Der Stuttgarter Club KimTimJim musste kurzfristig schließen – wegen des mangelnden Brandschutzes. In der Szene empört das viele, nun schaltet sich sogar Oberbürgermeister Fritz Kuhn ein. Wir fassen die Diskussion zusammen und schauen in einem Gastbeitrag nach Frankfurt.

Freizeit & Unterhaltung : Ingmar Volkmann (ivo)

Stuttgart - Groß ist der Aufschrei unter Stuttgarter Freunden gepflegter House-Musik gewesen, als der Club KimTimJim (KTJ) am Charlottenplatz vor kurzem von der Stadt geschlossen wurde. „Das Ende kam sehr abrupt“, sagte Mirko Ruppenstein, der Geschäftsführer des Clubs. „Das KimTimJim hatte eine Konzession als Gaststätte, als Schank- und Speisewirtschaft. Eine Nutzung als Diskothek war nicht möglich“, erwiderte Sven Matis, Sprecher der Stadt.

 

Nach der Schließung des Clubs, der seine Zelte über ein Jahr lang in einem ehemaligen China-Restaurant aufgeschlagen hatte und bei Gästen wegen der Künstler und der ausgezeichneten Anlage beliebt war, ist im Internet eine Diskussion um die temporäre Bespielung von leer stehenden Gebäuden in Stuttgart entbrannt. Grund: Das KTJ war als temporäres Clubprojekt angelegt, spätestens im März hätte die Einrichtung schließen müssen. Das Gebäude ist Teil des Areals, das Breuninger für sein Dorotheenquartier eingeplant hat.

Fritz Kuhn als Hoffnungsträger der Subkultur?

Die Diskussion im Netz ist dabei vom konkreten Fall KTJ auf eine höhere Ebene gewandert: Das Ausgehpublikum nutzt die Clubschließung, um das Verhalten der Stadt gegenüber der Subkultur allgemein und speziell gegenüber temporär angelegter Nutzung zu hinterfragen. Dabei wird der neue Oberbürgermeister Fritz Kuhn als eine Art Hoffnungsträger der Subkultur in die Pflicht genommen. Auf einen Internet-Appell hin, den die Macher von www.0711blog.de publiziert hatten – Überschrift „Für Kultur macht er gerne Theater?“, Tenor „Warum seid ihr im Rathaus bezüglich Clubs eigentlich so realitätsfern?“ – sah sich Kuhn genötigt, zu reagieren. Der Blogeintrag wurde zigmal geteilt, selbstverständlich bot auch der ausgewiesene Party-Experte Stefan Kaufmann (CDU) auf diese Weise seine Hilfe an.

„Fritz Kuhn unterstützt die liberale Haltung und den Einsatz der Stadt bei der Frage von Zwischennutzungen in Gebäuden für die Stuttgarter Clubszene“, sagt Sven Matis. „Beim Brandschutz aber gibt es keine Kompromisse. Niemand will in Stuttgart Bilder wie kürzlich in Brasilien“, schränkt Kuhn selbst ein. Bei einem Brand in einer Diskothek im Süden des Landes waren Ende Januar mehr als 200 Menschen gestorben. Kuhn weiter: „Ich bin stolz auf die entfaltete und überregional positiv wahrgenommene Clubszene in Stuttgart.“ Es sei aber auch im Interesse der Clubbetreiber, dass sie den Brandschutz ernst nehmen. „Bei der Sicherheit können wir kein Auge zudrücken.“ Es sei völlig falsch zu glauben, dass „der Grüne beim Brandschutz Rabatt gibt“.

Im Netz tobt eine Debatte um den Umgang mit der Subkultur

Die Verwaltung springt Kuhn bei diesem Thema zur Seite: „Wenn es um die Sicherheit geht, können wir keine Zugeständnisse machen: Egal, ob es um eine Einzel-, Zwischen- oder eine Dauernutzung geht. Die formalen Anforderungen der Formen sind identisch, auch unsere sicherheitstechnische Bewertung ist die Gleiche. Mit der Größe der Veranstaltung steigen auch die Anforderungen an den Brandschutz und die Rettungswege“, erklärt Sven Matis. „Wir können Zugeständnisse machen, wenn es um Forderungen geht, die mit Blick auf die Nutzungsdauer unverhältnismäßig wären. In Bezug auf Barrierefreiheit, Stellplatznachweis oder Toiletten zum Beispiel“, sagt Matis weiter.

