Drei junge Stuttgarter Filmemacher wollen in die Sahelzone reisen und sich dort gemeinsam mit einem Labelbetreiber auf Spurensuche in Sachen Nomadenrock machen. Das Crowdfunding für die Aktion läuft noch bis Mittwoch.

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Stuttgart - Mit der Sahelzone verbinden Menschen, die in den Achtzigerjahren aufgewachsen sind, Bilder von hungernden Kindern. Wer aufmerksam die Nachrichten liest, hat etwas vom Bürgerkrieg in Mali mitbekommen. Dass in dieser Gegend der Welt ganz exzellente Rockmusik mit einer starken Tuareg-Note, aber auch Blues- und Psychedelic-Einflüssen gespielt wird: wissen die wenigsten.

 

Markus Milcke, Florian Kläger und Tobias Adam wollen das ändern. Die drei jungen Stuttgarter Filmemacher planen, Christopher Kirkley auf seiner musikalischen Entdeckungsreise durch die Sahelzone zu begleiten. Kirkley betreibt den Blog sahelsounds.com, auf dem er seine Reisen durch Westafrika dokumentiert. Kirkley ist ständig auf der Suche nach neuer Musik aus dieser Weltgegend.

Musikalisch liegen die Sahelzone und Westafrika im Trend. Bands wie Tamikrest aus Mali touren regelmäßig durch Europa (auch mit Halt in Stuttgart oder Reutlingen), der Wüstenrocker Bombino schafft es (auch dank seines Produzenten Dan Auerbach) von The Black Keys auf CNN und Labels wie Sublime Frequencies, Analog Africa, Soundway, Awesome Tapes from Africa und Sahel Sounds bringen die Musik auf den Markt. Auch das Label Glitterbeat Records mit engen Verbindungen nach Stuttgart hat sich auf diese Art von Musik spezialisiert.

Das Problem: Die Musik aus der Sahelzone ist für Menschen, die außerhalb der Sahelzone leben, oft nur schwer zugänglich. Das liegt nicht nur daran, dass die Aufnahmen in der Regel nicht über den Weltmarkt vertrieben werden - sie wird teilweise einfach nicht aufgenommen, oder eben nur auf Handys. 

Es gibt also viel zu entdecken in Westafrika - wenn man das nötige Kleingeld dazu hat. Markus Milcke, Florian Kläger und Tobias Adam sammeln für ihren geplanten Dokumentarfilm Geld über die Crowdfunding-Plattform Indiegogo. Noch bis Mittwoch läuft die Aktion, Stand Montagmorgen waren 3400 Euro zusammengekommen. Alle Fragen zu der geplanten Doku "not just phones" beantworten die drei im Interview.


Wie seid ihr auf Musik aus der Sahelzone generell gekommen und wie auf Christopher Kirkley?

Milcke: Angefangen hat alles mit unserer Liebe zu Schallplatten. Unsere musikalischen Wurzeln liegen im psychedelischen Sumpf. Tuareg-Rock-Bands wie Tinariwen oder Tamikrest waren auf einmal ganz groß und neu für unsere Ohren. Die Recherche führte schnell zu Christopher Kirkleys Blog SahelSounds.com.
Adam: Faszinierend bei seinen Veröffentlichungen ist die rohe Intensität und vor allem Spontanität der Aufnahmen. Direkter geht es nicht. Von Field Recordings bis zu raren Archivaufnahmen wie alten Nagra-Bändern macht Christopher eine ethnografische Feldstudie über die Sahelzone.

Was macht Musik aus dieser Weltgegend aus eurer Sicht aus?

Kläger: Die Authentizität der Aufnahmen macht sie alleine schon einzigartig. Es gibt wahrscheinlich wenige so verlassene Orte auf dieser Welt, wo es noch so viel unentdeckte Musik gibt. Wenig westlicher Einfluss, LoFi, ohne es zu wollen!
Milcke: Zu entdecken gibt es wahnsinnig viel, nur ein Bruchteil der Musik Westafrikas ist zugänglich, geschweige denn archiviert. Sahel Sounds ist dadurch nicht nur Fundgrube für Musik-Nerds, sondern vor allem auch ein unfassbares Archiv.
Adam: Es gibt natürlich noch sehr viel mehr Künstler. Wer von denen ein größeres Publikum erreicht, hängt auch von der westlichen Musikindustrie ab. Hinter Christophers Blog, der sich mittlerweile zu einem Plattenlabel entwickelt hat, steckt der Wille, dem mehr Vielfalt entgegenzusetzen.
Alle: Unser Geheimtipp ist Mdou Moctar, ein Künstler auf Sahel Sounds. Der geht diesen Juli zum ersten mal in Europa auf Tour.

