Ex-VfB-Profi und Nationalspieler Thomas Hitzlsperger spricht als erster prominenter Fußballer offen über seine Homosexualität. Er selbst sagt, dass dem ein langwieriger und schwieriger Prozess vorausging. Die Resonanz auf diesen mutigen Schritt ist überwältigend.

Hamburg - Sein öffentliches Coming-out hat Thomas Hitzlsperger sehr sorgfältig vorbereitet. Die zentralen Zitate aus dem Interview, das er der am Donnerstag erscheinenden „Zeit“ gegeben hat, stellt die Wochenzeitung absprachegemäß in einer Vorabmeldung am Vortag um 11.48 Uhr auf ihre Internetseite. Um 12.24 Uhr verschickt eine von Hitzlsperger beauftragte Kölner Kommunikationsagentur eine E-Mail an die Redaktionen, bestätigt die Aussagen und kündigt eine Videobotschaft des früheren Fußball-Nationalspielers an. Um Punkt Mitternacht sollte sie auf Hitzlspergers neuer Homepage freigeschaltet werden.

 

Thomas Hitzlsperger ist schwul. Es ist das Bekenntnis eines Privatmannes, das im Jahr 2014 eigentlich keine Aufregung verursachen sollte. Für den deutschen Fußball aber, das weiß der 31-Jährige, bedeutet es ein mittleres Erdbeben. Nach fünfzig Jahren Bundesliga ist er der erste prominente Fußballspieler, der seine Homosexualität öffentlich gemacht hat. Er wolle, so begründet Hitzlsperger seinen Schritt, „die Diskussion über Homosexualität unter Profisportlern voranbringen“. Denn bislang werde dieses Thema im Fußball „schlicht ignoriert“.

Der Fußballplatz gilt noch immer die vielleicht letzte Bastion falsch verstandener Männlichkeit, in der Machismo und Homophobie feste Bestandteile sind. „Kampf, Leidenschaft und Siegeswille sind untrennbar miteinander verknüpft“, sagt Hitzlsperger – das passe nicht zum Klischee, das sich viele Leute von einem Homosexuellen machten und so laute: „Schwule sind Weicheier.“

Überwältigende Resonanz auf Hitzlspergers Coming-out

Über Jahrzehnte hinweg blieb schwulen Fußballern nichts anderes übrig, als ihre Neigungen zu verstecken. Scheinehen gehören zu dieser archaischen Welt ebenso wie Hostessen, die für Mannschaftsabende als vermeintliche Freundinnen engagiert werden. Er könne sich „nicht vorstellen, dass Schwule Fußball spielen können“, erklärte in den 1980er Jahren der deutsche Nationalverteidiger Paul Steiner; der frühere Stuttgarter Bundesligacoach Otto Baric sagte als Nationaltrainer Kroatiens 2007 „das, was viele denken: Ich werde niemals einen Schwulen in meiner Mannschaft spielen lassen“. Und noch 2011 riet Philipp Lahm, der Kapitän der Nationalmannschaft, schwulen Profikickern entschieden davon ab, sich zu outen: „Es ist schade, aber Schwulsein ist im Fußball – anders als in Politik und Showgeschäft – immer noch ein Tabuthema.“

Es verrät einiges über die Fußballbranche, dass Thomas Hitzlsperger mit seinem Gang an die Öffentlichkeit bis nach dem Ende seiner Profikarriere wartete, das er vor vier Monaten verkündet hatte. Getuschel in der eigenen Umkleidekabine und Schmähungen der gegnerischen Fans muss er nun nicht mehr fürchten. Dennoch ist die Resonanz auf seinen Schritt überwältigend – aus allen Ecken der Republik kommt prompt stürmischer Beifall.

„Thomas Hitzlsperger war zu seiner Zeit als Nationalspieler immer ein Vorbild, vor dem ich den höchsten Respekt hatte – dieser Respekt ist jetzt noch weiter gewachsen“, sagt Wolfgang Niersbach, der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) und kündigt „jede erdenkliche Unterstützung“ an. Von einem „großen und mutigen Schritt“, der im Kampf gegen Homophobie „sicherlich wegweisend“ sei, spricht der Bundesligachef Reinhard Rauball. Und Fredi Bobic, der Sportvorstand des VfB Stuttgart, erklärt im Trainingslager in Südafrika: „In der heutigen Zeit sollte es eigentlich zur Normalität werden – aber ich weiß, dass es jetzt vor allem in der Fußball-Community viele Diskussionen darüber geben wird.“