Das KimTimJim ist nicht die erste Zwischennutzung, bei der sich Stadt und Veranstalter in die Haare kriegen. 2008 sorgte das Projekt „Roundabout“ in den ehemaligen Räumen des Matthaes-Verlag am Kreisverkehr Wilhelm-/Olgastraße in S-Mitte für Unmut. Die Szene feierte Ausstellungen, Partys und Konzerte, die Stadt hatte die Off-Location dann aber ähnlich abrupt beendet wie jetzt das KTJ. „In dem Gebäude fanden damals Gastronomie und Disco statt. Ohne Erlaubnis. Das konnten wir nicht verantworten“, so Sven Matis.

Grundsätzliche Entscheidung um Wagenhallen steht an

Beim Club Rocker 33 handelt es sich ebenfalls um eine Zwischennutzung. Hier hatten sich die Betreiber kürzlich darüber beschwert, dass die Sperrzeit am Donnerstag so verkürzt wurde, dass man den Betrieb am beliebten Ausgehtag ganz einstellen musste. Stuttgarts bekannteste Zwischennutzung sind die Wagenhallen dar – die Subkultur-Spielstätte am Nordbahnhof ist zeitlich begrenzt angelegt. Hier steht laut Matis bald eine grundsätzliche Entscheidung an: „Die Stadt wird noch im Frühjahr dem Gemeinderat ihre Vorstellungen präsentieren, wie sich die Wagenhallen langfristig entwickeln sollen.“

Zurück zum Ausgang der Geschichte: Die KimTimJim-Betreiber machen nun als Veranstalter ohne eigenen Club weiter. Ihr Plan: einmal im Monat eine Band oder einen DJ spielen zu lassen – in einer Stuttgarter Off-Location.

Gastbeitrag – Clubkultur in Frankfurt

Nils Bremer beschreibt, wie die Stadt Frankfurt mit ihrer Clubkultur umgeht. Ein Gastbeitrag.

Anfang März trifft sich der Arbeitskreis Gastronomie und Innenstadt in der Landeshauptstadt zum ersten Mal. Bei diesem Treffen suchen Verwaltung, Polizei und Gastronomen nach gemeinsamen Lösungen für die Begleiterscheinungen der Partyszene in der Innenstadt. Wie sieht die Zusammenarbeit von Politik und Gastronomie in vergleichbaren Städten aus? Wie gehen diese mit Zwischennutzungen und anderen Phänomenen der Subkultur um? Der Journalist Nils Bremer beleuchtet die Situation in Frankfurt in dem folgenden Gastbeitrag:

Aus der Distanz betrachtet hat die derzeitige Situation in Stuttgart viel mit dem Frankfurt der 1990er Jahre gemeinsam. Es gibt eine Stadtverwaltung, die neue Formen der Gastronomie scheinbar nicht versteht und deshalb unterbindet. Die Frankfurter Ämter und die Frankfurter Politik haben dagegen umgedacht. Mittlerweile blüht das Geschäft mit illegalen, mit halblegalen und legalen Partys in Frankfurt. Off-Locations werden als Wirtschaftsfaktor gesehen. Ein Beispiel: Frank Lottermann, der vom Partyveranstalter zum Arbeitgeber mit 30 Mitarbeitern wurde.

