Daimler-Gesamtbetriebsratschef Michael Brecht fordert von Management im Zuge der Umstellung auf Elektromobilität feste Zusagen für die Fertigung von Motoren.

Chefredaktion: Anne Guhlich (agu)

Stuttgart - Am Freitag (3. Februar) hat Daimler-Chef Dieter Zetsche vor Analysten gesagt, er wolle die Beschäftigung im Bereich der Verbrennungsmotorenreduzieren. Nun sind viele Mitarbeiter des Autokonzerns in Aufregung. Der Daimler-Betriebsratschef Michael Brecht kritisiert den Vorgang.

 
Herr Brecht, warum empfinden Sie die Aussagen von Dieter Zetsche als solch einen Affront, wo er zwar sagt, dass er bei den Verbrennungsmotoren die Zahl der Beschäftigten senken will, aber auch, dass er sich für die gegenwärtig bei Daimler beschäftigten Mitarbeiter verantwortlich fühlt?
Wir haben bei dem Thema Fertigungstiefe oft unterschiedliche Ansichten. Und ich bin der Meinung, dass wir diese untereinander diskutieren sollten – so wie wir das auch im Rahmen der Zielbilder an den Standorten getan haben. Zumal wir gerade in einer sehr sensiblen Phase sind.
In was für einer Phase?
Jeder im Unternehmen redet darüber, wie sich die Elektromobilität auf unser Unternehmen auswirken wird. Wir wissen alle, dass es schwierig wird, die heutige Anzahl an Mitarbeitern zu halten. Das wäre selbst dann der Fall, wenn wir alle Komponenten der Elektromobilität selbst fertigen würden. Elektromotoren erfordern einfach viel weniger Personal. Gleichzeitig schaffen wir momentan an fast allen Standorten rund um die Uhr, um die gegenwärtige Nachfrage zu bedienen. Wenn man in so einer Situation über Dritte erfährt, dass das Unternehmen bei den Verbrennern die Beschäftigung reduzieren und offenbar gar nicht gemeinsam mit dem Betriebsrat nach Lösungen suchen will, ist das wirklich ein Unding. So etwas habe ich in meiner Zusammenarbeit mit Dieter Zetsche bislang noch nicht erlebt.
Wird der Vorgang den Tonfall in den Verhandlungen verändern?
Natürlich sind wir verärgert. Und natürlich gehen wir jetzt nicht einfach zur Tagesordnung über. Wir verlangen jetzt umso mehr klare Aussagen, wie es an den Standorten, die noch nicht an der E-Strategie beteiligt sind, weitergeht. Noch mal: Es geht einfach nicht, dass während laufender Verhandlungen einer der Verhandlungspartner in der Öffentlichkeit schon mal Pfeiler einrammt, die dann nur noch schwer zu verrücken sind. Wir fahren gerade fast überall Sonderschichten, wir drücken an Autos raus, was nur geht. Die Beschäftigten an den deutschen Standorten haben das Unternehmen auf den Weg gebracht, auf dem es heute ist. Für uns ist es nicht hinnehmbar, wenn das Unternehmen nun sagt: Solange Arbeit da ist, leistet ihr alles und wenn es keine Verwendung mehr für euch gibt, bauen wird eben Stellen ab. Der Vorstand hat seinen Mitarbeitern gegenüber auch eine Verantwortung.
Geht diese Verantwortung Ihrer Meinung nach so weit, dass er Stellenprofile aufrecht erhalten muss, die im Zeitalter der E-Mobilität gar nicht mehr benötigt werden? Man bemüht bei solchen Diskussionen ja gerne das Bild des Heizers auf der E-Lok.
Niemand will den Heizer auf der E-Lok. Darum fordere ich auch nicht, dass jeder einzelne Arbeitsplatz wie er heute ist erhalten bleiben muss. Wir müssen vielmehr die Beschäftigten auf den Transformationsprozess vorbereiten, sie entsprechend rechtzeitig und umfassen qualifizieren und so auf dem Weg mitnehmen. Aber Wachstum und gleichzeitiger Wandel in unseren Werken fallen ja nicht vom Himmel. Wir können in den Motorwerken nicht die Beschäftigung reduzieren, wenn wir noch sehr viele Jahre lang Motoren in hoher Stückzahl produzieren wollen. Und das müssen wir: Selbst wenn wir in Deutschland nur noch E-Autos fahren würden, gibt es noch genügend Länder, die Lichtjahre von der Elektromobilität entfernt sind. Gleichzeitig muss an jedem Standort in die Zukunftstechnologien investiert werden. Jeder Standort ist an der Elektrostrategie zu beteiligen.