Gerüchte über homosexuelle Fußballer gibt es viele

Stammtischdebatten über vermeintlich schwule Fußballer haben schon in den vergangenen Jahren Hochkonjunktur gehabt. Das Bild des deutschen Fußballers hat sich radikal gewandelt. Es wird nicht mehr von Kraftprotzen wie Oliver Kahn oder Michael Ballack geprägt, sondern nicht zuletzt von feingliedrigen Technikern wie Mesut Özil oder Marco Reus, die sich die Arme tätowieren, die Wimpern zupfen und auch sonst viel Wert auf ihr Äußeres legen.

Auch deshalb verselbstständigten sich vor allem in der Nationalmannschaft seit 2006 Gerüchte darüber, dass mehrere Spieler im Team schwul seien. Philipp Lahm und der frühere Auswahlspieler Arne Friedrich sahen sich dazu veranlasst, öffentlich gegen diese Gerüchte vorzugehen, die auch nicht vor dem verheirateten Bundestrainer Joachim Löw Halt machen.

Löw forderte nun Respekt für seinen früheren Schützling: „Thomas hat für sich persönlich entschieden, diesen Schritt zu gehen, und er sollte in einer toleranten Gesellschaft von allen respektiert werden.“ Doch inzwischen, so scheint es manchmal, kennt jeder Fußballfan jemanden, der wiederum jemanden kennt, der aus gesicherter Quelle zu wissen glaubt, welcher deutsche Nationalspieler sein Bett am liebsten mit Männern teilt.

Hitzlsperger: "Langwieriger und schwieriger Prozess"

Vom Gerede um seine sexuellen Neigungen wurde auch Thomas Hitzlsperger jahrelang begleitet – zumindest seit er in seiner Zeit beim VfB Stuttgart die lange geplante Hochzeit mit seiner Jugendfreundin wenige Tage vorher abgesagt hatte. Vor Interviewterminen erkundigte er sich daher schon mal, ob es tatsächlich nur um Fußball gehen soll oder ob womöglich „noch andere Themen“ auf der Frageliste stehen. Das Geraune und die schlüpfrigen Witze in seinem Rücken hat Hitzlsperger, ein hoch intelligenter und reflektierter junger Mann, sehr wohl wahrgenommen. Der gebürtige Münchner hat es auch ertragen, dass ihm beim VfB, mit dem er im Jahr 2007 Deutscher Meister wurde, jäh die Kapitänsbinde entzogen wurde. Und er hat sich nicht öffentlich beschwert, als man den Meisterspieler zu Beginn des Jahres 2010 unehrenhaft vom Hof gejagt hat.

Thomas Hitzlsperger, ein untadeliger Sportsmann und Sympathieträger in allen Klubs, ging nach Rom, nach England, kehrte noch einmal nach Wolfsburg in die Bundesliga zurück und ließ schließlich in der Reserve des FC Everton seine Karriere ausklingen. „In England, Deutschland oder Italien ist Homosexualität kein ernsthaftes Thema, nicht in der Kabine jedenfalls“, sagt Hitzlsperger. An die Erfolge früherer Zeiten, die ihm 52 Länderspiele und die Teilnahme an der Heim-Weltmeisterschaft 2006 ermöglicht hatten, konnte er nach seinem Abschied vom VfB nicht mehr anknüpfen. Zermürbt von vielen Verletzungen zog er im Sommer einen Schlussstrich. Küchenpsychologen würden sagen, dass der Rest des Körpers am Ende gestreikt habe, weil sich im Kopf so viel drehte.

Hitzlsperger selbst beschreibt die Bewusstwerdung, homosexuell zu sein, als „langwierigen und schwierigen Prozess“ und sagt: „Erst in den letzten Jahren dämmerte mir, dass ich lieber mit einem Mann zusammen leben möchte.“ Man kann sich wohl nur ansatzweise vorstellen, wie viel Kraft das Versteckspiel gekostet hat – und wie groß nun seine Befreiung ist.

Er habe das Gefühl, dass jetzt „ein guter Zeitpunkt“ für das Coming-out sei: „ Die Olympischen Spiele von Sotschi stehen bevor, und ich denke, es braucht kritische Stimmen gegen die Kampagnen mehrerer Regierungen gegen Homosexuelle.“ Man kann sich kaum einen besseren Kämpfer vorstellen als Thomas Hitzlsperger. 

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