Der Kunsthistoriker Michael Hofbauer stellt den gesamten Cranach ins Netz. Angesiedelt ist das Projekt an der Stuttgarter Kunstakademie.

Kultur: Adrienne Braun (adr)

Deutschland - Das Erste, was Studenten meist lernen, ist Kopieren. Stundenlang stehen sie in der Bibliothek am Kopierer, weil Bücher nicht entliehen werden dürfen - oder schon wieder vom nächsten gebraucht werden. Auch Michael Hofbauer erging es bei seiner wissenschaftlichen Arbeit nicht anders. Vor allem ist der Kunsthistoriker immer wieder in Archive gefahren und hat Material gesichtet. "Da reist man dann eigens nach Paris", erzählt er, "schaut ein überbordendes Archiv an und denkt danach: Was war da noch?" Der Frust wurde immer größer - weil er Zeichnungen, Handschriften oder spezielle Dokumente zwar einsehen durfte, aber wie soll man forschen, wenn man das Forschungsmaterial nur kurz zu sehen bekommt?

 

"Irgendwann wird alles digital drin sein"

Michael Hofbauer hat angefangen, Daten zu digitalisieren und zu sammeln. Sein Fachgebiet: Lucas Cranach. Im Lauf der Jahre ist nicht nur immer mehr Material zusammengekommen - dem Kunsthistoriker wurde immer klarer, dass die Zukunft im Internet liegt. "Irgendwann wird alles digital drin sein", da ist sich Hofbauer sicher. Nun hat er einen Anfang gemacht und das "Cranach Research Institute" ins Leben gerufen, eine Arbeitsplattform im Internet, in der eines Tages alle Daten und Fakten, alle Zeichnungen und Bilder, Aufsätze und Kataloge zu Cranach zugänglich sein sollen. In den nächsten Wochen werden die ersten Seiten für die Öffentlichkeit freigeschaltet.

Bei der Suche nach einem geeigneten System stieß Hofbauer auf MediaWiki Software. "Die lässt sich sehr gut anwenden, das kann man wie eine weiße Leinwand benutzen." Wie bei Wikipedia hat jedes Gemälde einen Eintrag, auf dem alles zusammengestellt wurde, was Hofbauer zu dem Werk in Erfahrung bringen konnte samt Links zu Katalogen und wissenschaftlicher Literatur. Aber anders als im weltweiten Netz sei beim Einspeisen "kennerschaftliche Einschätzung" Voraussetzung, so Hofbauer. Nichts, was in dem Portal geschrieben oder kommentiert wird, entgeht ihm, alle Nutzer sind registriert und ihre Notizen können nachvollzogen werden.

Staatliche Akademie unterstützt Digitalisierung

Manche betrachten Hofbauers Arbeit mit Argwohn, die Staatliche Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart nicht. Sie hat den Heidelberger Kunsthistoriker nun samt seinem zukunftsweisenden Projekt ans Haus geholt und Hofbauer damit Rückendeckung gegeben. Er selbst ist überzeugt, dass die Zukunft in solchen Portalen liegt, weil sie der Forschung ganz neue Möglichkeiten eröffnen. Denn egal, wo auf dieser Welt, überall lassen sich neue Daten einspeisen, schnell und billig. "Mich stört, dass es eine unheimliche Redundanzfülle gibt", sagt Hofbauer, in den Büchern würden immer wieder die gleichen Quellen zitiert. Auch Fehler in einer Publikation werden oft über Jahrzehnte weitergereicht. Im Internet lassen sie sich mit einem Klick korrigieren.

Vor allem aber ermöglicht die Verlinkung, neue Zusammenhänge zu erstellen. Es gibt diverse Kategorien, wie Altes und Neues Testament, Madonna, Porträt, ob es sich um eine Mariendarstellung handelt, das Werk signiert ist oder von einem Schüler stammt. "Es wird in Zukunft möglich sein, ganz andere Ansätze zu erarbeiten. Ein paar Klicks, schon hat man eine Liste aller Marienfiguren bei Cranach." Um das im analogen System zu finden, meint Hofbauer, bräuchte man ein Jahr.

Bevor eine Forschungsarbeit veröffentlicht wird, vergehen meist Jahre. Vor allem gibt es viele Wissenschaftler, die Cranach nicht als Hauptthema untersuchen, aber doch Erkenntnisse beitragen können. "Wenn einer die Inschrift auf einem Bild transkribiert hat, wieso sollte er die nicht ins Portal stellen?", fragt Hofbauer.

Schon jetzt ist sein Portal die weltgrößte Datenbank zu Cranach. Auch Fälschungen sind darunter - sie werden natürlich als solche ausgewiesen. "Wenn bisher ein Wissenschaftler ein Werk für eine Fälschung hielt, so tauchte es danach in der Literatur nicht mehr auf", sagt der Wissenschaftler, "das hat sich schon als fatal erwiesen." Auch Bilder, die nicht identifizierbar sind, werden aufgenommen, sie können den Kollegen ein Schlüssel sein und neue Querverbindungen ermöglichen. Das Verzeichnis enthä1t bereits 1800 Gemälde mit Foto. Kürzlich hat Hofbauer das Archiv des Schweizer Cranach-Experten Dieter Koepplin eingescannt. Der hatte auf der Fotografie eines unbekannten Gemäldes einige Notizen gemacht, die Hofbauer prompt auf die richtige Spur brachten, so dass er das Werk jetzt zuordnen konnte.

"Das ist doch schade, wenn das Lebenswerk von Leuten verloren geht", findet Hofbauer. Die Demokratisierung des Diskurses in diesem "virtuellen Institut", wie er es nennt, stößt freilich an Grenzen. So wird zwar auf neuere wissenschaftliche Quellen verwiesen, aber diese dürfen wegen des Urheberrechts nicht einfach ins Netz gestellt werden. Ein noch größeres Problem stellen die Abbildungen dar. Museen wollen meist Honorar für die Abbildung von Werken aus ihrer Sammlung. Deshalb bietet Hofbauer an, die Bilder selbst zu fotografieren, zumal er auch Infrarotreflektorgrafien von den Gemälden benötigt, die die Vorzeichnungen sichtbar machen. Das lehnten die Museen häufig ab. Hofbauer wünscht sich, dass Bildmaterial künftig zu Forschungszwecken kostenlos verwendet werden darf.

"Das Ziel ist, das komplette Werk der Allgemeinheit zur Verfügung zur stellen", sagt der Internet-Kunstexperte. Ein ganz offenes System dürfe das "Cranach Research Institute" allerdings nicht sein. "Es kann nicht sein, dass sich Hacker einen Spaß machen und Fehler reinschreiben, die wir dann wieder raussuchen müssen."

Derzeit sind es ungefähr zehn Leute, die Material einspeisen. Hofbauer ist überzeugt, dass sein Portal bald Nachahmer finden wird. "Es kann zu Erkenntnissen führen, an die man bisher noch gar nicht gedacht hat", sagt er begeistert und ist überzeugt: "Das ist ehrliche Forschung."

Weitere Informationen unter www.cranach.de