In New Jersey, das die benachbarten New Yorker für den ödesten Ort der Welt halten, erlangt eine junge Muslima Superkräfte. So kommt eine etwas ungewöhnlichere Comicserie in Gang, die auch Krimifreunden gefallen könnte.

Stuttgart - Megapowerpritzelnde Übelprotze aus den Tiefen des Weltalls, die unsere ganze Erde zu Klump hauen möchten – die stellen längst die Untergrenze für das, was Superhelden in US-Comics an Problemen wahrzunehmen bereit sind. Ms. Marvel ist da eine Ausnahme. Ms. Marvel schlägt sich mit den strengen häuslichen Sperrstunden herum, die ihre Eltern verhängen, und mit der Drohung, Einzelunterricht in der Koranschule zu bekommen.

 

Hinter der Gesichtsmaske ihres Kostüms ist die zur Gestaltwandlung fähige (also mal winzig, mal riesig umherlaufende) Ms. Marvel nämlich Kamala Khan, ein muslimisches Teenager-Mädel. Obendrein eines aus New Jersey, dem allgemein als uncool betrachteten Vorhof von New York. Klar, die Idee lag in der Luft, die Problemadoleszenz eines Superhelden (ein markendefinierendes Thema beim Verlag Marvel seit Spider-Mans Debüt) in das Milieu zu verlagern, das in den USA am misstrauischsten betrachtet wird: in jenes der muslimischen Einwanderer. Aber die Autorin G. Willow Wilson und der Zeichner Adrian Alphona machen daraus zum Glück kein didaktisches Wir-sind-jetzt-mal-betont-vorurteilsfrei-Stückchen.

Hüterin der Nachbarschaft

Nein, Wilson, selbst eine konvertierte amerikanische Muslima, mixt Stereotypen lässig mit Individualismus, tippt die elterliche Überbehütung an, das Misstrauen gegen die Sittenlosigkeit des Westens, die religiöse Re-Fanatisierung der eigentlich schon Integrierten am Beispiel von Kamalas Bruder. Aber die Relativierung dieser Themen durch Kamalas neu erworbene Superkräfte sowie Alphonas die Mittel fröhlicher Karikatur und wilder Groteske einsetzender Zeichenstil lassen kein Sozialmodelldenken und keinen Thesenernst zu.

Dass Kamala alias Ms. Marvel in den ersten Bänden der neuen Reihe, die nun in Übersetzung im Sammelband „Ms. Marvel: Meta-Morphose“ bei Panini vorliegen, erst mit ihren neuen Kräften klarkommen muss, dass sie sich als Hüterin ihrer Nachbarschaft sieht und sich ‚nur’ um seltsame Vorkommnisse unter Kids kümmert, dass sie noch nicht weiß, wie sie mit der Polizei umgehen soll, die dafür ja eigentlich zuständig ist: das alles gibt der fantastischen Erzählung eine sehr alltägliche Seite. Will heißen, „Ms. Marvel“ besitzt auch ein starkes Krimielement.

Ein paar Nummern kleiner

Eignet sich diese Serie also dazu, eingefleischte Superhelden-Verächter oder gar Comic-Muffel zu verführen? Eher nicht, dafür steckt „Ms. Marvel“ denn doch zu sehr im Marvel-Universum fest: von der Klärung von Problemen und Spannungen durch den nächsten Nahkampf bis hin zur Unsitte des Crossover-Erzählens (also des Durchlaufenlassens einer Geschichte durch mehrere eigentlich getrennte Heftserien). Wie genau und warum Kamala Superkräfte bekommt, wird man nur verstehen, wenn man auch (etliche) andere Titel des Hauses Marvel liest, es ist nämlich Teil des Crossover-Events „Infinity“.

Aber kann „Ms. Marvel“ Menschen verzücken, die hie und da ganz gerne, mit mehr oder weniger ironischer Skepsis, in einen Superhelden-Comic schauen? Ganz gewiss, vor allem solche, die es gerne ein paar Nummern kleiner haben. Ms. Marvel ist hier wirklich noch kein kosmischer Fight-Club-Champion, sondern eher einen Nachbarschaftsgröße mit dem Drang, was zu tun gegen das Übel um die nächste Häuserecke: die alten Pulpkrimi-Helden lassen grüßen.

G. Willow Wilson, Adrian Alphona: „Ms. Marvel: Meta-Morphose“. Panini Verlag, Stuttgart 2015. 124 Seiten, broschiert, 16,99 Euro.