Als die fidelen Alten sollte man sie lieber nicht bezeichnen. Die Helden der großartigen französischen Comicreihe „Die alten Knacker“ sind ganz schön zornig: sowohl soziale Ungerechtigkeiten wie alte Seitensprünge bringen sie in Wallung.

Stuttgart - Er müsse jetzt auch mal pinkeln gehen, sagt einer der alten Knacker, die einem der schönsten Comics des Jahres den Titel geben. Aber das lügt dieser Pierrot nur daher. Als er im ersten Band der Reihe „Die alten Knacker“ in der Autobahnraststätte Richtung Toilette davongeht, zeigt uns der Zeichner Paul Cauuet von hinten, dass Pierrot die Sehbrille abgenommen und an einem Bügel achtlos aus der linken Hand hängen hat. Die andere Hand hat Pierrot vors Gesicht genommen. Vor die Augen, vermutlich, denn wahrscheinlich weint er.

 

Zum einen geht es hier witzig, bissig und turbulent zu. Diese Pensionäre geben noch lange keine Ruhe. Zum anderen aber geht es ganz ernst um verlorene Kämpfe, verpasste Chancen, um das Leben prägende Niederlagen. Alle drei waren mal links, mehr oder weniger lang, mehr oder weniger militant bei den Gewerkschaften.

Aber die Pharma-Fabrik Garan-Servier steht nun da, wo einst die Wiesen und Felder ihrer Kindheit waren. Die Gewinne des Betriebs sind nicht an die Arbeiter gegangen. Und im Alter fragen sich die Herren sowieso, ob es nur um Verteilungsgerechtigkeit geht – oder ob nicht der größere Skandal der ist, dass die Lastwagen der Firma munter jeden Tag Paletten voller Psychopillen hinaus in die gestresste Welt fahren, auf deren Konsum der Großteil der Kundschaft besser verzichten sollte.

Geheimnisse einer Schönen

Aber keine Sorge, „Die übrig bleiben“, wie der erste Band der Reihe im Untertitel heißt, frisst sich nie didaktisch in politischen Erklärungen fest. Wir sehen, wie Pierrot sich aus seiner verschlampten Bude aufmacht, um Mimile aus dem Altersheim abzuholen, den ehemaligen Kraftkerl, dessen kaputter Rücken nun jedes Aufstehen zur Zeremonie mit vielen Anläufen macht. Beide müssen weiter zur Beerdigung von Lucette – und Pierrot hupt die ganze Strecke über, weil er kaum noch sieht, was vor dem Kühler auf der Straße los ist.

Lucette, das war die geschasste Ex-Arbeiterin aus der Pharmafabrik, nach der sich jeder Kerl den Hals verdreht hat und die dann mit einem kleinen Puppentheater über die Dörfer zog. Ausgesucht hat sie sich dann Antoine, den dritten im Bunde, dem ein nachgelassener Brief Lucettes ein niederschmetterndes Geheimnis enthüllt.

Cauuet ist ein Meister der Körpersprache

Das wiederum bringt die drei alten Herren und Lucettes schwangere Enkelin Sophie, die nun das Puppentheater führt, schnell auf Achse. Doch das Vergnügen an „Die alten Knacker“ lässt sich nicht allein aus dem lebensklugen Umgang des Autors Wilfrid Lupano mit den Händeln, Schrullen und Qualen der Betagten herleiten. Es rührt, weitaus mehr als bei vielen anderen Comics, aus den großartigen Zeichnungen.

Paul Cauuet, 1980 in Toulouse geboren, ist ein Meister der Körpersprache, aber auch ein Meister der Gesichter. Würde man seine Panels von Schauspielern nachstellen lassen, hätten die Mimen Mühe, neben der souveränen Ruhe oder ansteckenden Dynamik der Zeichnungen nicht steif, gestelzt und unnatürlich zu wirken. Die Kompositionen sind raffiniert, schon allein die Ausgewogenheit von Umgebungsdetails und dramatischem Personal stimmt heiter. Bei all ihren bitteren Untertönen: in dieser Comicwelt möchte man alt werden.

Lupano/Cauuet: Die alten Knacker. Splitter Verlag, Bielefeld. Aus dem Französischen von Tanja Krämling. 64 Seiten. 14,80 Euro.