In China ging in den letzten Jahren fast jede Woche ein neues Kohlekraftwerk ans Netz. Da lassen zwei Analysen aufhorchen: Der CO2-Ausstoß werde überschätzt, sagt die eine. Die Emissionen gehen sogar zurück, sagt die andere. Ist China also weiter, als mancher dachte?

Stuttgart - Durch das Verbrennen von Kohle, Öl und Gas sowie durch die Herstellung von Zement sind im Jahr 2013 weltweit rund 36 Milliarden Tonnen Kohlendioxid in die Atmosphäre gelangt – ein Anstieg von 2,3 Prozent gegenüber dem Vorjahr und ein neuer Rekord. Für 2014 erwartet der Forscherverbund „Global Carbon Project“ einen weiteren Anstieg um 2,5 Prozent. Im Jahr 1990, das für viele Berechnungen im Klimaschutz als Bezugsjahr herangezogen wird, lag der weltweite Ausstoß noch bei rund 22,5 Milliarden Tonnen. Heute sind es also über 60 Prozent mehr.

 

Dass das Global Carbon Project seine Zahlen erst mit einigem Verzug herausgibt, zeigt, wie aufwendig die Erhebung ist. Kraftwerke und Autos haben keinen CO2-Zähler, die Emissionen müssen indirekt ermittelt werden. Die Behörden eines Landes beginnen mit der produzierten Menge Energie oder mit dem Verbrauch von Kohle, Öl und Erdgas und berechnen daraus, wie viele Treibhausgase bei der Verbrennung entstanden sein müssen. Die Ergebnisse senden sie an die Vereinten Nationen. Die Werte unterscheiden sich jedoch von Kraftwerk zu Kraftwerk, und sie sind nicht in jedem Fall bekannt. Auch in Deutschland ist die Datenbank ist nicht vollständig. Deshalb darf man kleine Veränderungen nicht überinterpretieren – die Zahlen sind ohnehin nicht ganz präzise. Ein kleines Minus oder Plus ist noch keine Wende, sondern kann der Rechenweise geschuldet sein.

Das ist auch bei China so. Vielleicht ist die Lage dort sogar noch weniger übersichtlich, denn das Land ist groß und die Wirtschaft wächst schnell. Doch gerade weil das Land so groß ist, machen selbst kleine Unterschiede viel aus. Von den 36 Milliarden Tonnen CO2, die weltweit jedes Jahr erzeugt werden, gehen fast zehn Milliarden auf das Konto Chinas. Im Jahr 1990 waren es nicht einmal 2,5 Milliarden Tonnen – ein Anstieg auf das Vierfache. Erst ab 2030, kündigte die chinesische Regierung kürzlich den Vereinten Nationen offiziell an, werde man die Emissionen wieder senken. Doch die Zahlen müssen möglicherweise korrigiert werden. Zwei Analysen lassen jedenfalls aufhorchen.

China verbraucht weniger Kohle, sagt die Statistikbehörde

Ausgerechnet Greenpeace sieht in China eine Wende im real praktizierten Klimaschutz: Die CO2-Emissionen lägen in den ersten Monaten dieses Jahres um etwa fünf Prozent unter denen des Vorjahreszeitraums, hat Lauri Myllyvirta im Energieblog der Umweltschutzorganisation vorgerechnet. Das ist eine Menge, denn wenn das stimmen sollte, dann wäre allein dadurch der weltweite Anstieg der Treibhausgase auf Null gebremst. Die Internationale Energieagentur IEA meldet für China, dass die Emissionen im vergangenen Jahr um 1,5 Prozent zurückgegangen seien und wertet das als ermutigendes Zeichen, denn die Wirtschaft sei ja weiter gewachsen und die Preise fossiler Rohstoffe seien vergleichsweise niedrig. Vor dem UN-Klimagipfel in Paris Ende dieses Jahres will die Energieagentur ein positives Signal senden: Möglicherweise deute sich eine Weltwirtschaft an, die nicht mehr ständig zusätzliche fossile Rohstoffe benötige. Auf eine solche Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Energieverbrauch wartet man schon lange.

