Cro hat am Samstagabend sein Heimspiel in der Schleyerhalle zelebriert. Die Halle war voll und das Konzert war eher als Kindergeburtstag bei Ronald McDonald angelegt denn als nachdenklich-sozialkritischer Aufschrei in klassischer Rap-Tradition.

Kultur: Jan Ulrich Welke (juw)

Stuttgart - Bands aus der Region Stuttgart, welche die größte Konzerthalle in ihrer Heimat füllen können, gab es bisher nur zwei: die Fantastischen Vier und Pur. Das liegt an vielerlei Gründen, nicht zuletzt an jenem, dass besagte Arena ganz schön groß ist. Dreizehn- bis fünfzehntausend Menschen passen in sie, unbestuhlt je nach Bühnengröße und -positionierung. Selbst wenn man Stuttgart also als Popdiaspora bezeichnen möchte: diese Halle ist weder Volksfestzelt noch Konzertclübchen und möchte erst mal gefüllt werden. Was bislang eben nur Pur und den Fantas vergönnt war.

 

Doch einem Weiteren gewährte man die Bitte – er ist in diesem Bunde nun der Dritte. Cro heißt dieser Musiker, er ist Sänger, am Samstagabend hat er in der Stuttgarter Schleyerhalle gastiert. Sie ist – jawohl – ausverkauft, was allein schon deshalb Wunder nimmt, weil dieser Mann erst vor weniger als zwölf Monaten an gleicher Stelle das Kunststück vollführte, jene Riesenhalle zu füllen, und ebendies auch schon – dazu später mehr – für den Herbst kommenden Jahres avisiert hat.

Öde Konzertroutinen werden aufgesprengt

Carlo Waibel, geboren 1990 in Aalen, der nach seinem Realschulabschluss eine Lehre als Mediengestalter im Stuttgarter Pressehaus absolvierte (und allerdings mitnichten – wie bei Wikipedia kess behauptet und mit gleich drei Fußnoten beglaubigt – als Cartoonist für die Stuttgarter Zeitung arbeitete), steht nun also nicht mehr Zigarettchen rauchend auf dem Balkon des zweiten Stocks des Möhringer Pressehauses, sondern mit ein paar kaum nennenswerten Begleitmusikern, allerdings um so bemerkenswerteren Gute-Laune-Hits wie „Easy“ oder „Einmal um die Welt“ versehen auf den Brettern der Schleyerhalle.

Cro hat sich dazu eine, sagen wir es mal so: originelle Dramaturgie ausgewählt. Was an sich ja eine feine Sache ist. Er lässt also nicht mit gehöriger Verspätung die Lichter löschen, um beifallumbrandet die Bretter zu betreten und über anderthalb Stunden verteilt abwechselnd alte Hits und Songs vom neuen Album zu präsentieren, worauf das Ganze pflichtschuldigst mit einer Zugabe endet, in welcher der größte Hit entweder zum Auftakt oder zum Abschluss erklingt. Nein, Cro inszeniert das alles ganz anders, weswegen man ihm zumindest attestieren darf, öde Konzertroutinen munter aufzusprengen.

Zeit für ein Gruppenfoto auf der Bühne

Los geht es also, auch aus Jugendschutzgründen, mit dem Gongschlag um Punkt acht Uhr. Ein fünfminütiger Countdown zählt rückwärts, zwischendurch entledigt ein alle Beteiligten aufzählender Vorspann auf der Videowand den Künstler von der leidigen Pflicht der Bandvorstellung. Die letzten Sekunden werden vom außerordentlich jungen Publikum orkanstärkenlaut kreischend heruntergezählt. Dann geht’s los. Nach einem kurzen Intro fällt der Vorhang, dann sieht man einstweilen nichts mehr, weil die Halle von Mobiltelefongeblitze erfüllt ist.

Merkwürdig ohnehin: den tragbaren Fernmeldegeräten wird bei diesem Konzert über Gebühr Zeit gewidmet. Andauernd sieht man die zahlreichen jungen Menschen auf ihre Displays starren, die Apparate filmend in die Höhe strecken oder – während eines Konzerts! – telefonieren. Einer der Besucher darf zwischendurch sogar auf die Bühne kommen und ein Gruppenfoto knipsen. Feine Sache!

Kommerziell virtuos eingefädelt

Die Reise durch das Œuvre Cros folgt einer ungewöhnlichen Konzertchoreografie. Viele Songs werden nur angedeutet, enden abrupt, werden ausformulierend zeigt. Zu betrachten gibt es zwischenzeitlich noch ein Interludium mit tutubewehrten Balletttänzerinnen, zu hören gibt es im weiteren Verlauf des Abend noch in die Musik eingeflickte Versatzstücke aus Gassenhauern wie „Smoke on the Water“, „Seven Nation Army“, „Smells like Teen Spirit“ und „The Passenger“.

Aber erst später. Denn da das Repertoire des Shootingstars Cro naturgemäß noch dünn ist, endet das Konzert nach exakt 63 Minuten. Eine Zugabe wird so offenkundig erwartet, dass sie nicht einmal lauthals eingefordert werden muss, ehe sie gewährt wird. Cro, der bereits kurz nach dem Auftrittsauftakt beteuert hat, dass er sich „schon jetzt entschieden auf dem besten Konzert der Welt“ wiederfände, fragt sodann, ob man noch zwei, drei, vier weitere Lieder oder das komplette Konzert abermals hören wolle, wobei letzteres am stürmischsten bejaht wird. Was dann allerdings doch nicht durchexerziert wird. Es folgt noch ein wenig Mitmachschabernack mit dem Publikum, ehe der Auftritt um halb zehn endet – mit einem Abspann auf der großen Leinwand, der marketingtechnisch recht geschickt schon einmal auf das Stuttgarter Cro-Konzert im kommenden Herbst hinweist. Wie man im Übrigen überhaupt zugestehen muss, dass der ganze „Aufbau“ des Musikers Cro kommerziell äußerst virtuos eingefädelt worden ist.

Vom Sozialkritik bleibt nicht viel

Das mag jetzt vielleicht alles ein wenig motzend, grantig, verbittert, spaßbremsenhaft und den „guten alten Zeiten“ hinterhertrauernd klingen. So bitte soll dies indes nicht verstanden werden. Aber so viel ist sicher: Herausragende künstlerische Leistungen oder gar ein denkwürdiges Konzert hat es am Samstagabend in der Schleyerhalle zwar nicht gegeben, doch das war gegenüber in den Zelten auf dem Cannstatter Wasen vermutlich ja ebenfalls nicht der Fall. Der Auftritt von Cro, der als Markenbotschafter nebenbei auch noch für eine bekannte Hamburgerbraterei sein Pandagesicht hergibt, ist eher als Kindergeburtstag bei Ronald McDonald angelegt denn als nachdenklich-sozialkritischer Aufschrei, als der die Rapmusik seinerzeit ja mal ins Leben gerufen wurde.

Aber sei’s drum. Denn Spaß hatten hüben wie drüben wohl alle, weswegen man sich beherzt dem Tourmotto von Cro anschließen möchte, das da lautet: „Passt schon. Punkt.“