Daimler will in sein Werk in Sindelfingen kräftig investieren. Gleichzeitig soll an dem Standort ein dreistelliger Millionenbetrag eingespart werden. Außerdem will der Autobauer viele Vertriebsstandorte verkaufen.

StuttgartDaimler will am Standort Sindelfingen die Kosten in dreistelliger Millionenhöhe senken und die Flexibilität erhöhen. Das teilten Management und Betriebsrat bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit. Zu Kostensenkungen beitragen soll unter anderem ein Abbau der Wertschöpfungstiefe. Als Beispiel dafür nannte Werkleiter Willi Reiss den Bau eines Logistikzentrums für die nächste E-Klasse; dort sollen Lieferanten und Dienstleister den Warenein- und ausgang übernehmen. Die Flexibilität in der Fertigung soll deutlich erhöht werden, so dass das Unternehmen besser auf eine veränderte Nachfrage reagieren kann. Die bisher bestehenden Freischichtkonten, auf denen die Mitarbeiter Mehrarbeitsstunden sammeln, werden jetzt in zwei Konten aufgeteilt; Mehrarbeit geht je zur Hälfte auf beide Konten. Über das individuelle Konto verfügt der Beschäftigte alleine. Auf das kollektive Konto kann das Unternehmen zugreifen. So lassen sich Schichten flexibler steuern beim Hochlauf neuer Modelle (Mehrarbeit) und beim Auslauf aktueller Modelle (Minderarbeit).

 

Daimler ist nicht nur in Sindelfingen, sondern in vielen anderen Bereichen auf der Suche nach Möglichkeiten zur Kostensenkung und zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit. Die Einigung in Sindelfingen erfolgt nur einen Tag nach der Bekanntgabe eines weiteren Kompromisses: Unternehmensleitung und Betriebsrat haben sich grundsätzlich darauf geeinigt, wie das konzerneigene Niederlassungsnetz mit seinen 15 000 Beschäftigten neu geordnet werden soll. Ziel ist die Erhöhung der Rendite, mit der das Unternehmen nicht zufrieden ist. Daimler will bestehende Niederlassungen ab Januar 2015 zu regionalen Betriebsverbünden zusammenfassen; 56 von insgesamt 158 Autohäusern und Werkstätten konzerneigener Niederlassungen sollen verkauft werden. Betroffene Mitarbeiter erhalten Anspruch auf einen Ausgleich, um finanzielle Nachteile zu vermeiden. Daimler verlängert den Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen von bisher 2017 auf 2023. Der neue Gesamtbetriebsratschef Michael Brecht hatte die teilweise veraltete Infrastruktur kritisiert und Investitionen gefordert. Dem kommt das Unternehmen jetzt nach und verspricht, in den kommenden Jahren 500 Millionen Euro zu investieren. Zudem werden Personenwagen- und Nutzfahrzeuggeschäft künftig getrennt.

Die Pläne für Mannheim und Kassel

Um die Zukunftssicherung geht es auch in den Aggregatewerken Mannheim und Kassel; in Gaggenau, wo Achsen und Getriebe gebaut werden, gibt es bereits die Einigung auf ein Eckpunktepapier. Daimler investiert dort in den nächsten sieben Jahren 800 Millionen Euro. So werden von 2017 an die Getriebe für die A-Klasse-Nachfolgegeneration und den Sprinter aus Gaggenau kommen. Zudem gibt Daimler die Zusage für die Produktion von einzelnen Teilen des Doppelkupplungsgetriebes, die bisher von Fremdfirmen bezogen wurden. Komplette Doppelkupplungsgetriebe werden in Gaggenau nicht gemacht; der Standort Untertürkheim ist somit nicht negativ betroffen. Im Gegenzug akzeptiert die Belegschaft, dass die Fertigungstiefe reduziert wird und mehr Arbeiten fremdvergeben werden. Daimler verzichtet auf einen Stellenabbau, aber 2000 der etwa 6900 Beschäftigten in Gaggenau werden in den nächsten sieben Jahren einen anderen Job im Werk übernehmen.

Bis Ende 2016 sind für alle unbefristet Beschäftigten des Unternehmens betriebsbedingte Kündigungen ausgeschlossen. In Mannheim und Kassel machen sich die Beschäftigten gleichwohl Sorgen um ihre Jobs. So prüft das Management, welche Teile künftig nicht mehr selbst hergestellt, sondern zugekauft werden sollen, und welche Arbeiten womöglich fremdvergeben werden. Der Kasseler Betriebsratsvorsitzende Dieter Seidel hat die Sparpläne nach einem Zeitungsbericht als „hochkarätige Bedrohung“ für das Achsenwerk bezeichnet. In Kassel arbeiten 2900 Männer und Frauen; der Betriebsrat sieht langfristig 800 Stellen bedroht, die Werkleitung 540. In der Lastwagenmotorenfertigung und in der Gießerei am Standort Mannheim geht es nach Angaben des Betriebsratsvorsitzenden Joachim Horner im Zeitraum bis 2021 um 800 bis 900 von 5150 Arbeitsplätzen. Auf Komponenten wie Motor, Achsen und Getriebe entfallen üblicherweise mehr als die Hälfte der Kosten eines Lastwagens. Auch im Lastwagenmontagewerk Wörth wird eine Verringerung der Fertigungstiefe geprüft. Damit könnten langfristig 800 der 12 400 Arbeitsplätze überflüssig werden. Auf Kritik bei den Betriebsräten stößt auch, dass Verwaltungsfunktionen in sogenannte Shared Service Center ausgelagert werden sollen. Diesen Trend beobachtet der Gesamtbetriebsrat konzernweit und fordert zumindest ein solches Center pro Standort, so dass kaufmännische Kompetenzen vor Ort erhalten bleiben.

Die Pläne für den Standort Ludwigsfelde

Kostensenkungen verlangt der Autobauer auch am Standort Ludwigsfelde in Brandenburg, wo der Mercedes-Transporter Sprinter gebaut wird. Dies hat auch die Landesregierung in Potsdam auf den Plan gerufen, die bereit ist, 50 Millionen Euro zu geben, um den Standort zu sichern. Dabei geht es um die nächste Sprinter-Generation, die voraussichtlich 2018 auf den Markt kommt. Ludwigsfelde, wo die Fahrzeuge mit Pritsche oder Spezialaufbauten hergestellt werden, steht in Konkurrenz zu Düsseldorf; das Werk im Rheinland fertigt die geschlossenen Varianten. In Brandenburg geht die Angst um den Standort um, weil das Werk mit seinen 2700 Beschäftigten nur noch bis Ende 2016 zusätzlich den VW Crafter bauen darf, der letztlich eine Sprinter-Variante ist. VW setzt künftig auf ein eigenes Modell und baut dafür eine Fabrik in Polen. Mit dem VW-Auftrag verliert Ludwigsfelde einen Fertigungsumfang von 40 000 Fahrzeugen pro Jahr. Die Sprinter-Kapazitäten in Ludwigsfelde liegen in einer ähnlichen Größenordnung.