Frankfurt hat verstanden, was aus der Subkultur heraus entsteht

Lottermann organisiert unter dem Label Rockmarket Partys in Frankfurt. Diese finden aktuell in der ehemaligen Zentrale der Société Général statt. Ursprünglich war die Zwischennutzung nur für den November 2012 genehmigt, mittlerweile haben wir Februar und sie läuft noch immer. Möglich ist das dank einem, wie der Partymacher sagt, großzügigem Hausbesitzer, und einer ebensolchen Stadtverwaltung. Gerade in Städten wie Frankfurt oder Stuttgart mit einem immer noch hohen Leerstand bei Büroimmobilien gibt es viel Potenzial für Zwischennutzungen.

Die Stadt Frankfurt duldet solche Off-Locations nicht nur. Sie geht sogar einen Schritt weiter. Der Wirtschaftsdezernent Markus Frank (CDU) und der Leiter der Wirtschaftsförderung, Peter Kania, setzen sich für Lottermann und seine Kreativagentur ein. Der Fokus der Stadt hat sich in den letzten Jahren stark auf die sogenannte Kreativbranche verschoben. Sie hat verstanden, dass einiges aus der Subkultur heraus entstehen kann.

Verstärkter Austausch zwischen Kulturszene und Wirtschaft

Seither blüht Frankfurt geradezu auf. Es gibt Discos in alten Stripclubs im Bahnhofsviertel, es gibt Clubrestaurants und im Sommer Technopartys mit Hunderten Besuchern unter Autobahnbrücken. Auch Frank Lottermann hat mit Zwischennutzungen angefangen, Partys zu veranstalten. 1996 war das und es lief besser als gedacht, auch mit seinem Job als Designer. Zusammen mit seinem Geschäftspartner Lorenzo Bizzi gründete er damals die sogenannte Full-Service-Agentur Nordisk, die heute 30 Leute beschäftigt.

Ende der 1990er Jahre gab es Beobachtern zufolge eine regelrechte Kampagne gegen die Off-Kultur. Zahlreiche Clubs wie das Lissania Essay des überregional bekannten DJ Shantel wurde innerhalb von zwei Wochen dichtgemacht. „Ich glaube, das war nicht der richtige Weg. Konfrontation bringt niemandem etwas“, sagt Lottermann heute. Die Stadt setze inzwischen auf einen engen Austausch zwischen Veranstaltern und Bauaufsicht.

Politiker verkaufen Kreative als Standortvorteil

Dementsprechend lobt der Kreative die Zusammenarbeit mit den Frankfurter Behörden: „Die sind richtig entgegenkommend, sagen, was geht und was nicht und wie wir mit geringem Aufwand die Auflagen einhalten können. Uns ist genauso wichtig wie denen, das nichts passiert. Was den Lärmschutz angeht, gilt in Frankfurt von Seiten der Behörden mittlerweile der Spruch: Wo kein Kläger, da kein Richter. Das ist einer der Gründe dafür, dass vielerorts kleine Off-Locations entstehen. Da sind wieder viele junge Leute unterwegs und wagen etwas. Die Stadt bringt das voran, und die Politiker verkaufen es als Standortvorteil.“

Das Bespielen der Off-Locations hat noch einen weiteren positiven Nebeneffekt. Es führt zu einem verstärkten Austausch zwischen Partyveranstaltern, der Kulturszene und der Wirtschaft. Die Immobilien-Besitzer, die mitspielen, freuen sich über den kreativen Geist, den ihr vorher so namenloses Gebäude oft umweht. Anerkannte Firmen kommen in die Off-Locations für ihre Betriebsfeiern, Labels für ihre Modenschauen, die Städtischen Bühnen für Performances. Selbst die Deutsche Bank setzte vor der Neu-Eröffnung ihrer Zentrale an der Taunusanlage auf das Know-how der Off-Szene. Daraus entsteht ein unheimliches Potenzial, das jeder Stadt gut zu Gesicht steht – ob sie nun Frankfurt oder Stuttgart heißt.

Nils Bremer, Jahrgang 1978, ist seit 2009 Chefredakteur des Stadtmagazins Journal Frankfurt. Das Journal behandelt das Frankfurter Stadtleben und zählt mit einer Auflage von 30 000 Exemplaren zu den drei auflagenstärksten Stadtmagazinen in Deutschland