Das Sindelfinger Mercedes-Benz-Werk bildet in 13 Berufen und fünf Studiengängen aus. Trotz des demografischen Wandels kann es sich den Nachwuchs noch immer aussuchen.

Jessica trägt einen Blaumann. Täglich. Und an den Füßen klobige schwarze Arbeitsschuhe. Nicht gerade der bevorzugte Look für junge modisch interessierte Frauen, aber Vorschrift für die Auszubildenden in den Werkstätten des Sindelfinger Mercedes-Benz-Werks. Doch die junge Frau aus Herrenberg hat damit keine Probleme. „Schon als Kind habe ich die Bauarbeiter in ihren Latzhosen bewundert“, erzählt die 19-Jährige. Bauarbeiterin ist sie nun nicht geworden, doch eine blaue Latzhose darf sie, nein, muss sie tragen.

 

Jessica Hartnagel macht eine Ausbildung zur Fahrzeuginnenausstatterin. Sie lernt, wie man Autositze baut, Kopfstützen polstert, Lenkräder mit feinstem Leder veredelt. Die Herrenbergerin mit Abitur hat die praktische Ausbildung bewusst einem Studium vorgezogen. „Etwas Kreatives“ wollte sie machen. „Ich habe mich dann an der Hochschule für Design umgeschaut. Innendesign hätte ich mir vorstellen können. Doch irgendwie war ich noch nicht soweit.“ Nun möchte sie erst einmal etwas Praktisches lernen. „Fahrzeuginnenausstatter passt perfekt.“

Mehrstufiges Bewerbungsverfahren

Die junge Frau bewarb sich bei Daimler. Ein dreistufiges Verfahren müssen alle Bewerber durchlaufen. „Am Anfang steht ein Online-Test, den die jungen Leute zuhause machen. Dieser Test plus die Gesamtnote des Abschlusszeugnisses entscheiden, wer zu einem weiteren Test zu uns ins Haus kommen darf“, erklärt Anke Schneck, eine von vier Ausbildungsleitern im Werk. Wer den zweiten Test besteht, wird zum Vorstellungsgespräch eingeladen. „Nach diesem überlegen wir, wer zu uns passt.“

Dabei gehe es nicht darum „nur die Einserschüler zu bekommen“, sagt Schneck. „Wichtiger ist für uns die Ausbildungsfähigkeit. Wir legen Wert auf Kompetenzen wie Teamfähigkeit, Durchhaltevermögen.“ Und dann gebe es noch berufsspezifische Anforderungen. Für den Beruf des Fahrzeuginnenausstatters sei das räumliche Vorstellungsvermögen wichtig.

„Die meisten unserer Berufe stehen Absolventen aller Schularten offen“, sagt Schneck. Und Jessica Hartnagel bestätigt: „In meiner Gruppe gibt es Hauptschüler, Realschüler und Abiturienten. Wir verstehen uns alle sehr gut.“ Ganz bewusst bietet das Werk auch eine Ausbildung für Förderschüler an. In zwei Jahren können Jugendliche mit einer Lernbehinderung den Beruf des Metallwerkers erlernen.

Bereits 23 Jahre alt war Alex Vuksan, als er seine Ausbildung zum Konstruktionsmechaniker begann. Ein abgebrochenes Maschinbaustudium lag hinter dem jungen Mann. In einem Fach hatte er die Prüfung nicht geschafft. Deshalb musste er sich trotz sonst guter Noten umorientieren. Doch nun in der Ausbildung komme ihm sein Wissen, das er sich im Studium erworben habe, durchaus zu Gute. Auch die praktische Ausbildung gefällt dem jungen Mann, der ursprünglich aus Balingen stammt. Seine Zukunft hat er fest im Visier. „In einem Jahr mache ich meinen Abschluss. Ich will im Werk bleiben und nebenberuflich den Techniker machen. Das dauert vier Jahre.“

Dass er vom Werk übernommen wird, dafür hat Alex Vuksan eine Zusage. „Wir übernehmen hundert Prozent unserer Auszubildenden, wenn sie wollen. Und die meisten wollen“, sagt Schneck. 90 Prozent der Absolventen würden sofort unbefristet eingestellt, der Rest erhält einen Ein-Jahres-Vertrag. „Mit der Option auf Übernahme in ein unbefristetes Verhältnis.“