Nun ist aber etwa das Motorenwerk in Untertürkheim komplett ausgelastet. Es gibt dort keinen Platz mehr. Wie sollte das Unternehmen in diesem Werk eine Motoren- oder Batteriefertigung integrieren können – zumal im sächsischen Kamenz gerade eine große Batteriefabrik gebaut wird?
Die Fabrik in Kamenz wird nie den gesamten Batteriebedarf abdecken, den wir in Zukunft haben werden. Es geht bei dieser Diskussion auch nicht nur um Untertürkheim und nicht nur um den Pkw-Bereich. Konzernweit hängen bei Daimler rund 30 000 Jobs an der Fertigung vom Antriebsstrang. Und klar ist: Wenn wir ein Flächenproblem haben, müssen wir bereit sein, Freiflächen zu schaffen, um neue Technologien integrieren zu können. Das geschieht notfalls, in dem wir andere Bereiche verlagern.
Am Beispiel Untertürkeim würde es bedeuten, bestimmte Tätigkeiten auszulagern, um Platz für die Elektromobilität zu schaffen. Am Ende sind in der Fabrik gleich viel Menschen beschäftigt, aber weniger arbeiten am Verbrenner. Meinen Sie nicht, dass Zetsche seine Aussagen genau so gemeint hat?
An welcher Stelle hat er gesagt, dass Personal von den Verbrennern zur Fertigung von Elektrokomponenten umgeschichtet werden soll? An keiner. Was er offenbar gesagt hat, ist, dass er die Beschäftigung beim Verbrenner reduzieren will, während er große Teile des elektrifizierten Antriebsstrangs zukaufen will.
Könnte dies nicht die betriebswirtschaftlich günstigere Variante sein?
Unser Vorstand geht davon aus, dass alles, was man von außen zukauft, am Ende günstiger ist, als wenn wir es selbst produzieren würden. Das ist aber zu kurz gedacht. Niemand produziert so günstig und qualitativ so hochwertig wie wir selbst. Zudem machen wir uns auch immer abhängiger je mehr Arbeiten wir nach außen vergeben. Am Beispiel der Takata-Airbags konnte man schön sehen, wie die ganze Autoindustrie plötzlich nicht nur fieberhaft nach neuen Anbietern sucht, sondern auch noch die Zeche für defekte Teile zahlen muss. Es geht aber auch nicht zwingend darum, die vertikale Integration zu erhöhen.
Sondern?
Wir sagen lediglich ganz klar: Wenn wir jetzt nichts tun, wird die Fertigungstiefe beim Einzug der Elektromobilität automatisch deutlich geringer. Wir haben an vielen Standorten in der Vergangenheit die Fertigungstiefe verringert, nicht aber die Beschäftigung, weil wir Jahr für Jahr mehr Autos produzieren. Aber: Selbst wenn wir alles am Elektromotor selbst bauen und das Wachstum weiter anhalten würde, hätten wir am Ende wahrscheinlich doch weniger Beschäftigung.
Entwicklungschef Ola Källenius hat bereits angekündigt, dass er den Motor für die Fahrzeuge der neuen Elektromarke EQ nicht ins Haus holen will. Ist hier das letzte Wort Ihrer Meinung nach noch nicht gesprochen?
Noch mal: Wir sind mitten in den Verhandlungen. Ich halte es nicht für richtig, zum heutigen Zeitpunkt öffentlich zu verkünden, was wir künftig selbst machen und was nicht. Derzeit untersuchen wir gemeinsam mit dem Unternehmen im Rahmen einer Studie die Auswirkungen der Elektromobiliät auf die Beschäftigung an den einzelnen Standorten. Daraus müssen wir Schlüsse ziehen und tragfähige Konzepte für Standorte und Beschäftigte entwickeln.
Haben Sie bei diesen Entscheidungen formal überhaupt ein Mitspracherecht?
Die Frage der Fertigungstiefe ist nicht mitbestimmungspflichtig. Das Gesetz gibt mir keine Möglichkeit, den Vorstand zu zwingen, die Elektromotorenproduktion in den Konzern zu holen. Aber der Konzern braucht uns und die Beschäftigten, um das Wachstum im Unternehmen zu stemmen. Er ist auch bei vielen anderen Zukunftsfragen auf unsere Zustimmung angewiesen.
Sie haben bis 2020 eine Beschäftigungssicherung ausverhandelt. Werden Sie angesichts dieses Vorfalls schneller als geplant wieder über dieses Thema reden wollen?
Sobald eine Möglichkeit gibt, die Zukunftssicherung früher zu verlängern, werden wir diese nutzen.