Mehr als 4000 Mitarbeiter aus den Niederlassungen demonstrieren vor dem Tor der Daimler-Zentrale in Untertürkheim. Betriebsratschef Michael Brecht warnt vor einer Kahlschlagpolitik.

Stuttgart - Symbolträchtig um fünf vor zwölf Uhr beginnt die Protestaktion vor dem Tor des Daimler-Werks Untertürkheim, wo sich auch die Zentrale des Autokonzerns befindet. Rote Fahnen der IG Metall flattern im frischen Wind. Auf Transparenten steht: „Unsere Niederlassungen, unsere Arbeit, unsere Zukunft“, „China ist nicht alles“ und „Wir lassen uns nicht herausbrechen“.

 

„Wir zeigen heute Flagge für den deutschen Vertrieb“, kündigt Michael Brecht an, für den es der erste große Auftritt ist, seit er zum Gesamtbetriebsratschef des Autokonzerns gewählt wurde. Erstmals, so Brecht, versammelten sich mehr als 4000 Kollegen aus den deutschen Niederlassungen vor der Daimler-Zentrale, selbst aus Emden und Kiel sind Mitarbeiter angereist. Der neue Betriebsratschef bezeichnet die Protestaktion als „Notwehr“. Es gehe um die berufliche Existenz von 15 000 Beschäftigten und deren Familien. „Dem Gesamtbetriebsrat und den Betriebsräten der Niederlassungen fehlt jedes Verständnis dafür, dass das Management die funktionierende konzerneigene Niederlassungsorganisation aufs Spiel setzen will“, ruft Brecht ins Mikrofon und fügt hinzu: „Wir brauchen keine Kahlschlagpolitik des Vorstands.“ Der Kritik schließt sich auch Roman Zitzelsberger, der Bezirksleiter der IG Metall in Baden-Württemberg, an: „Die Beschäftigten erwarten zu Recht vom Unternehmen klare und sichere Zukunftsperspektiven. Dazu gehört zwingend auch die dauerhafte Absicherung ihrer Arbeitsbedingungen“, so der Metaller.

Die Unternehmensleitung führt schon seit mehr als einem Jahr Gespräche mit den Arbeitnehmervertretern über die Weiterentwicklung der Niederlassungen. Mercedes-Benz hat in Deutschland neben den Vertragshändlern und Servicepartnern 33 eigene Niederlassungen mit 158 Standorten. Über diese eigenen Niederlassungen werden etwa die Hälfte der hierzulande verkauften Fahrzeuge abgesetzt. Bei den Wettbewerbern Audi und BMW ist der Anteil deutlich geringer.

Zahlen zur Ertragslage in diesem Bereich werden nicht genannt

Daimler ist schon seit Längerem unzufrieden mit der Rendite der Niederlassungen. Zahlen zur Ertragslage in diesem Bereich nennt der Autohersteller allerdings nicht. Im Kraftfahrzeuggewerbe ist eine Rendite von unter zwei Prozent üblich. Durch den hohen Anteil eigener Autohäuser schneidet Mercedes-Benz im Vergleich der Ertragskraft schlechter ab als Audi und BMW. Zudem wird es dadurch schwierig, die von Daimler-Chef Dieter Zetsche angepeilte Rendite von zehn Prozent im Autogeschäft zu erreichen. Im vergangenen Jahr rutschte sie auf 6,2 Prozent ab.

Zur Kostensenkung wurde vor sechs Jahren bereits eine Vereinbarung zur Zukunftssicherung der Niederlassungen abgeschlossen. Damals wurde unter andrem vereinbart, dass Tariferhöhungen mit außertariflichen Zulagen verrechnet werden und die Lohnerhöhungen sich nicht mehr nach dem Tarifabschluss der IG Metall, sondern nach dem Abschluss des Kfz-Handwerks richten. Im Gegenzug sicherte das Unternehmen zu, dass bis Ende 2015 keine komplette Niederlassung verkauft oder geschlossen werden darf. Zudem sind Kündigungen sogar bis Ende 2017 ausgeschlossen. Nach Angaben des Betriebsrats plant das Unternehmen nach dem Auslaufen der Vereinbarungen unter anderem, jeweils mehrere Niederlassungen zu einem Verbund zusammenzufassen und in GmbHs umzuwandeln. Die Beschäftigten befürchten, dass Niederlassungen verkauft, die tarifvertraglichen Regelungen unterlaufen werden könnten. Am Montag befasste sich der Vorstand mit dem Thema. Entscheidungen wurden nicht erwartet.

Andreas Burkhart, der bei Daimler in führender Position für die Niederlassungen zuständig ist, hat den Mut, gegen das schrille Konzert von Trillerpfeifen anzureden. „Mercedes-Benz bekennt sich zum unternehmenseigenen Vertrieb in Deutschland. Aber wir bekennen uns gleichzeitig zu der Aufgabe, unsere Niederlassungen fit zu machen für die Zukunft und damit langfristig Arbeitsplätze zu sichern“, betont Burkhart. „Wir sind nicht profitabel genug unterwegs. Das kann auf Dauer nicht so bleiben“, erläutert der Manager und versichert: „Wir wollen den Weg gemeinsam gehen, partnerschaftlich und lösungsorientiert.“ Die Niederlassungen müssten schneller, schlagkräftiger, schlanker werden, fordert Burkhart zum Schluss– und löst einen Orkan von Buhrufen aus.