Freistellungen für Fortbildungen und Studium

Das Unternehmen macht Absolventen, die sich nach der Ausbildung weiterbilden möchten – als Techniker, Meister oder mit einem Studium – ein attraktives Angebot. Bis zu fünf Jahre können sie sich freistellen lassen mit der Garantie auf Wiedereinstellung. Für Jessica Hartnagel ist das durchaus eine Option. „Vielleicht studiere ich doch noch Design.“

850 junge Leute werden zurzeit im Werk ausgebildet. Demnächst haben rund 250 Absolventen den Abschluss in der Tasche. Im September rücken dann 266 neue Azubis nach. 13 Berufe kann man beim Daimler in Sindelfingen lernen: vom klassischen Kfz-Mechatroniker über den Technischen Modellbauer und Elektroniker für Automatisierungstechnik bis hin zur Fachkraft für Lagerlogistik und Büroberufen. Zudem absolvieren Ingenieurs- und Betriebswirtschaftsstudenten der Dualen Hochschule ihre Praxiszeiten im Werk.

Trotz des demografischen Wandels und zurückgehender Bewerberzahlen kann sich Daimler noch immer seine Lehrlinge aussuchen. „Auf eine Ausbildungsstelle kommen sechs bis 20 Bewerber“, sagt Schneck. Die jungen Leute nehmen dafür auch lange Anfahrtswege in Kauf. „Das Einzugsgebiet reicht bis in den tiefsten Schwarzwald nach Villingen-Schwenningen“, weiß die Ausbildungschefin.

Die Abbrecherquote sei sehr gering, sagt Anke Schneck. Woran liegt das? „Wir wählen unsere Auszubildenden sehr sorgfältig aus und betreuen sie intensiv.“ Nach der Ausbildung winken nicht nur eine Jobgarantie, sondern auch Aufstiegsmöglichkeiten. Diese nutzt Jessica Illgen. Die 28-Jährige hat vor vier Jahren ihre Ausbildung zur Fahrzeuginnenausstatterin abgeschlossen und arbeitet in der Sitzfertigung. Abends besucht sie die Meisterschule. „Mein Chef unterstützt mich sehr. Damit ich Führungserfahrung sammeln kann, hat er mich an die Ausbildungswerkstatt ausgeliehen.“ Denn Illgen hat ein klares Ziel vor Augen: „Ich will später ein Team leiten.“

Gleicher Lohn für alle

Bei 960 Euro bis 1600 Euro brutto liegt der Verdienst der jungen Leute während ihrer Ausbildung oder ihres Studiums im Mercedes-Benz-Werk. Dabei gibt es keine Abstufungen nach Beruf. Während anderswo beispielsweise Mechatroniker-Lehrlinge deutlich besser gestellt sind als Kfz-Mechatroniker in der Ausbildung, erhalten im Sindelfinger Mercedes-Benz-Werk alle Auszubildenden eines Jahrgangs unabhängig vom Beruf dieselbe Vergütung. Diese steigt mit jedem Ausbildungsjahr an. Etwas höher dotiert sind die Praxisstellen der Studenten der Dualen Hochschulen. Doch auch diese erhalten unabhängig vom Studienfach das gleiche Salär. 30 Tage Urlaub pro Jahr stehen den jungen Leuten einheitlich zu – so viel wie auch allen anderen Angestellten.

Es ist übrigens nicht wahr, dass nur Kinder von Daimler-Mitarbeitern einen Ausbildungsplatz erhalten. „Weniger als die Hälfte unserer Azubis haben Familienangehörige im Werk“, sagt die Sindelfinger Ausbildungsleiterin Anke Schneck. Natürlich freue man sich über Bewerbungen von Daimler-Mitarbeiterkindern. „Aber diese müssen genauso das Bewerbungsverfahren durchlaufen wie alle anderen Kandidaten.“

Da der Konzern weltweit Standorte hat, „bieten wir die Chance bereits während der Ausbildung im Rahmen von Auslandsaustauschen internationale Erfahrung zu sammeln“, sagt Thomas Fuhry, Ausbildungsleiter für die Mercedes-Benz-Werke in Sindelfingen, Rastatt und Bremen. Bei den Studenten der Dualen Hochschulen sei ein Auslandsaufenthalt obligatorisch, sagt Anke Schneck. Aber auch besonders gute Auszubildende könnten während ihrer Berufsausbildung an speziellen Austauschprogrammen teilnehmen.