteuren sowie Studierenden der Akademie der Darstellenden Kunst in Ludwigsburg im Nord aufgeführt. Die mit Plastikfolien ausgelegte Bühne (Ausstattung: Robert Sievert) lässt schon ahnen: Es wird auch hier zur Sachen gehen.

Hier wird „gesloosht“ und „gesplosht“

Im Nord sind Alex und seine Gang allerdings keine schweren Jungs, sondern nette Mädchen von nebenan mit züchtigen Frisuren und Hosen, die ihnen fast bis unter die Achseln reichen. Burgess konstruierte für Alex und dessen „Droogs“ den fiktiven Jugendslang „Nadsat“. Da wird „gesloosht“ und „gesplosht“, da saugt der Porsche „die Straße wie einen Spaghetto“ ein. „Wir strippten ihn runter“, erzählen die Frauen – und man ahnt doch, dass sie jemandem eine handfeste Lektion erteilt haben.

Der Regisseur Daniel Foerster versucht, die Gewalt zu verfremden und baut choreografierte Einlagen zu harten Technobeats ein, die an Fitnessworkouts erinnern. Die Kids trinken nicht nur mit synthetischen Drogen angereicherte Milch, sondern kippen sie ihren Opfern literweise über die Köpfe – und es kommt zu feuchten Schlachten, bei denen die Geprügelten schließlich hilflos in den milchigen Pfützen schlingern.

Man weiß nicht genau, was diese jungen Leute antreibt, man weiß auch nicht, warum diese sinnlosen Gewaltexzesse heute auf die Bühne gebracht werden. Aber Foersters Inszenierung ist einfallsreich und bietet dem jungen Ensemble viele Möglichkeiten, seine Qualitäten zu zeigen. Die Schauspielerinnen sind beeindruckend und enorm vielseitig, aber vor allem Varya Popovkina ist stark, souverän und höchst präsent als Alex, diesem schöngeistigen Teufel.

Er wird schließlich in einem medizinischen Experiment einer Gehirnwäsche unterzogen, denn Burgess wollte zeigen, zu welchen Mitteln eine Regierung greift, um Kriminelle umzuerziehen. Im Nord dagegen bleibt unklar, was mit Alex passiert, grad so, als sei nach diesem neunzigminütigen Gewaltrausch keine Kraft mehr übrig geblieben für das, worum es dem Autor eigentlich ging.