Beim Colours-Festival in Stuttgart tritt die Kompanie Los Hijos del Director aus Kuba auf der Stelle, Sébastien Ramirez lässt Tanzkulturen aufeinandertreffen.

Stuttgart - Den internationalen Anspruch verdeutlicht das Colours International Dance Festival nicht allein im Namen. Eric Gauthier und der Programmmacher Meinrad Huber lösen dieses Versprechen auch ein. Am Dienstag war mit der Kompanie Los Hijos del Director (deutsch: Die Söhne bzw. Kinder des Direktors) Kuba vertreten. George Céspedes zeigte seine mit Technobeats unterlegte Dystopie „The Last Resource“, koproduziert vom Colours-Festival, als Uraufführung. Am späteren Abend folgte die multilaterale Produktion „Felahikum“ in deutscher Erstaufführung. Die deutsch-koreanische Hip-Hopperin Honji Wang und die in Paris ansässige Flamencotänzerin Rocío Molina verbanden zwei völlig unterschiedliche Tanzkulturen und ließen sie dabei durchaus aufeinanderprallen. Im Hintergrund mischte der französische Choreograf Sébastien Ramirez mit.

 

Viel Stillstand für ein Tanzstück: Bei „The Last Resource“ der Kubaner braucht es eine lange Weile, bis sich der sechsköpfige Trupp von seinen Sitzen erhebt, die den Zuschauerraum über den Bühnenrand hinweg weiten. Doch auch im Stand passiert zunächst nicht viel. Mit futuristischen Pluder-Latzhosen uniformiert stieren die Protagonisten in den Zuschauerraum: wütend, verängstigt, provokant. Immer wieder werden die Tänzer in dieser Pose erstarren, als Kollektiv sowie einzeln vor und nach ihren Soli, die sich allzu vorhersehbar aneinanderreihen. Zur wummernden Technomusik durchsuchen die Blicke den Raum: Das Aktionsfeld ist eine Art Cyberspace. Die Akteure sehen mehr als das Publikum.

Nach diesem gedanklich überladenen, aber doch recht einsilbigen Vorspiel, geht es dann zur Sache: Arme zerteilen den Raum als wären es Schwerter, Körper mäandern in tiefer Hocke über den Boden und überschlagen sich auch mal. So energiegeladen und kraftstrotzend die mitunter an Video-Clip-Ästhetik erinnernde Choreografie auch aufdreht, bleibt Céspedes neues Stück doch hinter den inhaltlich und formal ausgereifteren Produktionen zurück, die das Festival bisher auszeichnen. Das Publikum reagiert gleichwohl enthusiastisch mit stehenden Ovationen. Diese sonst rare Anerkennung scheint beim Festival auf dem Pragsattel Standard zu sein.

Stampfen, Klatschen, Schnalzen

„Felahikum“ (so der arabische Urbegriff, von dem Flamenco abgeleitet wurde) von Sébastien Ramirez und seinen zwei Protagonistinnen ist ein Versuch zusammenzubringen, was nicht zusammen gehört, und findet entsprechend auf einem Experimentierfeld statt. Umrahmt von zahllosen Ventilatoren betrachtet sich Honji Wang durch die Splitter eines am Boden liegenden zerbrochenen Spiegels.

Doch ihr eigentliches Gegenüber ist Rocío Molina, die bald nicht mehr für die gemeinschaftlichen Modern-Dance-Sequenzen zu haben ist, sondern ihren Eigensinn hörbar mit gestampften Flamencoschritten, Klatschen und Schnalzen auslebt und ihrer Partnerin damit auch den Rhythmus diktiert. Auch wenn Honji Wang mit ihrem erstaunlich filigranen Hip-Hop dagegenhält, ihre Turnschuhe quietschen lässt und Virtuosität aus den Gelenken gebiert: Gegen die Flamenco-Tänzerin kommt sie so schwer an wie ein selbstversonnenes Girl gegen die selbstbewusste ältere Schwester.

Gemeinsam erschafft das ungleiche Doppel raffinierte Bilder, etwa wenn Wang die mit ihren Absätzen hämmernde Flamencotänzerin auf ihrem Rücken reiten lässt. Aufs Ganze gesehen bleibt „Felahikum“ dem Experimentellen verhaftet, müsste seine letztgültige Form erst finden.