Wunderbar leichtfüßig erzählt die New Yorker Zeichnerin Sarah Glidden von ihrer Reise durch Israel - zwischen kritischer Distanz und Nähe.

New York - "Ich werde also hinfahren und die Wahrheit in diesem Durcheinander suchen. Wenn ich zurück bin, ist alles kristallklar", sagt die New Yorkerin Sarah zu ihrem Freund, bevor sie nach Israel fliegt. Die kostenlose Tour durch das Land wird von der Birthright-Stiftung für junge Menschen angeboten, bei denen mindestens ein Elternteil jüdisch ist. Dass die israelische Regierung Birthright unterstützt, dass es dieser Organisation darum geht, die jüdische Identität zu stärken, all dies weiß die 26-jährige Sarah. Aber sie hat für diese Reise keine religiöse Motivation, sie ist eine linksliberale Skeptikerin, hat sich gründlich vorbereitet, kennt sich nun aus mit der Historie, will propagandaresistent sein und sich vor allem über den Konflikt mit den Palästinensern nichts vormachen lassen.

 

"Israel verstehen - In 60 Tagen oder weniger" von Sarah Glidden ist eine wunderbar leichtfüßige Mischung aus Tagebuch und Reportage, und zwar in Comicform. Im Stil der frankobelgischen Ligne Claire, also mit vereinfacht gezeichneten Personen vor realistisch-detaillierten Hintergründen, erzählt Glidden von ihrer Gruppenreise, die an der Trennmauer zum Palästinensergebiet vorbei- und dann auf die besetzten Golan-Höhen führt. Der dort gezeigte Film scheint all ihre Befürchtungen zu bestätigen, sie empfindet ihn als viel zu einseitig, ist dann aber überrascht, als der junge Reiseleiter Gil eine Diskussion zulässt und ihr sogar recht gibt. Und so fährt Sarah auf dieser Tour nicht Richtung große Klarheit, sondern immer mehr hinein in eine große Verunsicherung.

Jederzeit offen, wissbegierig und dabei ironisch

Aber gerade diese Verunsicherung, dieses Hin- und Hergerissensein zwischen kritischer Distanz und einer fast widerwillig konstatierten Nähe zu diesem Land, macht Sarah Gliddens Graphic Novel so faszinierend. Trotz ihrer grundsätzlich kritischen Haltung vergräbt sich die Erzählerin nämlich nicht in Standpunkte, bleibt jederzeit offen und wissbegierig, setzt Widersprüchliches auch mal ironisch als Pro-und-Contra-Gerichtsverhandlung in Szene.

Manchmal geht es dann aber gar nicht mehr um Daten und Fakten zur Historie und zur Politik, sondern um ein Eintauchen in Landschaften, Gerüche und Stimmungen. Da geht Sarah beispielsweise in der Morgendämmerung allein zum See Genezareth, sitzt am Ufer, hebt ein Steinchen auf. Die weich ineinanderfließenden Aquarellfarben passen bei solchen Szenen übrigens besonders gut.

"Die Ansagen in der U-Bahn sind emotionaler"

Und Sarah saugt weiter alles auf: in einem Kibbuz die Bilder und Berichte von frühen Siedlern und deren Euphorie, den Pogromen und dem Antisemitismus in Europa entkommen zu sein; in der Wüste Negev das Elend der Beduinen, die in Israel nicht mehr in ihr altes Leben zurückfinden können; auf der Felsenfestung Masada die Geschichte vom Aufstand gegen Rom, von dem sie weiß, dass die jüdischen Rebellen sehr zweifelhafte Vorbilder sind; in einer Oase die Worte des kämpferischen Israel-Gründers Ben Gurion, der zugab: "Wäre ich ein Araber, würde ich mich auch wehren gegen eine Einwanderung"; in Jerusalem das seltsame Gefühl an der Klagemauer, an der sie in einer Ritze eine Friedensbitte hinterlässt; und in Yad Vashem die Abwesenheit jeden Gefühls des Holocaust-Gedenkstättenführers: "Die Ansagen in der New Yorker U-Bahn sind emotionaler."

