Theater im Club? Das ist ungewöhnlich. Im Zollamt in Bad Cannstatt passiert genau das. Ein Experiment verbindet dort Schauspiel, Musik, Tanz und Graffiti. Die Regisseurin Christine Bossert hat sich für die erste Produktion unter ihrem neu gegründeten Theater-Label gleich an schweren Stoff gewagt.

Stuttgart - Eine junge Schauspielerin steht hinter dem DJ-Pult. Mal haucht, mal faucht sie ihre Worte in den leeren Raum. „Ruft mich an“, schreit sie plötzlich, um daraufhin aufs Pult zu springen. Sie legt ihre Hände auf einen klebrigen Film, der sich auf der Oberfläche des Pults durch die Nebelmaschine abgelagert hat. Auch Tage später sind die Überreste des Wochenendes noch nicht ganz beseitigt.

 

Theater im Club. Das ist ungewöhnlich, da prallen gerne mal zwei Welten aufeinander. Auch die freie Schauspielerin Christine Binder probt in ungewöhnlicher Atmosphäre an diesem Dienstagabend. Es ist kühl im Club Zollamt auf dem ehemaligen Güterbahnhofsgelände in Bad Cannstatt. Auch die Regisseurin, die ihr gegenüber auf den Treppenstufen sitzt, zieht sich den Schal ins Gesicht. Doch die Szenen werden durchgepaukt, das Stück, das sie sich vorgenommen haben, ist kein einfaches.

Das gesamte Zollamt wird bespielt

Die Regisseurin Christine Bossert hat sich für die erste Produktion unter ihrem neu gegründeten Theater-Label „Wir.jetzt!“ an schweren Stoff gewagt. „Radio Noir“ ist im Jahr 1998 von Albert Ostermaier geschrieben worden. Es handelt von der exzentrischen Radiomoderatorin Parthenope, die als Stimme der Nacht zu einem Roadtrip durch die Seele der Großstadt aufruft. Sie ist lasziv, beschwörend und bisweilen aggressiv. Es ist ein Ein-Frau-Stück, doch dabei wird es Christine Bossert bei Weitem nicht belassen.

Im Gegenteil: an den Abenden im März und April, an denen das Stück gezeigt wird, wird das gesamte Zollamt bespielt. Noch ist es schwer vorstellbar, wie es einmal aussehen wird. Wenn nicht mehr nur Christine Binder im leeren Raum stehen, sondern umgeben von Zuschauern, Tänzern und Sängern sein wird. Wenn nicht mehr nur ihre Stimme, sondern auch Musik, Videoinstallationen und Hintergrundgeräusche, das Knarzen in den Rohren, das Rattern von Zügen den Raum erfüllen.

Kein Theater, in dem man sich berieseln lässt

Bei den Aufführungen sollen die Zuschauer der Schauspielerin durch die Räume des Clubs folgen. Da wird auch mal nicht jeder alles sehen. Christine Bossert nennt es „kaleidoskopartig“. „Wir möchten weg vom klassischen Theater, wo man sich berieseln lässt“, sagt die 40-Jährige.

Christine Bossert ist freischaffende Schauspiel- und Opernregisseurin. Ihr Handwerk hat sie durch Engagements an verschiedenen Häusern und durch verschiedene Inszenierungen gelernt: an der Staatsoper in Stuttgart oder dem Theater in Konstanz beispielsweise. Angefangen allerdings hat sie als Schauspielerin. Doch der Wunsch, der schlummerte schon immer in ihr: „Ich liebe es Sachen zu gestalten, Produktionen auf die Beine zu stellen – ich packe die Sachen gerne an“, sagt sie.

Theaterabende sind auch Clubabende

Viel anzupacken gibt es derzeit tatsächlich. Im Moment nämlich besteht das Theater-Label ausschließlich aus ihr. Da ist sie froh mit dem Zollamt nicht nur den perfekten Rahmen für ihr Stück („Ich liebe den morbiden Charme“) sondern auch die perfekte Infrastruktur gefunden zu haben. Unterstützung bekommt ihr Projekt nun zusätzlich vom Kulturamt der Stadt. Um weitere Gelder zu akquirieren hat die Regisseurin auf der Internetplattform Startnext eine Crowdfunding-Aktion gestartet.

Auch wenn Theater im Club etwas Ungewöhnliches sein mag, im Zollamt ist das spätestens seit der Einführung des Kulturdonnerstags „Komme was wolle“ im vergangenen Jahr anders. Schon dieser verbindet die beiden vermeintlich konträren Bereiche Nachtleben und Kultur. „Ich mag diese Verbindung – ich finde das ist nichts, was sich ausschließt“, sagt Christine Bossert. Auch die nächsten Stücke sollen abseits der üblichen Pfade gespielt werden, sollen wieder verschiedene Sparten vereinen, zum Beispiel eine klassische Oper mit Hip-Hop. Es sei spannend sich als Theater neue Orte zu erschließen, so entstehen immer neue Facetten und nebenbei erschließe sich auch ein neues Publikum.

Im Zollamt jedenfalls kommt am Ende doch noch zusammen was zusammen gehört: Die Premiere am 20. März sowie die anderen Abende, sind auch Clubabende – nach jeder Vorstellung wird gefeiert.