Mit dem neuen Bierwerk Gerstenfux zeigt Santiago Ramírez Aguilar, dass der Craft-Bier-Hype hier noch nicht vorbei ist. Auch die Inhaber der Braurevolution haben sich mit handwerklich gebrautem Bier bis nach Stuttgart einen Namen gemacht.

Kultur: Kathrin Waldow (kaw)

Nürtingen/Notzingen - Märzen, Helles Lager und Indian Pale Ale – die drei Sorten bietet der Selfmade-Brauer Santiago Ramírez Aguilar in seiner neuen Brauerei an. Vergangenen Samstag hat er das Bierwerk Gerstenfux in Nürtingen-Zizishausen eröffnet. Ein schlauer Fuchs scheint der gebürtige Mexikaner auch zu sein. Seine Liebe zum Bier und das Interesse fürs Brauen hat der promovierte Biologe schon vor mehr als elf Jahren entdeckt. Zu Hause braute er schon lange für den Eigenbedarf, so wie es ihm schmeckt. Die Idee, das Gebraute auch zu verkaufen, kam ihm an seiner Hochzeit, für die er 90 Liter Märzen herstellte. „Die Resonanz war gut. Ich glaube, das lag nicht nur daran, dass ich der Bräutigam und auch der Brauer war“, sagt der 35-Jährige.

 

Nachdem er ohnehin auf Arbeitssuche war, weil er nach drei Jahren in einem Unternehmen als Pflanzenphysiologe Anfang 2016 betriebsbedingt gekündigt wurde, war die Idee, sein Hobby zum Beruf zu machen, geboren. Da griff auch gerade der Craft-Bier-Hype in Deutschland um sich und bekräftigte ihn in der Entscheidung, voll auf das flüssige Gold zu setzen. Ein Praktikum bei einer Craft-Bier-Brauerei in Berlin gab ihm den letzten Ruck zur Selbstständigkeit als Brauer.

Stuttgarter Kneipen setzen auf Biere vom Land

Im ehemaligen Hirsch in Nürtingen-Zizishausen fand Ramírez Aguilar dann Ende 2016 die Räumlichkeiten, die er zu einem Brauhaus mit Gaststättenbetrieb umbaute. Dort, wo es bereits Schwäbisches und Pizza gab, braut er nun seit Kurzem in fünf Tanks mit jeweils 1000 Liter Kapazität seine eigenen Biere aus regionalen Zutaten. Im Gastraum im Hipsterschick gibt es an jedem ersten Samstag im Monat die drei Standardsorten und saisonale Biere – wie derzeit ein Pumpkin Ale. Gerstenfux hat er seine Brauerei genannt, „weil Bier auch listig wie ein Fuchs sein kann. Meine Biere sind stärker als sie schmecken“, so der Brauer. Drei Kneipen in Stuttgart sind bereits auf ihn aufmerksam geworden und verkaufen das Bier aus Nürtingen: Das Café Galao, die Imme Vierzehn und das Irish Pub O’Reilly’s. „Der Plan ist, hauptsächlich Fässer an Gastronomiebetriebe zu verkaufen, da wir bislang keine Flaschenabfüllung machen. Zukünftig wollen wir aber auch häufiger das Gasthaus öffnen.“ Anfangs hätten seine Freunde in Mexiko Bedenken über sein Vorhaben geäußert: „Sie meinten, ‚du kannst doch nicht im Bierbrauerland Deutschland als Mexikaner eine Brauerei eröffnen und denken, dass du den Menschen dort etwas beibringen kannst!’“, erzählt er. „Aber ich will niemandem etwas beibringen, sondern nur Bier machen, wie es mir schmeckt. Warum soll das nicht auch anderen schmecken?“

Aromen statt industrielles Einheitsbier

Aromen und Vielfalt statt industrieller Einheitsgerstensaft lautet auch das Motto von Felix Ungerer und Marc Schmidt. „Wir hatten keine Lust mehr nach vorgegebenen Rezepten zu brauen, sondern wollten uns verwirklichen und handgemachte Biere brauen“, so der 27-jährige Ungerer. Ende 2015 haben die beiden gelernten Brauer in einer ehemaligen Schlecker-Filiale in Notzingen ihre Brauerei eingerichtet. Unter dem Namen Braurevolution entstehen hier nach deutschem Reinheitsgebot bis zu elf verschiedene Biersorten. „Mittlerweile produzieren wir etwa 40 000 bis 50 000 Liter pro Jahr. Wir kommen an unsere Kapazitätsgrenzen.“ Den Sud für ihre Biere kochen die beiden aus Platzmangel in der Stiftsscheuer in Kirchheim.

Kunden zu erreichen sei ein reiner Selbstläufer gewesen, erzählt Schmidt. Die Kirchheimer Bar Wunderbar, die Stuttgarter Kneipe und Craft-Bier-Hochburg Kraftpaule zählen zu den Großkunden der Braurevolution. Der Verkauf an Einzelpersonen mache auch einen Großteil des Umsatzes aus, so Ungerer. „Was zieht ist, dass die Leute in unserem Laden in Notzingen sehen, wie wir jede Flasche von Hand befüllen. Das ist zwar auch irgendwie bescheuert, aber bei uns geht es nicht anders“, so die beiden Brauer.

Mit mit dem Begriff Craft Bier können sie wenig anfangen. „Das ist nur eine Marketingstrategie. Das meiste, was als Craft Bier verkauft wird, hat wenig mit unserer handwerklichen Arbeit zu tun,“ so Schmidt. Gegen den Begriff hat Ramírez Aguilar nichts einzuwenden. Er hofft, dass der Aufwind, den regionale Lebensmittel und bewusster Konsum seit einiger Zeit haben, weiter anhält.

In unserer Bilderstrecke gibt es einen Überblick über die Kleinbrauereien in der Region von Esslingen bis Kirchheim/Teck.