 


Kann man von einem Trend sprechen, dass die westliche Welt gerade diese Art von Musik für sich entdeckt? Oder gibt’s das schon viel länger?
Adam: Es gibt ein klaren Trend seit ein paar Jahren. Klar gibt es schon lange Veröffentlichungen aus der Weltmusik- und Ethnoszene, spannend zu beobachten ist aber, dass dieses Publikum immer jünger wird und sich endlich von den alten Klischees freimacht.

Bombinos neues Album wurde von Dan Auerbach produziert, was den Sound wesentlich zugänglicher für unsere Ohren macht.
Milcke: Wir glauben das dies nichts mit Zugänglichkeit zu tun hat, sondern eher mit einem gegenseitigen Befruchten der musikalischen Welten.
Kläger: Wie gesagt, es ist ein großes gegenseitiges Befruchten, beide Seiten profitieren von dem Wissen, das sie austauschen. Schade wäre es durchaus, wenn die nächste Tamikrest-Platte nach kalifornischem Garage-LoFi klingt.
Adam: Ginger Baker, der Drummer von Cream, ist in den 70ern mit jeder Menge Equipment durch die Wüste bis nach Nigeria gefahren und hat mit diversen Musikern - unter anderem Fela Kuti - gejammt und die ganze Entwicklung wesentlich gepusht.

Crowdfunding birgt immer das Risiko des Scheiterns in sich. Zum Beispiel haben Annagemina ihr Album so nicht finanziert gekriegt. Warum geht ihr diesen Weg?
Adam: Das Projekt war von Anfang an Herzensangelegenheit und keine Auftragsarbeit. Somit ist das Crowdfunding die beste Möglichkeit, Menschen mit derselben Leidenschaft zu erreichen.
Kläger: Die Leute können uns helfen und kriegen was Schönes dafür. Vom Filmposter zum Soundtrack digital oder auf Vinyl, bis zu USB-Sticks mit Musik vom mp3-Markt aus dem Niger.
Milcke: Wir stellen auch fest das man gleichzeitig Werbung macht und wirkliche tolle Kontakte knüpft.

Derzeit hält euer Crowdfunding-Konto bei etwas mehr als 3000 Euro. Tretet ihr die Reise in jedem Fall an?
Kläger: Wir kalkulieren für so ein großes Dokumentarfilmprojekt schon sehr minimal, eben weil wir es aus eigenem Interesse unbedingt realisieren wollen. Mit den knapp 3000 Euro kommen wir gerade nach Niger und zurück, mehr nicht. Das ist schon ein echtes Low-Low-Budget - plus immenser Eigeninitiative. Wir hoffen also definitiv noch auf weitere finanzielle Unterstützung.

Gibt es Sponsoren?
Milcke: Die größte Unterstützung kommt von unseren Freunden und Second Hand Records. Das ist ein gutes Gefühl, wenn man so viel Rückhalt hat. Die Kreise werden auch immer größer. Blogs, Filmfestivals, Kulturinitiativen und Vereine werden langsam aufmerksam. Aber nochmal, um so ein Projekt zu realisieren ist einfach ein gewisser finanzieller Aufwand nötig und daher sind wir auf die Unterstützung vieler Menschen angewiesen.


Wer keine Lust auf Crowdfunding hat, aber dennoch mithelfen will, der hat zwei Möglichkeiten dazu: Einmal das "not just phones"-Eis in der Gelataria Café Kaiserbau am Marienplatz schlotzen; auf dem Tresen steht eine Spendendose. Möglichkeit Nummer zwei: Am Samstag, 24. Mai findet die „not just phones“-Party in der Bar Rakete im Theater Rampe statt. Markus Milcke, Florian Kläger und Tobias Adam sorgen für die passende Musik.

not just phones (wt) - teaser "Mamman Sani" from Florian Klaeger on Vimeo.