Nun kommt eine Studie hinzu, die an diesem Donnerstag im Wissenschaftsmagazin „Nature“ erscheint. Ein Team von 24 Forschern aus verschiedenen Ländern hat die chinesischen Emissionen neu berechnet und vor allem ermittelt, welche Art von Kohle in den Kraftwerken verbrannt wird. Bei Braunkohle entsteht zum Beispiel mehr Kohlendioxid als bei Steinkohle. Das Team kommt auf 9,1 Milliarden Tonnen CO2 – das sind 8,5 Prozent weniger als beim Global Carbon Project. Das ändert zwar nichts daran, dass China von allen Ländern mit Abstand am meisten Treibhausgase erzeugt, aber die Autoren der Studie schreiben, dass der Ausstoß „überschätzt“ worden sei. Eine Korrektur um rund eine Milliarde Tonnen CO2 ist substanziell; das ist etwa die Größenordnung, in der die globalen Emissionen von einem Jahr zum nächsten steigen.

Muss man den Klimaschutz in China nun anders bewerten? Etabliert das Land schneller als gedacht eine klimafreundlichere Wirtschaftsweise? Viele Experten bestätigen, dass sich das Land um den Klimaschutz bemüht. Windräder produzieren dort inzwischen zum Beispiel mehr Strom als Atomkraftwerke. Allerdings lag ihr Anteil im Jahr 2013 noch bei 2,6 Prozent, denn der Löwenanteil des Stroms wird weiterhin in Kohlekraftwerken erzeugt. Die Energieagentur IEA rechnet damit, dass der Strombedarf in China weiter steigen wird und dass bis 2030 rund 350 Gigawatt an zusätzlicher Leistung installiert werden. Das sind mindestens 350 große neue Kraftwerke in 15 Jahren, also eins alle zwei Wochen. Kann man da wirklich erwarten, dass die Emissionen sinken werden?

Präzise Zahlen stärken international das Vertrauen

Der Rückgang der Emissionen, von dem Greenpeace berichtet, geht vor allem auf einen um 2,9 Prozent verringerten Kohleverbrauch zurück, den das Nationale Statistikbüro Chinas bekanntgegeben hat. In derselben Mitteilung korrigierte die Behörde den Kohleverbrauch insgesamt aber um 7,9 Prozent nach oben; zuvor hatte sie in einem Industriezensus neue Zahlen erhoben. Glen Peters vom norwegischen Klimaforschungsinstitut Cicero zweifelt daher am Rückgang der Emissionen, sagt aber, dass es durchaus auch eine Neuigkeit wäre, wenn die Emissionen bloß weniger stark steigen würden als in der Vergangenheit. Peters führt jedoch zwei Faktoren an, die aus seiner Sicht fraglich erscheinen lassen, dass das Bremsen der Emissionen nachhaltig ist: Zum einen hat es im vergangenen Jahr in China so viel geregnet, dass die Wasserkraftwerke deutlich mehr Strom lieferten als sonst. Zum anderen könnte ein Abflauen des Wirtschaftswachstums dazu beigetragen haben, dass der Kohleverbrauch kurzfristig gesunken ist.

Glen Peters hat am Global Carbon Project und an der aktuellen Studie im Journal „Nature“ mitgearbeitet. Was rät er Beobachtern, die sich ein Bild machen wollen? „Mit chinesischen Statistiken muss man vorsichtig sein“, sagt er, „ebenso mit denen anderer Länder.“ Manchmal werde nachträglich korrigiert, manchmal seien die Werte auch inkonsistent. So geben die chinesischen Statistiker zwar an, dass der Kohleverbrauch im vergangenen Jahr um 2,9 Prozent gesunken sei. Aber das gilt nur, wenn man in Tonnen rechnet. Nimmt man hingegen die mit Kohle erzeugte Energiemenge als Grundlage, ergibt sich für 2014 ein konstanter Kohleverbrauch.

Unterm Strich stellen diese Diskussionen einen Fortschritt dar, denn in den internationalen Verhandlungen zum Klimaschutz dreht sich alles um Zahlen. Sie müssen möglichst präzise und überprüfbar sein, denn nur dann kann zwischen den fast 200 Staaten Vertrauen wachsen. Eine deutsche Forschergruppe an der Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder hat kürzlich empfohlen, verstärkt Satelliten einzusetzen, um den CO2-Ausstoß zu messen. Dem stimmt Zhu Liu von der Harvard-Universität, der das Team der „Nature“-Studie leitete, zu: Das könne einen sinnvollen Abgleich mit den Angaben der einzelnen Länder ermöglichen.