Da weltweit nur wenig für den Klimaschutz getan wird, steigt der CO2-Gehalt der Atmosphäre von Jahr zu Jahr. Ist es da gerechtfertigt, jedes Jahr von einem neuen Rekord zu sprechen, um Druck auf die Politik zu machen? Einige meinen offenbar: ja.

Stuttgart - Am Dienstag ist eine Nachricht durch die Medien gegangen, die eigentlich keine Aufmerksamkeit verdient hätte. In Genf hat die Weltorganisation der Meteorologen (WMO) einen neuen Rekordwert für den CO2-Gehalt in der Atmosphäre bekannt gegeben: Er liegt jetzt im Jahresmittel bei 396 CO2-Teilchen pro einer Million Luftteilchen. Mancher Journalist schrieb, dass die Klimaforscher Alarm schlagen würden. Das stimmt auch alles – bloß ist es keine Überraschung. Was will man erwarten, wenn jedes Jahr mehr CO2 in die Atmosphäre geblasen wird? Das Global Carbon Project, das die Zahlen zusammenträgt, hat für 2012 einen Anstieg der CO2-Emissionen um etwas mehr als zwei Prozent errechnet und erwartet einen ähnlichen Wert für 2013. Die Kurve des CO2-Gehalts in der Atmosphäre geht entsprechend seit vielen Jahren kontinuierlich nach oben (siehe rote Linie in der Grafik oben). Man könnte also jedes Jahr einen Rekord melden.

 

Es ist klar, worauf die WMO abzielt: Am 23. September lädt Ban Ki-moon zum Sonder-Klimagipfel ins UN-Hauptquartier nach New York. Es ist keiner der offiziellen UN-Klimagipfel; dort wird nicht verhandelt und auch nichts beschlossen. Aber vor allem die Staats- und Regierungschefs sind aufgerufen, „mutige Schritte“ im Klimaschutz anzukündigen, um den Verhandlungen mehr Schwung zu verleihen. Die WMO will einerseits für die politischen Diskussionen aktuelle Zahlen liefern, was in Ordnung ist, aber sie macht auch Druck, obwohl das nicht ihr Geschäft sein sollte: Man müsse dem Planeten eine Chance und den Kindern und Enkeln eine Zukunft geben, wird der Generalsekretär Michel Jarraud in einer Pressemitteilung zitiert. Wieder einmal wird hier eine politische Forderung so verkauft, als folge sie direkt aus den wissenschaftlich ermittelten Fakten.

Auf den offiziellen UN-Klimagipfeln, zu denen jedes Jahr einige Tausend Politiker, Wissenschaftler und Aktivisten aus 194 Ländern zusammenkommen, sieht man, dass politische Schlussfolgerungen nicht so einfach sind, weil die Interessen weit auseinander gehen. Die Entwicklungsländer sehen zum Beispiel nicht ein, warum sie ein Problem lösen sollten, das ihnen die Industriestaaten eingebrockt haben. Im Gegenteil: sie fordern Unterstützung im Kampf gegen die Folgen des Klimawandels, von denen sie besonders stark betroffen sein werden. Da man keine Nation zum Klimaschutz verdonnern kann, muss man wohl oder übel verhandeln – so zäh das auch sein mag. Und selbst innerhalb Deutschlands kann man sich fragen, warum die CO2-Emissionen derzeit leicht steigen statt deutlich zu sinken. An fehlenden wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Klimawandel liegt das sicher nicht.

Allerdings verstecken sich Politiker zuweilen hinter wissenschaftlichen Fakten. Im inoffiziellen Schlussdokument des UN-Klimagipfels 2009 in Kopenhagen ist zum Beispiel von einem wissenschaftlich fundierten Zwei-Grad-Ziel die Rede (hier der „Copenhagen Accord“ als PDF). Das klingt, als sei es wissenschaftlich erwiesen, dass man sich bemühen sollte, den Temperaturanstieg auf zwei Grad zu begrenzen. Dabei kann die Klimaforschung nur sagen, wie groß das Risiko für bestimmte Veränderungen sein wird (mehr Dürren, mehr Überschwemmungen, mehr Hitzewellen und so weiter), wenn die Temperatur um x Grad steigt. Ob man das Risiko eingehen will oder nicht, ist eine politische Abwägung.

Die Angst, mit der eigenen Geschichte allein dazustehen

Ich glaube, dass diese Art Politik zu betreiben, die Menschen am Ende frustriert. Man sieht die CO2-Emissionen (und mittelfristig auch die Temperaturen) steigen – und kaum etwas geschieht. Was mich als Journalist zusätzlich beschäftigt, ist die Frage, warum die Nachricht vom CO2-Rekord ein so großes Echo fand. Das Thema ist nicht neu, die Kollegen kennen sich aus. Auch über den Alarmismus in der öffentlichen Debatte ist schon viel nachgedacht und geschrieben worden. Wie kann dann eine einzelne Nachricht so ungefiltert und ohne Einordnung durchrutschen? Ich glaube, da sind neue Medienmechanismen am Werk. Im Magazin des Berufsverbands der Wissenschaftsjournalisten habe ich vor einem Jahr dafür argumentiert, dass man nicht automatisch korrigierend auf ein Thema aufspringen muss, dass andere Medien vermeintlich falsch darstellen (hier nachzulesen). Nun mache ich es doch.

Mich beunruhigt an den Medienmechanismen, dass sie so vereinnahmend geworden sind. Auf journalistischen Tagungen reden zwar alle vom Mut zur eigenen Geschichte, aber im Alltag merkt man die Angst, mit seiner Geschichte zur falschen Zeit zu kommen. Die Beiträge dürfen durchaus kritisch oder sonstwie pfiffig sein, aber sie müssen vor allen Dingen schnell auf den Markt, damit man von der medialen Welle eine Weile getragen wird. Das ist nicht etwa Boulevard, wo man auf Emotion und klare Ansagen setzt, um die Leser jeden Tag aufs Neue zu packen. Das ist eine neue Art, um Aufmerksamkeit zu kämpfen: Man bringt die Nachrichten, von denen man glaubt, dass die Leser sie erwarten, weil sie schon davon gehört haben. Mir ist das eigentlich zuwider, denn ich will mir die Themen nicht diktieren lassen – auch nicht von den Medien.

Hinter dem Konflikt stecken, wenn man ehrlich ist, zwei alte Zeitungsprinzipien. Die einen halten insgeheim an der Aufgabe fest, Chronisten zu sein. Worüber alle sprechen, muss auch im eigenen Blatt stehen. Die anderen, zu denen ich mich zähle, halten insgeheim an der Aufgabe fest, Nachrichten auf ihre Relevanz zu überprüfen. Nur was wichtig ist, kommt ins Blatt. Ich befürchte, dass beide Prinzipien ihre Bedeutung verlieren. Die Massenmedien kontrollieren nicht mehr wie früher, was das Publikum erfährt, und müssen sich stärker nach dem richten, was das Publikum genauer wissen will. Das Ironische an der Übergangsphase, in der wir stecken, ist aber: dass bisher niemand das Publikum fragt. Journalisten orientieren sich nach meinem Eindruck so stark wie nie an anderen Journalisten. So ist es auch mit diesem Blogbeitrag, so dass ich am Ende die Frage nicht beantworten kann: Hätte es diesen Beitrag gebraucht?