Zwar ist der Strom seit dem Jahr 1990 viel sauberer geworden, dennoch ist das Klimaziel 2020 ohne die Energiebranche nicht erreichbar. Die einzelnen Wirtschaftszweige haben sich unterschiedlich entwickelt.

Politik/Baden-Württemberg : Bärbel Krauß (luß)

Berlin - Hätten alle Sektoren der Wirtschaft und die Privathaushalte ihre CO2-Emissionen seit 1990 so stark reduziert wie der Bereich Gewerbe, Handel und Dienstleistungen, dann könnten Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel und Umweltministerin Barbara Hendricks (beide SPD) schon die Hände in den Schoß legen. Mit einer Emissionsminderung um 48 Prozent lag dieser Wirtschaftszweig bereits im Jahr 2012 weit über der Zielmarke, die die Bundesregierung sich klimapolitisch gesteckt hat: Sie will den Ausstoß klimaschädlicher Gase im Vergleich mit dem Basisjahr 1990 um 40 Prozent senken.

 

Doch die Lage ist bei Weitem nicht so günstig und die Bundesregierung vom Übertreffen dieser Messlatte denkbar weit entfernt. Weil auf Handel, Gewerbe und Dienstleistungen mit 42 Millionen Tonnen CO2 nicht einmal fünf Prozent der deutschen Gesamtemissionen entfallen, haben die beiden Kabinettsmitglieder keinen Grund, sich entspannt zurückzulehnen. Die bisher beschlossenen Instrumente zur Vermeidung giftiger Klimagase reichen nicht aus, um das nationale Klimaziel zu erreichen.

Einigkeit herrscht in der Regierung darüber, dass weitere rund 70 Millionen Tonnen CO2 vermieden werden müssen, um das Ziel einzuhalten. Dann würden im Jahr 2020 in Deutschland nur noch 749 Millionen Tonnen Kohlendioxid emittiert; 1990 waren es 1248 Millionen Tonnen.

Das Umweltbundesamt führt penibel Buch

Der Rückblick zeigt, dass die Bemühungen der einzelnen Sektoren zu mehr Klimaschutz unterschiedliche Früchte getragen haben. Das Umweltbundesamt führt über die Entwicklung penibel Buch. Das Schlusslicht bildet der Verkehrssektor, der 1990 rund 160 Millionen Tonnen CO2 emittiert hat und 2012 für 151 Millionen Tonnen klimaschädlicher Gase verantwortlich war. Das ergibt eine Minderung um lediglich 5,6 Prozent. Die Landwirtschaft hat ihre Treibhausgasemissionen laut der Dessauer Behörde seit 1990 um 23 Prozent auf 76 Millionen Tonnen reduziert. Jetzt sollen nach dem Willen der Bundesregierung noch einmal rund vier Millionen Tonnen CO2 vermieden werden.

Die Industrie schneidet mit einer Kohlendioxid-Reduktion in ihren Produktionsprozessen um 33 Prozent seit 1990 (von 276 auf 185 Millionen Tonnen CO2) zwar besser ab; allerdings hat sich nach Einschätzung der Bundesregierung seit 2002 in ihrer Klimabilanz gar nichts mehr getan – von konjunkturellen Schwankungen abgesehen. Das soll sich jetzt ändern, denn die Regierung sieht in diesem Wirtschaftszweig noch „erhebliche“ Minderungspotenziale. Sie sollen mindestens teilweise bis zum 3. Dezember gehoben werden. Dann will die Bundesregierung das Aktionsprogramm beschließen, das die Lücke zwischen dem klimapolitischen Anspruch und der Wirklichkeit schließen soll.

Die international gültige Systematik bei Klimabilanzen verlangt, dass die Emissionen dort verbucht werden, wo sie entstehen. Das hat sowohl für die Industrie als auch für die Privathaushalte Vorteile. Denn die Emissionen aus ihrem Strombedarf landen auf einem anderen Konto. Die Statistiken weisen der Industrie lediglich die produktionsbedingten Verbrennungsprozesse und die Eigenstromproduktion zu. Den Privathaushalten werden lediglich die Klimagase zugeschrieben, die auf Warmwasser und Heizung entfallen. Der Grund: der Stromverbrauch der Bürger, der Industrie oder auch der Elektroautos wird emissionstechnisch der Energiebranche zugerechnet, weil das CO2 bei der Stromproduktion in den Kraftwerken erzeugt wird. Deshalb fällt in der Emissionsbilanz der Privatverbraucher nicht negativ ins Gewicht, dass der Stromverbrauch von 1990 bis 2011 um fast 20 Prozent gewachsen ist. Bei Heizung und Warmwasser in Haushalten sind die Emissionen in diesem Zeitraum um 28 Prozent gedrosselt worden (auf 94 Millionen Tonnen CO2). Auch dort sieht Berlin noch Nachholbedarf bis zum Jahr 2020. Deshalb wird in der Bundesregierung über Steuererleichterungen und Förderprogramme für energetische Sanierungen verhandelt, mit deren Hilfe die Sanierungsrate steigen soll.

Die Energiebranche ist der Dreh- und Angelpunkt

Weil bei der Stromproduktion der Löwenanteil der Emissionen in Deutschland anfällt, ist die Energiebranche Dreh- und Angelpunkt der Klimapolitik. 1990 wurden dort 458 Millionen Tonnen schädlicher Gase ausgestoßen; 2012 waren es noch 377 Millionen Tonnen. Die Branche hat ihre Emissionen um 18 Prozent reduziert. Tatsächlich ist der Strommix in Deutschland in diesem Zeitraum erheblich sauberer geworden. Das Umweltbundesamt beziffert den CO2-Emissionsfaktor beim Strommix im Jahr 1990 auf 744 Gramm je Kilowattstunde. 2012 waren es nur noch 562 Gramm CO2 je Kilowattstunde.

Obwohl die Stromerzeuger den Ausstoß von Klimagasen durch bereits beschlossene Maßnahmen weiter reduzieren werden – den Erwartungen der Regierung zufolge auf 306 Millionen Tonnen bis 2020 –, soll die Energiebranche laut dem jüngsten Vorschlag von Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel weitere 22 Millionen Tonnen Kohlendioxid vermeiden. Sonst, so die Rechnung der Experten, kann Deutschland sein Klimaziel 2020 nicht erreichen.

Wie schwer das wird, zeigt der generalisierende Blick zurück: Von 1990 bis 1998 sanken die Emissionen um 14 Prozent – im Wesentlichen wegen des Zusammenbruchs der Industrie in Ostdeutschland nach der Wiedervereinigung. Von 1998 bis 2013 gingen die Emissionen aufgrund klimapolitischer Entscheidungen der Politik um elf Prozent zurück – das entspricht einem Jahres-Minus von 0,7 Prozent. Wenn das Klimaziel von 2020 erreicht werden soll, muss die Bundesregierung das Minderungstempo von damals mehr als verdreifachen: Der Ausstoß der Klimagase muss von 2014 bis 2020 um 15 Prozent gedrosselt werden, also um 2,5 Prozent jährlich.