Sarah selbst aber wird bei dieser Reise einmal so von Emotionen überflutet, dass sie in Tränen ausbricht. Ihre kritische Haltung scheint aufzuweichen, und als sie ihren in Israel studierenden Cousin trifft, stellt der bei ihr ganz kühl "den Birthright-Glanz" fest: "Man kommt mit einem Haufen anderer Leute im gleichen Alter hierher, wird herumgeführt, muss sich um nichts kümmern. Alles ist kostenlos. Eine ideale Reiseerfahrung, man amüsiert sich garantiert. Dann fährt man zurück in die Staaten, und wenn man an Israel denkt, denkt man an die tolle Zeit auf dem Birthright-Trip".

Auch wenn Sarah weiter skeptisch bleiben will, fragt sie sich doch, warum sie sich in Israel nicht wirklich fremd fühlt, ob es also doch auch ihr Land ist. Ihr Weltbild beginnt zu wanken, Schuldzuweisungen werden immer schwerer: "Ist dies einfach eine Geschichte, in der es keine Guten gibt?" Sarah Glidden teilt sich seit ihrem Erfolg mit "Israel verstehen" ein New Yorker Studio mit sechs weiteren Comic- und Cartoonzeichnerinnen. Sie war inzwischen auch im Irak, in Syrien, in der Türkei und im Libanon, nun als Journalistin, und will darüber auch wieder in Comicform berichten. Vor diesen Reisen aber hat sie gesagt, sie habe mit diesen Ländern nicht die gleiche komplexe Beziehung wie mit Israel: "Auch wenn es seltsam klingt: das wird ein mentaler Urlaub für mich."

Sarah Glidden: "Israel verstehen - In 60 Tagen oder weniger", Panini Verlag Stuttgart, 206 Seiten, Hardcover, 24,95 Euro.

Hintergrund: Comics zum Holocaust und zu Israel

Jüdische Geschichte In den Achtzigern veröffentlicht der New Yorker Art Spiegelman den mit dem Pulitzerpreis ausgezeichneten Comic "Maus", in dem er die Auschwitz-Erlebnisse seines Vaters mit anthropomorphen Tieren nacherzählt: Die Juden sind Mäuse, die Nazis Katzen. Der aus Malta stammende US-Amerikaner Joe Sacco wird 2001 mit seinem israelkritischen Band "Palästina" zum Pionier persönlich gefärbter Reportage-Comics. 2007 erscheint der Krimi-Comic "Blutspuren" von der in Tel Aviv lebenden Zeichnerin Rutu Modan. Ein Bombenanschlag wird hier zum Ausgangspunkt für eine melancholische Erkundung moderner israelischer Befindlichkeiten. 2008 hat Ari Folmans Animationsfilm "Waltz with Bashir" Premiere, in dem der Regisseur seine Erfahrungen als junger Soldat im Libanonkrieg von 1982 schildert. Die auch als Comic erschienene Geschichte endet mit Folmans Erinnerung an ein Massaker in palästinensischen Flüchtlingslagern, das von der israelischen Armee geduldet wird.

Jüdische Superhelden Superman, Batman, Spiderman: alle wurden von jüdischen Künstlern erfunden. Vor allem Superman war auch eine Comic gewordene Flucht- und Rettungsfantasie. Die Zeichner Jerry Siegel und Joe Shuster ließen auf dem Papier einen allmächtigen Helden los, während sie in der Realität von der Ohnmacht der Holocaust-Opfer erfuhren. Auch The Spirit, ein früher und eher intellektueller Superheld, wurde von dem jüdischen Künstler Will Eisner geschaffen, der später sehr persönliche Comics über den Alltag jüdischer Einwanderer zeichnete und dafür den Ausdruck Graphic Novel prägte.