Einen Long Island Iced Tea oder doch lieber einen prickelnden Hugo? Weniger ist bei Cocktails nicht nur sprichwörtlich mehr. Der Trend zeigt: Mixgetränke aus früheren Zeiten erleben in diesem Sommer eine Renaissance.

Stuttgart - Der beste Cocktail aus Deutschland heißt 2013 „Good Morning Glasgow“. Ausgedacht hat ihn sich der neue Deutsche Cocktail-Meister Michael Prescher. Er kommt aus Sachsen, arbeitet in Berlin in der Catwalk Bar und setzte sich kürzlich in der Liederhalle gegen die Konkurrenz mit seinem Cocktail auf Whisky-Basis durch. Die Zutaten: schottischer Auchentoshan, Holunderblütenlikör, Lavendelsirup, Bitter, Sherry und Orangenzeste, serviert im Emaillebecher, auf Karodeckchen, mit Frühstücksei und Zeitung.

 

Um es klarzustellen: Preschers Morgengruß wird wohl kein Standard auf den deutschen Cocktailkarten werden. Hugo und Aperol Spritz sind bei sommerlichen Temperaturen nach wie vor der Hit. Den Hugo gibt’s dieses Jahr auch als weniger süße Variante, nach wie vor mit Holunderblütensirup, Minze, Limette und Prosecco, aber zusätzlich mit einem Schuss Campari. Das Ergebnis heißt Tocco Rosso. Erfunden wurde die „rote Berührung “ der Legende nach wie schon der Hugo, sprich Ugó, in Südtirol.

Die Zutatenliste schrumpft

Und doch ist das Rezept des Siegerdrinks von Michael Prescher zeitgemäß. Die Cocktails enthalten heute immer weniger Säfte. Die Zutatenliste wird kleiner, die Qualität der Spirituosen dagegen größer. Das gilt auch für die Stuttgarter Bars. Den regelrechten Hype um den Gin bestätigt etwa Dino Zippe von der O.T.-Bar, Jurymitglied beim Wettbewerb um die Deutsche Cocktail-Meisterschaft der Barkeeper-Union.

Die Trendsetter prosten sich inzwischen allerdings nicht nur mit Gin zu, sondern auch mit der recht scharfen Ingwerlimonade. Die steckt als Zutat neben Zitrone in der neuen Generation von Cocktails, die sich auf alte Rezepte berufen. Ein Beispiel dafür ist der „Moscow Mule“ mit Wodka, der mit Gurkenscheiben und im Kupferbecher serviert wird. Er stammt aus den 50er Jahren, erfunden hat ihn die Marke Smirnoff, um ihren Wodka in den USA zu etablieren.

Ein Drink darf Charakter haben

„Die ganzen Klassiker sind wieder modern“, sagt Florian Neumann, der Barchef im Tonstudio und im Club Muttermilch. Die aktuellen Cocktails seien aromenbetont, mit Früchten wie Grapefruit und Rhabarber, mit Gewürzen wie Minze, Ingwer, Sanddorn und Kardamom. „Ein Drink darf Charakter haben.“

Damit sie solche Erkenntnisse nicht verpasst, hat die Schweppes Deutschland GmbH eigene Gebietsleiter für Trend- und Szenegastronomie wie die Stuttgarter Bartenderin Femke Bürkle. Stark im Kommen sei der „Lillet Berry“, bei dem der wermutartige Weinaperitif aus Frankreich mit frischen Beeren und der passenden Limo abgeschmeckt wird. Weil die Beeren so lustig im Weinglas kullern, vor allem aber „weil er nicht so viel Alkohol hat“.

Leicht bitter und mit floraler Note

Die Vernunft der Gäste bestimmt auch den Favoriten von Carlos Coelho vom Keller Klub und dem Rocker 33: Es ist der „Autofahrer-Gin-Tonic“ aus Lillet und Tonicwater. Der sehe mit Gurke, Minze und Erdbeere schön aus im Glas und sei einfach herzustellen, meint der Gastronom. Und er folgt dem aktuellen „Cuisine Style“, der auf Kräuter, Gewürze und Gemüse setzt.

Dabei zollt Coelho den Prosecco-Drinks durchaus Anerkennung. „Sie haben das Weinglas-Ding etabliert“, sagt er. Damit meint er, dass inzwischen auch die Herren keine Angst mehr davor hätten, an der Bar ein Stilglas in der Hand zu halten. „Die Glasform ist essenziell für die Männerwelt“, berichtet der Experte. Ein Beispiel? Wenn der „Cosmopolitan“, berühmt seit „Sex and the City“, nicht im Martinikelch, sondern im Tumbler, also im Whiskyglas serviert würde, tränken ihn sogar Männer mit Haaren auf der Brust.

Für sie hat Markus Kern, der Deutsche Cocktail-Meister des Jahres 2012, noch eine Hugo-Variante parat, „leicht bitter und mit floraler Note“. Markus Kerns Rezept vereint Aperol, Cinzano Rosso, Holunderblütensirup sowie Nordmanntannenzapfenextrakt, dazu eine Erdbeere geviertelt und das Ganze aufgegossen mit Sekt. Gestatten: Heinrich.